Umbruch in der Kunsthalle Mannheim


Umbruch, das ist so ein richtig #basicgermanword und wir gebrauchen es oft in diesen Tagen. Denn es steht für einen durchgreifenden Wandel, eine Veränderung. Vor allem auch in gesellschaftlicher und politischer Sicht. Dieses Wort ohne Umschweife zu einem Ausstellungstitel zu machen und zum Beispiel auf einen Untertitel zu verzichten, das hat mir sehr imponiert. So war ich entsprechend erwartungsvoll zum Besuch der Ausstellung angereist, zu dem mich die Kunsthalle Mannheim eingeladen hatte.

Mannheim stand schon lange auf dem Zettel, denn es gibt mehrere gute Gründe die Kunsthalle zu besuchen. Vor Kurzem hatte dort Johan Holten als Direktor angeheuert und die Sammlung besitzt zudem einige berühmte Werke, die ordentlich Zugkraft haben. Mir war die Kunsthalle natürlich auch als Schauplatz einer bahnbrechenden Ausstellung bekannt. Vor nunmehr 35 Jahren habe ich außerdem meine erste Magisterarbeit über ein Thema der Neuen Sachlichkeit geschrieben. Leider konnte ich meine Forschung nicht abschließen, da mein Professor starb. So war für mich dieses Blogger-Event in gewissem Sinne eine Sentimental Journey.

Das wirkliche Leben

Die Neue Sachlichkeit erschien in einer Zeit auf der Bildfläche der Kunst, als die Euphorie eines neuen Zeitalters durch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges jähe Ernüchterung und existenzielle Verzweiflung erfahren hatte. Mit einer minutiösen aber auch kritischen Schilderung ihrer Umwelt zeigten Künstlerinnen und Künstler Haltung. Der Begriff der Neuen Sachlichkeit ist tatsächlich in Mannheim erfunden worden, nachdem man vorher eher von Verismus oder Neonaturalismus gesprochen hatte. Mit einer fulminanten Ausstellung landete der damalige Kunsthallen-Direktor Gustav Friedrich Hartlaub dann 1925 einen Coup, der europaweit Aufmerksamkeit genoss – die Ausstellung wanderte sogar noch durch Deutschland. Und was ich weder während meines Studiums noch in der Literatur damals besprochen fand: es war nicht eine einzige Frau in der Ausstellung vertreten. Obwohl die Frauen in den zwanziger Jahren durchaus ihren Weg als Künstlerinnen gehen konnten. Die Zeiten waren längst vorbei, in denen skandalisiert wurde, wenn Frauen in Kunstakademien lernten.

Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Anita Rée

Nun erleben wir also mit dem neuen Kunsthallen-Direktor Johan Holten eine Art Wiedergutmachung. Denn er hat für seine erste Ausstellung explizit nach Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit gesucht, die jetzt im ersten Teil von „Umbruch“ prominent präsentiert werden. Eine von ihnen – Hanna Nagel – ist sogar eine ganz besondere Wiederentdeckung, da einige ihrer Arbeiten in der Sammlung der Kunsthalle zu finden sind.

Zu Anita Rée hat Kunsthallendirektor Holten eine besondere Verbindung, wie er in einem kurzen Talk im Rahmen des Blogger-Events verriet. Als er seine Tanz-Ausbildung bei John Neumeier machte, gab es in einer Hamburger Übungshalle ein Wandbild der Künstlerin, unter deren Augen dann performt wurde. Das Ausstellungsplakat ziert ein Porträt, das die Künstlerin von der Fotografin Hildegard Heise gemalt hat. Ein fantastisches Bild, das – obwohl es nicht sehr groß ist – mich quer durch die gesamte Eingangshalle magisch angezogen hat. Der Blick aus diesen klugen Augen ist einfach phänomenal. Die Fotografie spielte übrigens damals eine wichtige Rolle in der Neuen Sachlichkeit und Heise ging in die Lehre bei Albert Renger-Patzsch, mit dem ich auch schon eine interessante Begegnung hatte.

Der Abend des Blogger-Events war toll organisiert und wir bekamen in corona-tauglichen Abständen unterschiedliche Vermittlungs-Formate serviert. Neben dem oben schon erwähnten Talk mit dem Direktor himself, wurden wir in einer sehr lebendigen Kurzführung gut unterhalten und durften uns in weiteren Runden auch kreativ betätigen. (mit dem Interkulturellen Haus wurden hier auch migrantisch geprägte Gruppen involviert.) Besonders die Aktion zum Bedrucken von Beuteln mit Collagen (mein Ergebnis s.o.) hat mir gefallen. Nicht zu vergessen, der interessante Austausch mit der Regisseurin Beata Anna Schmutz dabei.

Aufbruch

Nach einer schönen Wiederbegegnung mit Clément Cogitores „Les Indes Galantes“ (ich sah dieses sensationelle Video noch im Januar im Marta Herford) war ich neugierig auf die anderen zeitgenössischen Positionen, mit denen sich die Kunsthalle neuen Herausforderungen des eigenen Sammlungskonzepts stellen will. Explizit will man damit den Bedürfnissen eines diversen Publikums begegnen. Zu Clement Cogitore gesellt sich noch ein weiterer Video-Künstler in dieser Sektion. In „The Republic of T.M.“ verarbeitet der dänisch-irakische Filmemacher Masar Sohail seine Biografie, die von Ausgrenzungserfahrungen geprägt ist. Beide Filmemacher repräsentieren in ihren Arbeiten Gruppen, die nicht unbedingt das klassische Museumspublikum stellen. Holten ist der Überzeugung, dass solche Identifikationsangebote die Beschäftigung mit der Kunst anregen und durchaus einen Besuch des Hauses motivieren können. Gemeinsam mit der Performance-Kunst von Alexandra Pirici bilden diese künstlerischen Positionen den zweiten Schwerpunkt der Ausstellung, der mit KONVENTIONEN AUF DEN KOPF STELLEN überschrieben ist.

Der Baustellencharakter der Ausstellung liefert das perfekte Bild zum „Umbruch“ – das Rohe und Ungeschliffene daran gefiel mir.

Zu den drei Künstlerinnen aus der Vergangenheit gesellen sich im letzten Teil der Ausstellung drei zeitgenössische Bildhauerinnen, die mit besonderen Impulsen für einen Umbruch sorgen. Denn der Plan ist, dass diese Arbeiten in die Sammlung der Kunsthalle aufgenommen werden.

Nevin Aladağ ist Installationskünstlerin und lebt in Mannheim. Leider habe ich eine Vorführung ihres „Resonanz Raum“ verpasst. Aus der Ferne hörte ich aber die Klänge und konnte mich später noch ein bisschen näher im Raum umsehen. Ich finde ihre Social Fabrics total spannend, in denen sie verschiedene Materialien verbindet – ganz praktisch, aber auch als Collage unterschiedlicher Möglichkeiten. Die Künstlerin entwirft ganz spezielle Musikzimmer, arbeitet mit vorgefundenen Materialien, die sie in neue Zusammenhänge bringt und webt aus all dem neue Kontexte kultureller Identitäten. Klang ist für sie ein wichtiges Medium, um atmosphärisch Erinnerungen und Assoziationen zu vermitteln. Eine schöne Fluxus-Tradition blinkt hier und da auf.

Nevin Aladag, Resonanz Raum, 2020, Foto: Rainer Diehl

Den nächsten Raum hat Kaari Upson gestaltet, indem sie Mutters Beine („Mother’s Legs) umherbaumeln lässt. Das vermittelt mir ehrlich gesagt ein ziemlich schauriges Gefühl. Ich komme mir ein bisschen vor wie in einem Schlachthaus oder wie eine Zeugin eines schrecklichen Verbrechens und husche schnell weiter. Auf genau so eine Reaktion hat die Künstlerin wahrscheinlich abgezielt, trotz des heimeligen familienfreundlichen Titels.

Kaari Upson, Mother’s Legs, 2020, Foto: Rainer Diehl

Ich muss an Gottfried Benn denken, der in seinem Lyrikband „Morgue“ einige Gedichte veröffentlicht hat, die man hier durch diesen Extremitätenwald wandelnd aufs Schönste rezitieren könnte. Ich habe über Kaari Upson gelesen, dass sie mit ihrer Kunst keine Erzählungen kreieren will, sondern es ihr eher darum geht, Narrative aufzubrechen und den Raum zu befragen, der dadurch frei wird. Und so führt es einen wahrscheinlich auch in die Irre, wenn man die Beine hier einer bestimmten Erfahrung zuordnen will. Auch wenn die Beine tatsächlichen Personen zuzuordnen sind. Man spürt diesen Zwischenraum der Uneindeutigkeit und genau das macht das Unbehagen aus, das man hier unter Umständen verspüren kann und mit dem sich vortrefflich arbeiten lässt.

Er habe nicht explizit auf die Erhöhung eines Frauenanteils abgezielt, sagt Johan Holten und meint damit, dass es auf die interessanten Positionen ankommt und nicht auf irgendeine Quote. Dennoch ist in der Kunstwelt direkt aufgemerkt worden und man feiert den Direktor der Mannheimer Kunsthalle auch ein bisschen wegen der deutlichen Präsenz von Künstlerinnen in der Ausstellung.

Die Position der Bildhauerinnen wird mit einer weiteren Künstlerin verstärkt: Die Chinesin Hu Xiaoyoan stellt mit einer spannenden Raum-Installation sehr deutlich die Materialästhetik in den Vordergrund. Beim Betreten des Raumes bannt mich diese leise aber intensive Arbeit, bei der unter anderem Rohseide und Tusche auf die künstlerischen Traditionen ihrer Heimat verweisen. „Spheres of Doubt“ nennt sie die Installation und lässt wie zu einem Stillleben arrangierte Gegenstände unter einer zweiten Haut aus Seide verschwinden, die sie wiederum bemalt.

Hu Xiaoyuan, Sphere of Doubt, 2020, Foto: Rainer Diehl

Die Art und Weise, wie wir Dinge wahrnehmen, hat schon immer zu künstlerischen Auseinandersetzungen geführt. Was ist real, was gaukelt uns unser Unterbewusstsein vor? Hu Xiaoyuan schafft neue Erfahrungsräume für diese Entscheidungen. Ich habe mich übrigens bei der Betrachtung ihrer Installation gefragt: sehe ich ein Atelier oder eine Küche oder ist es doch ein Lager fliegender Händler? Jede Möglichkeit beinhaltet eine andere Geschichte.

Die Ausstellung „Umbruch“ bietet so viele Ansätze, seine eigene Haltung zu befragen und sich auf Neues einzulassen, dass ein einmaliger Rundgang gar nicht ausreicht, das alles auszuschöpfen. Überhaupt muss ich unbedingt noch einmal wiederkommen, denn ich habe mir die restliche Sammlung der Kunsthalle Mannheim noch nicht ansehen können. Außerdem interessiert es mich sehr, wie es mit dem Umbruch weitergeht und wie all die angestoßenen Richtungen weiterverfolgt werden. Ich bleibe auf jeden Fall dran. Und danke an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für die Einladung zum Blogger-Event und zur Übernahme meiner Reisekosten.

Auf dem Blog der Kunsthalle Mannheim könnt ihr auch nachlesen, wer noch über den Ausstellungsbesuch geschrieben hat.

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4 Antworten zu “Umbruch in der Kunsthalle Mannheim”

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