B.D. *** MEMORIAL FOR ***E.S. ist der Ausstellungstitel einer Show, die Brigitte Dunkel in der artothek Raum für junge Kunst in Köln eingerichtet hat. Die Räume dort haben sich einer spannenden Transformation unterzogen und ich kann den Ausstellungsbesuch als unvergleichliches Erlebnis nur empfehlen.
Hier könnt ihr schon mal eine Einführung und einige Hintergrundinformationen zu der Installation nachlesen.
Als ich vor ein paar Wochen begonnen habe, mich mit der geplanten Show zu beschäftigen, habe ich nicht geahnt, in was ich mich hineinbegeben würde. Und heute, da all die vielen Ideen, Gedanken und Aspekte zu einem Finale vereint worden sind, fühle ich mich fast als Teil dieser künstlerischen Inszenierung. Denn eines kann ich Ihnen schon jetzt versprechen – je mehr Sie sich mit der Ausstellung beschäftigen werden, desto tiefer werden Sie in einen Sog aus Faszination, Schrecken und Anregung hineingezogen.
Brigitte Dunkel hat mit „B.D.***MEMORIAL FOR***E.S.“ eine weitere Facette ihres Langzeitprojektes „Powder-Room“ geschaffen, das sich wie die bisherigen Arbeiten in das Konzept von Identität und Ästhetik des Weiblichen einfügt, welches sich in zahlreichen Objekten und Installationen manifestiert. Heute stehen wir in einer raumgreifenden Installation, die es aus vielen verschiedenen Perspektiven zu beleuchten gilt. Denn die Komplexität, die hinter der künstlerischen Auseinandersetzung steckt, ist unglaublich.
Dies sind vier Perspektiven, aus denen ich etwas über die Ausstellung sagen möchte: Ich benenne sie mit „Der Fall“, „Die Inszenierung“, „Das Objekt“ und „Das Sublime“.
Der Fall
Elisabeth Short, genannt Betty, ist gerade mal 19 Jahre alt, als sie aus der amerikanischen Provinz auszog, um in Hollywood erfolgreich zu werden. 1947, drei Jahre später, wurde sie berühmt: als Leiche.
Der Fall der Elisabeth Short dominierte als einer der mysteriösesten Mordfälle monatelang die Schlagzeilen im Nachkriegs-Amerika. Und wie fast immer bei ungeklärten Morden, wurde auch dieser hier berühmt unter einem Pseudonym: The Black Dahlia Murder.
Betty, eine extrem schöne und lebenslustige junge Frau, wurde das letzte Mal lebendig gesehen, als sie eine Hotellobby in LA verließ. Einige Tage später wurde ihre Leiche von einer jungen Mutter auf einem Rasenstück in einem der Vororte von L.A. gefunden. Ihr Körper war zerteilt und ihre inneren Organe entfernt worden. In einer grotesken Pose mit beiden Armen nach oben abgewinkelt, hatte man sie dort abgelegt. Ihr Gesicht war mit einem grausamen Schnitt zu einem maskenhaften „Lächeln“ verunstaltet. Im Netz existieren bis heute Fotos der Misshandlungen, die nicht zu ertragen sind. Neben der Leiche fand man einen Zementsack, am dem Blutreste festgestellt wurden – das einzige Blut am ganzen Fundort.
Was dann einsetzte, war eine fieberhafte Suche nach dem Mörder, die unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Es gab eine lange Liste von Verdächtigen, die sich bis in die obersten Kreise der Hollywood-Mogule zog. Unter anderem wurde auch Orson Welles kurze Zeit verdächtigt, da er 1946 angeblich eine Affäre mit Elisabeth Short gehabt haben soll.
Es gab auch einige sehr groteske Bekennerschreiben und die Versuche, weitere Mordfälle mit dem von E.S. in Verbindung zu bringen. Der Fall ist bis heute ungelöst. Das ist aber auch gar nicht der Aspekt, an den die künstlerische Auseinandersetzung von Brigitte Dunkel anknüpft. Und so ist die Ausstellung nicht als Dokumentation zu verstehen, sondern vielmehr ein vielschichtiges Experiment der Verarbeitung von zahlreichen Impulsen, die von der tatsächlichen Geschichte ausgehen. Diese greift die Künstlerin auf, lässt sie durch ihre ästhetischen Filter laufen und entwickelt daraus eine neue Realität.
Zu dieser Realität gehört auch die Verarbeitung literarischer und cineastischer Aspekte der Rezeption. An dieser Stelle muss der Roman von James Ellroy erwähnt werden, den der Schriftsteller 1987 mit dem Titel „The Black Dahlia“ veröffentlichte. Dieser Roman war auch die Grundlage für eine Verfilmung von Brian De Palma im Jahre 2006. Die Spiegelungen des Schicksals der Schwarzen Dahlie sind wichtige Anregungen für die weitere Auseinandersetzung mit dem Fall. James Ellroy erwähnt einmal in einem Interview, dass das Schicksal von Elisabeth Short sich mit dem seiner Mutter verflochten habe, da diese ebenfalls einem Mord zum Opfer gefallen war.
Wir erleben eine ungebrochene Faszination an der Geschichte. Bis heute. Und natürlich fallen mir viele kunsthistorische Beispiele ein, bei denen das Thema „Lustmord“ eine Rolle spielte. Die zwanziger Jahre sind berüchtigt für zahlreiche Werke, die sich damit beschäftigen. Schauen wir nur bei Otto Dix oder George Grosz nach. Ist diese Faszination Ausdruck einer durchgreifenden Krise der Geschlechter? Hat es etwas mit Misogynie zu tun? Wie positionieren wir uns zwischen Faszination und Abscheu? Wer hat welche Rolle inne?
Ich habe einige Literaturhinweise von Brigitte im Vorfeld der Ausstellung erhalten und sah in diesem Zusammenhang etwas, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat: Auf der Rückseite des Covers von Donald H. Wolfes „The Black Dahlia Files. The Mob, The Mogul and the murder that transfixed LA” sind zwei Cops abgebildet. Sie hocken im Gras. Anzug, Schlips, Hut. Beide nicht mehr ganz jung. Etwas feist. Am unteren Bildrand erkenne ich einen Fuß mit lackierten Nägeln. Und ich blicke in die Gesichter der Männer. Was ich sehe, verwirrt mich zutiefst: Ihre Gesichtszüge zeigen keinerlei Ekel oder Entsetzen. Ihre Augen scheinen zu leuchten, sind extrem wach und aufmerksam. Das ist ein Blick, der mich nicht mehr loslässt.
Die Inszenierung
Mit seinen besonderen Raumvorgaben ist die Artothek alles andere als ein White Cube. Die geschwungene Balustrade und die zierliche Treppe ins Obergeschoss sind ganz der zurückhaltenden Eleganz der Fünfziger Jahre geschuldet. Und Brigitte Dunkel greift diese Formensprache auf, nutzt sie für die Inszenierung einer posthum entwickelten Identität der Elisabeth Short. Was wir hier in der begehbaren Installation erleben, ist aber mehr als nur eine Hommage an das junge Mädchen aus den vierziger Jahren. E.S. steht zum Beispiel auch stellvertretend für die Sehnsucht junger Menschen, gesehen zu werden und sich dafür eine bestimmte Erscheinung zuzulegen.
Ganz entsprechend der Inspiration durch die Ästhetik des Film Noir folgen wir der Künstlerin dann in eine Art Film-Set, in welchem wir uns Fragen nach Geschlechteridentität, Rollenzuschreibung und gesellschaftlichen Normen stellen können. Der Spitzname „Black Dahlia“, der der jungen Betty zugesprochen wurde, verweist beispielsweise auch auf eine bestimmte Inszenierung, mit der E.S. in Hollywood Aufmerksamkeit erzeugen wollte. Ihre dunklen Haare wurden zu ihrem Markenzeichen und sie unterstrich ihre Ausstrahlung zusätzlich, indem sie sich überwiegend in Schwarz kleidete.
In einem Zeitungsbericht, der nach Zeugen suchte, ist ihre Garderobe sehr genau beschrieben – bis hin zu den Handschuhen und den Nylonstrümpfen. Mode ist für Brigitte Dunkel ein ganz besonderes Vehikel ihrer künstlerischen Arbeit. Denn zum einen sind es ganz klar die Rollenklischees, die sich darin manifestieren – oder gegen die man sich zur Wehr setzen möchte. Aber auch die Beschäftigung mit Körperlichkeit generell und speziellen Körperformen ist ein interessanter Ansatz, den man beispielsweise in Teilen der „Powder Room“-Serie erkennen kann.
Wir erleben die Installation „B.D.***MEMORIAL FOR***E.S.“ in einer bestimmten Erzählweise, die sich von oben nach unten entwickelt. Während die obere Etage sich vor allem den narrativen Aspekten einer weiblichen Biographie im Hollywood der vierziger Jahre widmet, wird der Kontext im unteren Raum auf eine ganz gezielte Auseinandersetzung mit dem Fall des Black Dahlia Mordes gelenkt. An der Stelle treffen unter anderem auf eine ganz ungewöhnliche Weise der tatsächliche Fall und die Kunstgeschichte zusammen.
Immer wieder taucht in der Rezeptionsgeschichte des „Black Dahlia Murders“ die Verbindung zu Marcel Duchamp und anderen Surrealisten auf. Dergestalt alarmiert begibt man sich schnell auf eine Indiziensuche, die tatsächlich einige unglaubliche Dinge zutage fördert. Auch Brigitte Dunkel hat sich mit den Geschichten rund um die „köstliche Leiche“ befasst und einige surrealistische Werke, die hier eine Rolle spielen könnten, erkennen wir in der Ausstellung wieder. Wie nah die Surrealisten am Black Dahlia Murder sein könnten, mag vielleicht eine Zeile aus den von ihnen sehr verehrten Gesängen des Maldoror von Isidore Ducasse (Comte de Lautréamont) zeigen:
„Ich habe lachen wollen, wie die anderen; aber dies war unmöglich. Ich habe ein Federmesser mit scharfer Klinge genommen und mir das Fleisch dort aufgeschlitzt, wo sich die Lippen vereinigen.“
Die Ausstellung will aber nicht die hundertste Beweisführung sein, dass der Mörder eine Art perverser Hommage an die von ihm verehrten Surrealisten vollziehen wollte. Die Künstlerin lenkt mit ihrem „Memorial“ vielmehr den Blick weg von der Opferperspektive. Sie versteht die gesamte Installation auch als Beitrag zur Befreiung des Weiblichen, als Kritik an einem – wie auch immer gearteten – normativen Blick auf Frauen. Der Mord und die Verbindung zu den bildkünstlerischen Arbeiten zahlreicher (!) Surrealisten macht deutlich, dass es eigentlich genau darum geht: Die Frau darf nicht zum Objekt gemacht werden und es gehört sich, ihr endlich ihre eigene Identität zuzubilligen. In welcher Verkleidung sie auch immer daherkommen möge.
Zu der hier gezeigten Installation gehören noch weitere Programmpunkte, die diesen Aspekt weiter ausführen werden: Es wird im Studio Argento/Traumathek eine Veranstaltung geben, die sich mit der Frage beschäftigt: „What is so sexy about murdering women“ (19.9., 19 Uhr) und hier in der Ausstellung gibt es noch einen Talk zur Thematik Femizid/Häusliche Gewalt mit der Historikerin Franziska Benkel/Berlin geben. Es folgt noch eine Performance mit dem Titel „The Scarecrow Dressing Up“ (17.10., 16 Uhr) .
Das Objekt
Die Objektbesessenheit der Surrealisten zeigt sich in vielen Bildexperimenten und in ihrer Vorliebe für den Fetisch. In diesem verdichtet sich die Idee des pars-pro-toto und gerade die Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewunderte archaische Kulturen für ein ungebrochenes Geheimnis, das sie aus solchen Objekten ziehen. Auch in der psychologischen Sexualtheorie eines Sigmund Freud finden wir viele Ausführungen zu diesem Thema. Schon sind wir mittendrin in einer Reise ins Unbewusste.
Die Verzerrung eines Objektes zum Lustobjekt – das kann man kunsthistorisch schon im späten 19. Jahrhundert verfolgen. Die Serie „Der Handschuh“ von Max Klinger macht es vor, wie aus einem harmlosen Accessoire plötzlich eine zutiefst erotische Angelegenheit werden kann.
Brigitte Dunkel verwendet in ihren Arbeiten eine besondere Materialästhetik, die sich über Assoziationen in tiefere Schichten der Wahrnehmung eingräbt. Die Aura, die sich über verschiedene Gegenstände wie Schuhe oder einen mondänen Luggage Car ergibt, ist ein starkes Narrativ.
Aber auch Orte können mit dieser Aura aufgeladen werden. Und so hat ein ganz spezielles Haus eine besondere Rolle in diesem Setting. Das Sowden House, welches Frank Lloyd Wright (der Sohn!!) in den zwanziger Jahren erbaute. Hier soll – verschiedenen Theorien zufolge – der Mord an E.S. begangen worden sein. Ein Haus, auf das man nur einen kurzen Blick werfen muss (und das ein äußerst erfolgreicher Instagram-Hotspot ist), um die Abgründe zu erkennen, in die sich alles andere ergießen könnte.
Das Sublime
Weibliche Existenzen und deren Möglichkeiten, das Oszillieren zwischen Offenlegung und Verhüllung, die haptischen Erfahrungen des menschlichen Leibs – all das sind Aspekte der Arbeit von Brigitte Dunkel. Sie spielt dabei mit dem Begriff der Ästhetik und deren Wahrnehmung. Das Interessante ist der Weg hinein ins Bewusstsein. Immer wieder treffen wir dabei auf Anklänge aus Subkulturen wie der Sado-Maso- oder Burlesque-Szene. Beides Räume, in denen das Spiel von Macht, Lust und Selbstgewissheit eine zentrale Rolle spielt.
Wenn wir die Arbeiten von Brigitte Dunkel betrachten, dann geht es um einen erweiterten Schönheitsbegriff, der sich weniger mit einem spezifischen Idealismus erklären lässt. Es ist eine bestimmte Form der Sinnlichkeit und der sensuellen Wahrnehmung von Materialien wie Haut und Stoff. Das Sublime – eine Bezeichnung, die das Erhabene meint, also jenen Zustand zwischen Staunen, einer gewissen Ehrfurcht, aber auch einem kurzen köstlichen Schauer – das Sublime schwebt über der Kunst. Und in dieser Ausstellung lässt es sich an vielen Stellen erspüren.
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