London Calling


London, das ist auch so ein Sehnsuchts-Ort für mich. Ich blättere immer wieder im Kalender, wann es mal passt, dass ich wieder dort sein kann. Bis dahin habe ich aber eine wunderbare Ersatzbefriedigung! Das aktuelle Buch von Annette Dittert, das sie mir zu Rezension zugeschickt hat. Ich freue mich sehr über den Kontakt via Twitter, war ich doch schon Fan ihres wunderbaren Videoblogs. Ihr Buch gibt einen aktuellen Einblick in die Situation der Briten, nachdem der Brexit beschlossene Sache wurde.

London Calling von Annette Dittert ist das reinste Lesevergnügen. Neben zahlreichen Stories zum legendären Hausboot Emilia (und ihrer Vorläuferin Emily) lernt man so zauberhafte Menschen wie Owen kennen, der als Halbbruder Dumbeldores durchgehen könnte. Er führt die Autorin in die Geheimnisse der Kanalgemeinschaft ein. Dass er im wahren Leben ein angesehener Anwalt ist, ansonsten aber mit seinem bunten Outfit eher wie ein Hippie wirkt, gehört zu den Dingen, die ich an den Briten mag. Etwas, was auch Annette Dittert mit großem Herzen und viel Verständnis für allerlei Skurillitäten vermittelt. In ihrem aktuellen Buch lernt man sie kennen, die britische Gesellschaft!

Neben Boatjürgen, John the Tie und Gary, dem Chef der Kanalwerft stellt sie zunächst nach und nach die Community der Kanalmenschen vor. Das scheint eine eingeschworene Gemeinschaft und man möchte augenblicklich auch so ein Hausboot haben, damit man Teil davon sein kann. Eine spontane Eingebung wurde für die ehemalige ARD-Korrespondentin zum Glücksgriff. Man spürt förmlich, wie sehr ihr dieses kleine Hausboot zur Heimat geworden ist. Die Schilderung, wie es zum Kauf der Emily kam, zeigt den offenen und neugierigen Geist der Journalistin, mit dem sie sich auch den Menschen nähert.

„Nach dem Genuss von mehreren, übrigens hervorragenden Gin Tonics beschloss ich, das Wrack Emily zu kaufen. Einfach so. Natürlich könnte man einwenden, dass sich niemand einfach so ein altes, kaputtes Boot aufhalst, erst recht nicht in einer so komplizierten Stadt wie Londons. Aber ich hatte meine Gründe, bedeutende „Weils“: Weil es mir leidtat, wie dieses einst von seinem Besitzer so geliebte Wesen nun halbtot im Wasser hin. Weil ich mich der urbritischen Lebenshaltung, größeren Katastrophen gelassen und leichten Herzens entgegenzusehen, schon sehr angenähert hatte, oder einfach der weil der Gin Tonic so gut war und der Regen so mild.“

(Wer mal ein paar Bilder von der Hausboot-Idylle braucht, für den bette ich hier den (leider letzten) Vlog von Annette Dittert ein.)

Meine Lieblingsfigur in dem an skurillen Typen nicht gerade armen Buch „London Calling“ ist übrigens Sophie, „eine dieser Londonerinnen, die so intensiv und ausschließlich in ihrem Viertel leben, dass sie ein Teil davon werden.“ So, wie Annette Dittert diese ehemalige Secondhandladen-Besitzerin schildert, bekommt das Thema Gentrifizierung ein Gesicht. Notting Hill, dieser Stadtteil steht wohl wie kaum ein anderer für London und seine Entwicklung in den letzten Jahrzehnten. Auch für meine romantischen Erinnerungen an meinen einzigen Besuch in London im Jahre 1980, als ich auf der Portobello Road durch die Läden streifte und voller Begeisterung in einem Bioladen Haferflocken kaufte.

Wenn ich heute nach London führe, würde ich übrigens sofort solche Orte wie das Barbican Centre aufsuchen. Oder den Trellick Tower, den Annette Dittert mit ein wenig Skespsis beschreibt. Ich glaube, in meiner Begeisterung für die brutalistischen Bauten Londons würden wir uns nicht unbedingt treffen, oder? Immerhin bekomme ich von ihr die Anekdote zum Erbauer Ernö Goldfinger serviert, die ich natürlich begeistert goutiert habe. Wie die Verbindung zwischen dem Architekten und dem legendären James-Bond-Bösewicht entstand, hat auch mit dem Zusammenleben von unterschiedlichen sozialen Schichten in der Metropole zu tun. Ein spannendes, immer wieder kehrendes Thema in Annette Ditterts Buch.

Wer ein Fan der britischen Royals ist (ich bekenne mich schuldig), wird beim Lesen ebenfalls auf seine Kosten kommen. Denn Annette Dittert beschreibt einen Auftritt Prince Charles in der Provinz, der einerseits den Thronfolger in einem sympathischen Licht erscheinen lässt, andererseits aber auch die Widersprüchlichkeiten im Verhältnis der Briten zu ihrem Königshaus deutlich macht. Überhaupt ist das der größte Verdienst dieses Buches: gerade jetzt zum Brexit das Wesen der Engländer zu durchleuchten und jenseits aller Klischees einen genauen Blick auf unsere Nachbarn werfen zu können. Denn Nachbarn werden sie trotz Austritt aus der EU immer noch bleiben. Übrigens wusste ich auch nicht, dass schon die Aufnahme in die Gemeinschaft ein Gezerre gewesen ist und Großbritannien erst 1973 zugelassen wurde.

London Calling ist ein Buch für alle Fans der Insel und Londonliebhaber sowieso. Und ganz nebenbei wird einem so manches klar, was die Irrungen und Wirrungen angeht, die der Brexit nach sich ziehen wird. Ich bleibe weiterhin an den diversen Kanälen von Annette Dittert dran und werde das Buch zu gegebener Zeit wieder hervorholen.  Denn London geht mir nicht mehr aus dem Kopf!

 

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