„Dass das Herz sich öffnet.“ Eine Reise nach Norwegen, dem Gastland der Buchmesse 2019


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Es gibt solche Orte. An denen man sich sofort zugehörig fühlt. Wo einem die Landschaft gleichzeitig neu und doch vertraut vorkommt. Da, wo die Menschen einen mit offenen Armen empfangen. Und in meinem Fall sogar fortgesetzt in der Landessprache anreden. Mir ging es so mit Norwegen. Dem Gastland der Buchmesse im nächsten Jahr. Damit ist auch schon der Anlass meiner Reise vor zwei Wochen klar.

Was ich entlang der Hurtigruten erlebt und gelernt habe? Hier kommt ein erster Bericht mit Impressionen. Die Reise war unglaublich dicht und ich muss alles erst einmal auf mich wirken lassen. Eingeladen war ich von NORLA, einer Organisation, die Wissen über die norwegische Literatur im Ausland vermittelt. (Übrigens war das Wort formidling eines, das ich auf der Reise mehrfach gehört habe!) Eine – wie ich finde – sehr kluge Institution. Und es spricht von deren Weitsicht, dass sie nicht nur die Literatur sondern auch die Kunstszene des Landes mit ins Boot geholt haben. Und so waren wir als kleine Reisegruppe in Sachen Literatur im Rahmen der Coast Contemporary unterwegs, einem spannenden Kunst-Event, das größtenteils auf einem Schiff stattfand, das entlang der Hurtigruten fuhr. 

Der letzte Teil der Anreise zum Ort des Einschiffens in Norwegen war schon ein Erlebnis für sich. Ich saß in einer kleinen Propellermaschine in der ersten Reihe und blickte durch die offene Kabinentür, durch die starke Windböen den Regen ins Flugzeuginnere drückten. Na, das wird bestimmt lustig, dachte ich. Aber obwohl ich meist ziemlich ängstlich bin, wenn es im Flugzeug wackelt, war ich erstaunlich gelassen. Und so ruckelten wir durch den dunklen Abendhimmel ca. 25 Minuten von Bodø nach Svolvaer in Lofoten. (Gelernt: Lofoten ist kein Plural!)

Ach, von Lofoten habe ich schon lange Bilder im Kopf gehabt. Die Serie von Ernst Wilhelm Nay, die er nach seinem Aufenthalt dort in den späten 30er Jahren gemalt hat, zog mich in ihrer spröden Expressivität immer schon an. Nay kam übrigens durch eine Unterstützung von Edvard Munch nach Norwegen, als er in Deutschland unter dem Ausstellungsverbot zu leiden hatte. (Ich muss mich noch mehr einlesen, um zu verstehen, welche Rolle Norwegens im zweiten Weltkrieg inne hatte).

Im Dunklen kam ich also in Svolvaer an und wurde gleich herzlich von Ellen Trautmann Olerud und Sunniva Adam empfangen, den beiden Vertreterinnen von NORLA. Ein kurzer Check in in unserem fantastischen Hotel (das mich am nächsten Morgen mit einem der besten Frühstücks-Buffets überraschte, das ich je gesehen habe) und dann ging es auch schon los zu einer Performance in einem ehemaligen Eislager der Fischindustrie. Die Coast Contemporary hatte begonnen und man lauschte bei einer Tasse Punsch den sphärischen Klängen einer Geigerin, zweiter Kassettenrecorder und einem Instrument, das bestimmt von traditionellen Fischern stammte.

Black-legged Kittiwake. Sound Performance von Hanan Benammar und Espen Sommer Eide im Kjølelageret, Svolvaer

Rugged, das man vielleicht mit rau oder knorrig übersetzen könnte, ist ein Wort, das aus der Nationalhymne der Norweger stammt. Rugged, weathered, above the sea, diese Zeile ist das Leitmotiv für die Kunstreise. So ein schönes haptisches Wort. Im Eiskeller roch es ein bisschen nach Fisch. Verwitterte Wände, rostige Kühlaggregate – ich mag dieses Raue und war sehr gespannt darauf, wie sehr wir das auf der Reise noch zu spüren bekämen.

Kvalnes

Regenschauer. Windböen. Busfahren. Alles normalerweise Dinge, die ich nicht mag. Aber auf der Fahrt, die uns am nächsten Tag nach Kvalnes brachte, schaute ich gebannt auf das Naturschauspiel, das an mir vorüber zog. Was für eine Landschaft. Das ehemalige Fischerörtchen, dem unser Besuch galt, ist ein wahres Kleinod an der Küste und für mich definitiv eines der Highlights dieser Pressereise gewesen.

Eine spontane Sehnsucht ergriff mich dort. Ich wollte an einem der blankgescheuerten Tische sitzen und durch das Fenster auf den Horizont starren. Vielleicht ein Buch schreiben.

Wir trafen Aaslaug Vaa, unter deren Leitung die alten Gebäude, in denen früher der Fisch gesalzen oder der Lebertran hergestellt wurden, mit bewundernswertem Engagement zu gemütlichen Behausungen (inklusive Fußbodenheizung!!) restauriert wurden. Aaslaug ist eine der Figuren, die seit einigen Jahren das Örtchen auch außerhalb der Feriensaison am Leben erhalten. Wie sich herausstellte, ist Kvalnes ein nicht unbedeutender Ort auf der Kultur-Landkarte Norwegens. Auch wenn man sich hier ein bisschen vorkommt, als sei man am Ende der Welt angelangt. Neben Villa Lofoten, wie das Projekt von Aaslaug heißt, gibt es hier noch die Maaretta Jaukkuri Fondation und es leben und arbeiten einige Künstler hier. Unter ihnen auch die international bekannte A K Dolven.

Mir fiel das hier schon auf und es bestätigte sich die ganze Reise über: in der Kulturszene Norwegens geben eindeutig die Frauen den Ton an.

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Hurtigruten

Jeder, dem ich davon erzählt habe, dass ich einen Teil der Hurtigruten (es heißt tatsächlich „schnelle Route“ – hach, hurtig ist so ein schönes altes Wort) fahre, bekam glänzende Augen. Für viele ist das der Inbegriff von Entschleunigung und Landschaft pur. Charles Aubin der diesjährige Kurator der Coast Contemporary hat in seiner Einführung ein ganz spannendes Projekt erwähnt, das diese „Entschleunigungs“-Thematik aufgreift. Hurtigruten minutt vor minutt – eine Liveübertragung von einer Fahrt entlang der Hurtigruten, die im Juni 2011 von mehr als 2 Millionen Menschen verfolgt wurde. Slow TV heißt dieses Phänomen.

Und die Idee, Künstler*innen, Kurator*innen und sonstige Kulturschaffende für ein paar Tage zusammen auf ein Boot zu packen, ist super. Das Konzept hat auch gut funktioniert, ich habe einige sehr nette Menschen kennengelernt, die in Norwegen Ausstellungen planen oder für die Kulturförderung tätig sind. Dazu gab es Vorträge in einem Konferenzraum und Präsentationen in den Kabinen. Man bekommt da natürlich dann eine geballte Ladung Kultur um die Augen und Ohren und ich muss gestehen, dass die Fülle mich ein wenig schwindelig hat werden lassen. Oder lag das vielleicht am Wellengang? Ich bin nicht wirklich seetauglich.

Aber es sind mir doch einige Themen sehr im Gedächtnis geblieben. Vor allem das der Landschaft hat sich durchgezogen und ich war sehr beeindruckt von dem Maße, mit dem sich norwegische Künstlerinnen und Künstler für das ökologische  Gleichgewicht einsetzen. Sicher hat es damit zu tun, dass man hier am Polarkreis sehr unmittelbar mit dem Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert wird.

The Wild Living Marine Resources Belong to Society as a Whole” ist ein Beispiel dafür. Hier sind Gedichte, Manifeste, Kunstwerke, Essays versammelt, die sich mit der Verbindung von Mensch und Natur beschäftigen. Ein unglaublich dichtes Buch, hinter dem die Künstlerin Randi Nygård steckt. Interessant fand ich auch die Inhalte, mit denen sich die Künstlergruppe Cooking Sections beschäftigen. Ihr performativ gestalteter Vortrag hat mich aber an manchen Stellen etwas schmunzeln lassen. In lachsfarbener Kleidung sprachen sie über die Lebensbedingungen von Lachsen in Aquakulturen. Sie selber haben ein Langzeitprojekt entwickelt, in welchem sie eine Austernzucht in eine Art Design-Objekt einbezogen haben. Die Austern durften wir sogar auch kosten.

Es gab auf der Schifffahrt noch so viel mehr, das mich erreicht hat, alles kann ich gar nicht im Einzelnen erwähnen, mit manchem will ich mich in weiteren Blogbeiträgen noch eingehender beschäftigen. Wie zum Beispiel mit Hannah Ryggen, eine Künstlerin, die in den 20er und 30er Jahren große Anerkennung erfahren hat und die es heute wieder zu entdecken gilt. Eine ihrer Arbeiten wurde 2012 auf der Documenta gezeigt und erlangte traurige Berühmtheit, weil sie beim Osloer Anschlag in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Verbindung zwischen ihrem Engagement gegen den Faschismus und diesem traumatischen Ereignis, das 2011 Norwegen und die ganze Welt erschütterte, ist sehr emotional aufgeladen. Der Vortrag, den die Kuratorin Marit Paasche über Leben und Werk dieser besonderen Künstlerin an Bord gehalten hat, macht neugierig! Der Landgang mit Besuch im Nordenfjeldske Art Museum in Trondheim war zwar kurz, aber ich habe die Begegnung mit den Hannah Ryggens Original-Textilien sehr genossen. Umso gespannter bin ich auf die Ausstellung in der Schirn, die nächstes Jahr im Herbst und parallel zur Buchmesse zu sehen sein wird.

Dass das Herz sich öffnet – diese Zeile für meinen Beitragstitel habe ich einem Gedicht von Olav H. Hauge entnommen. Es beginnt mit „Das ist der Traum, den wir tragen“. Diese sehr poetische aber zugleich einfache Aussage wurde als Leitgedanke erwählt, um den Gastland-Auftritt auf der Buchmesse zu gestalten. Ein Satz, der nicht einfach so dahingesagt ist. Er hat sich für mich auch in der Tiefe vermittelt, mit der ich die norwegische Kultur verbinde.

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Bergen

Es gibt manche Namen und Adressen, die ich nicht ertrage; ich kriege keine Luft mehr, wenn sie genannt werden, ich spüre, wie mir schwindelig und übel wird, sobald diese Namen fallen, diese Familiennamen, diese Bergener Namen, (…).“ Ich lese gerade „Wider die Kunst“ von Tomas Espedal. Dass ich damit ein besonderes Lese-Erlebnis verbinde, hat mit der persönlichen Begegnung mit dem Autor zu tun, die NORLA für uns arrangiert hatte.

Die Sicht auf die Stadt aus seiner Perspektive war unglaublich inspirierend. Und als Stefan ihn danach fragte, ob er dort oben, in den Häusern der reichen Hansekaufleute denn heute als erfolgreicher Autor willkommen sei, erzählte er uns noch einmal von der unglücklichen Liebe zu dem Mädchen aus dem Stadtteil Kalfaret. Ein unvergesslicher Augenblick. Mich hat es berührt, wie sehr Espedal mit seiner Stadt verbunden ist. Mit Orten wie dem Huset Pub, einer Kneipe, die direkt gegenüber seinem Geburtshaus liegt. (Wir verbrachten dort später noch einen anregenden Abend mit Bergsveinn Birgisson und weiteren Autoren.)

Espedals Stadtführung ist gespickt mit kleinen Sprüngen in literarische Wendungen. Da beschreibt er dann, wie er als gerade geborenes Kind dem Erwachsenen Espedal hätte zusehen können, der trinkend und schreibend im Pub sitzt. Oder als er zu den Hinweisen auf seine Lieblingskneipen plötzlich spontan „Oh show me the way to the next Whisky bar“ summt.

Bergen ist eine Stadt, die sehr von der Hanse geprägt ist. Hier schlägt aber auch das literarische Herz Norwegens. Nicht zuletzt wegen der Schreibschule an der dortigen Universität, aus der auch Größen wie Karl Ove Knausgård hervorgingen, mit dem Espedal Freundschaft verbindet.

Und auch hier hinterlassen wieder starke Frauen einen bleibenden Eindruck. Mit Cecilie Løveid tauchen wir weiter ein in die Literaturszene Norwegens mit dem Epizentrum Bergen. Und über Gunnhild Øyehaug und Olaug Nielssen erfahren wir etwas über die Rolle des Neu-Norwegischen in der Literaturszene. Beide Frauen schreiben es auch, um sich in gewisser Weise zu emanzipieren. Zum Beispiel von einer durchaus männerdominierten Literaturszene, gegen die sie vor 20 Jahren zu Beginn ihrer jeweiligen Karrieren anschreiben mussten.

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Norwegen 2019

Ich bin sehr dankbar, dass ich diese wunderbare Reise machen durfte, dass ich viele tolle Menschen kennenlernen konnte und dass ich ein Saatkorn erhalten habe, das jetzt anfängt zu wachsen und zu sprießen. Denn Kultur funktioniert doch am besten dort, wo wir die Inhalte mit persönlichen Begegnungen verbinden können. Das gilt für Kunst ebenso wie für Literatur. Mein Herz ist aufgegangen für Norwegen und ich werde nun weiterverfolgen, was bis zum Finale auf der Buchmesse nächstes Jahr noch alles passiert. Es gibt noch einige Themen, die ich mir aufgehoben habe, für eigene Blogbeiträge und Lesestoff habe ich auch mehr als genug für die nächsten Monate.

Andrea Gerk, Saskia Trebing, Ich, Claudia Schumacher, Stefan Mesch, Margit Walsø (von links nach rechts). Foto: NORLA

Ganz herzlichen Dank an Sunniva Adam, Ellen Trautmann Olerud und Margit Walsø von NORLA für die Einladung und die hervorragende Betreuung vor Ort. Herzlichen Dank auch an Literaturtest, über die der Kontakt entstanden ist und die meine An- und Abreise organisiert haben. Und besonders danken möchte ich Andrea Gerk, Stefan Mesch, Claudia Schumacher und Saskia Trebing für die netten Gespräche und äußerst sympathische Reise-Bekanntschaft. Wir sehen uns hoffentlich spätestens in Frankfurt wieder.

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5 Antworten zu “„Dass das Herz sich öffnet.“ Eine Reise nach Norwegen, dem Gastland der Buchmesse 2019”

  1. Liebe Anke, was für ein spannender Blogeintrag über deine Norwegen-Reise! Vielen Dank dafür! Ich war vor zwei Jahren in Oslo und ganz begeistert von der Kultur des Landes und den Leuten. Bin schon gespannt auf das Jahr 2019! Herzliche Grüße, Lena

    • Liebe Lena,

      nach Oslo möchte ich auch unbedingt mal. Und ja, auf den Gast-Auftritt darf man gespannt sein. Ich lese mich auf jeden Fall jetzt in die norwegische Literatur ein. Zunächst mit Espedal. Dann schaue ich weiter. Macht Spaß, wenn man so einen schönen Antrieb bekommen hat.

      Liebe Grüße und bis bald
      Anke

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