Hanne Darboven (er)zählt Zeitgeschichten


Mit der Bonner Schau der Künstlerin Hanne Darboven hab ich die erste Hälfte meiner Ausstellungsrundreise hinter mir. Nachdem ich letzte Woche dort war, hat es lange in mir gegärt, bis ich jetzt den Anpack für einen Beitrag gefunden habe. Ich muss gestehen, die Künstlerin hat in mir schon immer ein zwiespältiges Gefühl ausgelöst. Einerseits war ich irgendwie fasziniert von dem Werk, in dem Reihung, mathematische Konstruktionen und formale Strenge vorherrscht. Ich konnte mich zum Beispiel auch gut in den meditativen Schwung ihrer Schreibarbeiten einfinden. Andererseits hat mich schon auch die Konzentration und das Interesse verlassen, wenn ich immer komplizierteren Konzepten folgen sollte. So erging es mir auch beim Ausstellungsrundgang letzte Woche. Warum der Besuch dieser Ausstellung auf jeden Fall empfehlenswert ist, lest ihr hier.

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Weltansichten 00-99, 1975 – 1980 Tinte, Offsetdruck, Collage auf Papier, montiert auf Schreibzeit-Karton 1400 Tafeln, je 42 x 29,7 cm Musée d’art moderne de la Ville de Paris Foto: Maximilian Geuter, 2015 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Das hat mich überrascht

Mensch, was sind die Räume hoch in der Bundeskunsthalle. Das war mir vorher noch gar nicht aufgefallen. Hier wirkt das enorme Volumen der Darboven-Arbeiten beeindruckend.  Wenn man so aus der Entfernung schaut, dann sieht man zunächst mal ein strenges Karomuster, eine Kachelwand. Nichts, was den Blick anzieht. Aber sobald man näher tritt, passiert es. Die Weltansichten ergreifen deinen Verstand und es verdichten sich einzelne Informationen zu einer Geschichte. Einer Zeitgeschichte. Hanne Darboven blättert hier nicht weniger als ein ganzes Jahrhundert auf. Das 19. Jahrhundert. Jeden einzelnen Tag. Verdichtet in ihrer unnachahmlichen Schreibarbeit. „Ich schreibe, aber ich beschreibe nichts.

Ich entdecke auf manchen der Blätter montierte Kupferstiche aus dem 19. Jahrhundert. Später lese ich, dass diese aus einer Reklameserie der Kaffeefirma J.W. Darboven stammen. Klar, deswegen kommt mir der Name Darboven so seltsam vertraut vor. Neben den ganzen für mich immer sperrig daherkommenden Datums-Quersummen-Berechnungen blitzt plötzlich die Künstlerin als Person auf. Das lässt mich aufmerken und ich will weiter suchen. Wer war diese Hanne Darboven, deren Stimme so streng durch den Ausstellungsraum hallt (eine Video-Installation zeigt sie im Interview). Auf den Bildern wirkt sie asketisch. Das passt. Ihre Arbeiten erinnern mich an die mönchische Klausur im Scriptorium.

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Ausstellungsansicht Bundeskunsthalle Kinder dieser Welt Foto: Maximilian Geuter, 2015 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Also, wenn ihr mich fragt …

Betritt man die Ausstellung, so trifft man als erstes auf die Installation „Kinder dieser Welt“, die sich durch mehrere Räume zieht. „Die Puppen wie auch das gesammelte Kinderspielzeug sah Darboven erklärtermaßen als Sinnbild für einen optimistischen Neugabinn und berief sich dabei auf Enrst Blochs Prinzip Hoffnung (1938) …“ lese ich im Saalzettel, der die Installation beschreibt. Puh, also ich hab völlig andere Assoziationen, wenn ich diese obsessiven Akkumulationen von Kasperletheater-Figuren sehe. Auch die im Eingangsbereich aufgereihten „lebensechten“ Puppenkinder rufen bei mir eher Erinnerungen an schräge Horrorfilme hervor als dass ich in ihnen eine fröhlich-optimistische Kinderschar erkennen kann.

Darboven hat die Arbeit „Kinder dieser Welt“ nach dem Fall der Berliner Mauer begonnen. Schulhefte sind ein wichtiger Bestandteil. An anderer Stelle erklingt eine Musik, die auf der Grundlage ihrer Jahrhunderrechnungen entstanden ist. Dazu kommen alte Blechspielzeuge und Spieluhren. Um ganz ehrlich zu sein: das bekomme ich nicht zusammen. Spielerisch, leicht, weltoffen – das sehe ich hier einfach nicht.

Das Geheimnis ist, dass ich keins habe“ – so wirft Hanne Darboven den Betrachter wieder auf sich selbst zurück. Gerade bei der Arbeit „Kinder dieser Welt“ funktioniert das mit der Lesbarkeit aber nicht. Es scheint mir eine sehr individuelle Logik der Künstlerin dahinter zu stehen, die sich mir nicht vermittelt. Ich erfasse die Deutungsmuster nicht.

Leider muss ich auch sagen, dass mir die Saalzettel keine Hilfestellung geben. Überhaupt fällt es bei der Rezeption von Hanne Darboven auf, dass man sehr viel Zeit mit der Aufzählung der einzelnen Komponenten eines Werkes verbringt. Im Falle der „Kinder dieser Welt“ muss man erst einmal das hier erfassen: 200 Bücher gebunden, mit jeweils 6 Schulheften, 22 Bücher gebunden, mit jesweils 5 Schulheften, je 30 x 21,5 . 4,5 cm, 2 Textbücher, je 45,2 x 30 x 3cm, 114 Packpapiertafelt, je 75,5 x 100,3 cm, 2134 Blatt Blechbläsertrio Opus 43 A in zuahlenworten, je 29,7 x 21 cm, 68 Blatt Notenpartitur, Transkription, je 29,7 x 21 cm, 68 Blatt Notenpartitur, Objekte: Spielzeug, Puppen, Blechspielzeuge und Spieluhren in Vitrinen.

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Ausstellungsansicht Bundeskunsthalle Taschenkalender 1966–2009 1966–2009 44 Taschenkalender mit Notizen von Hanne Darboven Foto: Maximilian Geuter, 2015 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH / VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Das hat mich berührt

Es war nicht so sehr das Schreiben entlang der Geschichte, das mich in der Ausstellung in den Bann gezogen hat. Mein Blick blieb vor allem an den Taschenkalendern hängen. Eine Arbeit, die mir eine Ahnung davon gibt, dass all die Raster und Strukturen, die Datumsberechnungen und distanzierten Schreibarbeiten eben nicht entpersonalisierte Formeln sind. Sondern Spuren verdichteter gelebter Zeit(geschichte) darstellen. Die Form ist vorgegeben, es gibt eine Struktur von 365 Tagen in einem bestimmten Format. Doch angefüllt sind sie mit jeder Menge Er- und Gelebtem. Hier gewinnt die Idee zwischen Makro- und Mikrostruktur ihre Faszination. Und bei einzelnen Notizen, die man lesen kann, eröffnet sich plötzlich eine ganze Welt. Sei es die der Kunst („Guggenheim“ „Leo Castelli“) oder die der privaten Hanne Darboven („Mutti angerufen“).

Was ihr noch entdecken könnt

Nun, ich habe mir ein paar Aspekte herausgepickt und meine Sicht der Dinge geschildert. Das Oeuvre Hanne Darbovens ist sehr komplex. So komplex, dass für eine erste Retrospektive nach ihrem Tod (2009) gleich zwei renommierte Häuser bemüht werden mussten. Parallel zur Bonner Ausstellung findet im Münchener Haus der Kunst ebenfalls eine Darboven-Ausstellung statt. In Bonn hat man sich auf die zeitgeschichtlichen Bezüge in ihrer Arbeit konzentriert, die Münchener fokussieren auf die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge ihrer Kunst.

In der Bundeskunsthalle lässt sich noch viel entdecken. Zum Beispiel ein Netz an Referenztexten und Ereignissen, die die Künstlerin quasi als Zeitzeugin aufnotiert. Da verlässt Hanne Darboven auch schon mal die distanzierte Beobachtungshaltung und kommentiert Ereignisse. Wie z.B. in den geschwärzten Strauß-Antworten in einem Spiegel-Interview. Oder sie betont die zeitgeschichtliche Relevanz der filmischen Arbeit Rainer Werner Fassbinders.

Der Ausstellungsbesuch ist auf jeden Fall ein besonderes Erlebnis. Und wenn man sich von der schieren Menge nicht überwältigt fühlt, kann man viele spannende Entdeckungen machen. Mich hat nicht alles erreicht, über manches muss ich noch nachdenken. Zum Beispiel auch über die Frage, ob einzelne Tippfehler in den Zahlenreihungen intendiert waren. Aber vielleicht soll man auch nicht versuchen, alles zu lesen.

 

 

 

 

 

 

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2 Antworten zu “Hanne Darboven (er)zählt Zeitgeschichten”

  1. Liebe Kulturtussi,

    Du bedienst Dich der Sprache auf eine Weise, der man nicht widerstehen kann. Ein Glück für die Kultur! Denn wenn Du über kulturelle Themen schreibst, muss man es einfach gerne lesen. Jedenfalls tue ich es sehr gerne und überreiche Dir daher einen Award.
    Dieser war zwar ursprünglich für „kleine“ Blogger gedacht, doch ich denke, dass es interessanter wäre, wenn auch erfolgreiche BloggerInnen – wie Du – daran teilnehmen würden. Wenn Du magst und Zeit hast einige Fragen zu beantworten: https://alexandrakloeckner.wordpress.com/2015/10/06/hilfe-ein-award-oder-ich-stelle-mich-den-fragen/

    Herzliche Grüße,
    Alexandra

    • Liebe Alexandra,

      oh, das freut mich total, dein Kompliment! Es tut sehr gut, solche Rückmeldungen zu bekommen. Ich hoffe, du bist mir nicht böse, wenn ich die Teilnahme an dem Blogstöckchen diesmal überspringe. Ich hatte schon mal 🙂
      https://www.kulturtussi.de/lieblings-blog/
      Und es ist gerade so wahnsinnig viel zu tun!!
      Aber ich freue mich immer über jegliche Anregung aus der Bloggerszene.
      Ganz herzliche Grüße von Anke

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