Sein Schwager war deutscher Konsul in Japan, und sein Bruder leitete eine der wichtigsten Handelsniederlassungen in Yokohama. Er selbst unternahm 1880/81 eine ausgedehnte „Einkaufsreise“ nach Japan, China und Indien. Seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts war das Geschäft des aus Hamburg stammenden Samuel Bing in der Pariser Rue Chauchat die erste Adresse für die Anhänger des Japonismus. Die Kunst aus dem Land der aufgehenden Sonne wurde damals von vielen Künstlern und Kunstkritikern als Impuls für die Erneuerung der europäischen Avantgarde begeistert gefeiert. Künstler wie Monet und Toulouse-Lautrec trugen Kimonos, und van Gogh feierte die japanischen Farbholzschnitte. Auf der Weltausstellung 1878 war das japanische Kunsthandwerkgezeigt worden, und Bing, dessen Familie seit jeher mit „Luxusartikeln“ handelte und der 1863 mit Jean-Baptiste Leullier eine Porzellanmanufaktur gegründet hatte, entwickelte sich zum Experten auf diesem Gebiet. Durch seine außerordentlich guten Geschäftsbeziehungen nach Japan sicherte er sich die erste Stellung im neuen Modetrend. Mit der Herausgabe der Zeitschrift Le japon artistique: documents d’art et d’industrie zementierte er seine Bedeutung.
Aufbau eines europäischen Netzwerks
Als die Japan-Mode auf dem Weg in die Moderne mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten schien, suchte sich der findige Galerist und Geschäftsmann neue Betätigungsfelder und erwies sich beim Aufspüren neuer Tendenzen durchaus als „Trüffelschwein“. Bei einem Besuch in Brüssel lernte Samuel Bing die von den Rechtsanwälten Picard und Maus gegründete Maison d’Art kennen und verfolgte seitdem den Plan, ein ähnliches Unternehmen in Paris zu eröffnen. Am 26. Dezember 1895 war es dann endlich so weit: In seinem umgebauten Ladenlokal eröffnete er unter dem programmatischen Namen Art Nouveau seine Galerie, die einem völlig neuen Konzept der Präsentation unterworfen war. Schon lange hatte Bing davon gesprochen, dass man Kunsthandwerk und Möbel in einem wohnlichen Ambiente miteinander präsentieren sollte. In Brüssel hatte er sich Hoffnungen gemacht, dass der damals schon berühmte Horta sich als Generalentwerfer seiner Sache annehmen würde. Vielleicht war es ein Glücksfall, dass der Meister ablehnte, auf jeden Fall startete der noch unbekannte Henry van de Velde, den Bing daraufhin engagierte, mit seinen Entwürfen für die Galerie Art Nouveau seine Karriere als Designer.
„L’Art Nouveau soll den Kampf gegen alles Hässliche und Prätentiöse an den uns umgebenden Dingen antreten und diese mit perfektem Geschmack, Charme und schlichter Schönheit erfüllen, bis hin zu den nichtigsten Gebrauchsgegenständen.“ L’Art Moderne, 05. Januar 1896
Eine Galerie wird zum Pilgerort der Moderne
Die Erwartungen an die Präsentation in der neuen Galerie waren enorm, die Neugier des Pariser Publikums war kaum vorstellbar. Die Galerie Art Nouveau war im klassischen Sinne kein Geschäft mehr. Vielmehr lud es die Interessierten wie in einen Salon ein, in welchem sich die schönen Künste der Zeit versammelten.
Den in Belgien geborenen und bei William Morris ausgebildeten Frank Brangwyn beauftragte Bing mit der Ausmalung der Räume. Für den Umbau der Galerieräume hatte er ebenfalls in Belgien den Architekten Louis Bonnier rekrutiert. Nach genauen Vorstellungen, wie sich die moderne Entwicklung der Wohnkultur zu vollziehen hatte, verfolgte Bing das Konzept für seine Maison Bing. Er beauftragte mehrere namhafte Künstler und Designer mit den Entwürfen für die verschiedenen Zimmer seines Hauses. Maurice Denis konzipierte ein Schlafzimmer, Éduard Vuillard ein Wartezimmer, einen Salon mit Wanddekorationen entwickelte Paul-Albert Besnard, ein Boudoir der Australier Charles Conder, jeweils ein Herrenzimmer gestalteten Henry van de Velde und Georges Lemmen. Van de Velde entwarf ebenfalls ein Wohn- und ein Speisezimmer. Die Nabis-Künstler Paul-Élie Ranson und Maurice Denis wurden beauftragt, die Zimmer auszumalen. Das Ergebnis vermittelte die Vorstellung vom neuen Wohnen ganz so wie Samuel Bing sie imaginiert hatte. Nicht nur die Möbel, auch die gesamte Ausstattung der Räume mit Lampen, Tapeten, Teppichen und Geschirr war dem neuen Prinzip der einheitlichen Gestaltung unterworfen. Solch eine Raumgestaltung war wegweisend, und indem Bing fünf seiner Zimmer auf der Kunstausstellung in Dresden 1897 präsentierte, zeigte er, dass er durchaus gewillt war, seine Ideen zu verbreiten. Relativ bald erkannte er, dass er für die Entwicklung neuer Modelle und die Fertigung seiner Entwürfe auf eigene Werkstätten nicht mehr verzichten konnte. Darüber hinaus vergab Samuel Bing jedoch auch Lizenzen für die Produktion von Kunsthandwerk nach von ihm initiierten Entwürfen an weitere Produzenten. Die Idee umzusetzen und in Masse zu produzieren, damit sie auf den Markt gelangen konnte, war für ihn als Geschäftsmann eine selbstverständliche Marschroute.
Vertreter in Sachen Kunstgewerbe
Schon vor seiner Reise in die USA, die Bing 1894 auf der Suche nach neuen Ideen unternahm, hatte er von den Entwicklungen in der Glasgestaltung gehört, die mit Louis Comfort Tiffany auf einen völlig neuen Standard gebracht worden waren. Die Weltausstellung in Chicago 1893 hatte Tiffanys Arbeiten berühmt gemacht, und Bing nahm aus Amerika die Idee mit, Entwürfe europäischer Künstler durch Tiffany umsetzen zu lassen. Nach seiner Rückkehr aus Amerika forderte er Zeichnungen für Glasfenster bei den Nabis-Künstlern an, die er dann zur Ausführung nach New York schicken wollte. Mit einer Präsentation in der Société Nationale des Beaux-Arts feierte er die gelungene Zusammenarbeit. Durch diese geniale Verbindung entstand eine der ersten transatlantischen Geschäftsbeziehungen, und Bing reüssierte als Vertreter der begehrten Tiffany-Designs auf der Weltausstellung 1900. Tiffany, der seit 1893 auf Long Island eine eigene Glasfabrik betrieb, hatte das irisierende Favrile-Glas erfunden, mit welchem er faszinierende Glasobjekte herstellte. Berühmt wurde Tiffany nicht nur durch seine Produktion von Schmuck und Möbeln, sondern vor allem durch seine blütenförmigen Lampenschirme, deren bunte Glaselemente in mosaikartiger Anordnung zwischen den typischen Bleistegen angelegt waren. So hatte Tiffany auch das Weiße Haus ausgestattet, und sein Siegeszug durch die Wohnzimmer der begüterten Bürgerhaushalte Europas wurde durch Samuel Bing vorbereitet. Seine Rolle als Vertreter amerikanischen Kunsthandwerks weitete Bing aus, indem er ab 1900 auch das beliebte Rockwood-Porzellan aus Cincinnati vertrieb, das ganz dem Arts and Crafts-Gedanken verschrieben war.
Der große Paukenschlag
Die Weltausstellung 1900 war der Höhepunkt des Bingschen Schaffens als Vermittler einer neuen Gestaltung. Bereits 1898 hatte sich Bing mit dem jungen Designer Edward Colonna zusammengetan, später stießen Georges de Feure und Eugène Gaillard dazu. Mit diesen drei hatte Bing ein Team für die Ausstattung eines Pavillons auf der Weltausstellung gewonnen, das seine Vorstellung von der Vermittlung modernen Designs in eine Art Gesamtkunstwerk übertragen sollte. Im Eingang präsentierte Gaillard ein umbautes Sofa inmitten eines auffälligen Fußbodenmosaiks. Bing hatte hier wieder das Konzept der ungewöhnlichen Wandbemalung aufgegriffen und den jungen Künstler José Maria Sert dafür gewonnen. Colonna wusste mit der Konsequenz fließender, eleganter Linien zu überzeugen und gestaltete so einen Salon. Der Pavillon d’Art Nouveau gehörte zu den Highlights der Weltausstellung 1900. Nie zuvor hatte man einen derart durchdachten Plan auf so hohem Niveau in die Realität umgesetzt gesehen. Der Triumph des modernen Lebens wurde hier deutlich und ließ die zum Teil in schwerem Historismus ausgestatteten restlichen Pavillons weit hinter sich zurück.
- 1823 Moses Michael Bing eröffnet in Hamburg ein Import-Export-Geschäft, in welchem er schon bald mit französischen Luxuswaren handelte.
- 1834 wird Samuel Siegfried Bing in Hamburg geboren.
- 1863 Bing wird als wichtigster Händler für „curiosités“ in Paris und durch die Zusammenführung mit der Porzellanmanufaktur Leullier zu einem weit geschätzten Produzenten von Kunsthandwerk.
- 1880 und 1881 reist Bing nach Japan um entsprechende Waren zu importieren. Mit mehreren Aufsätzen zur japanischen Keramik festigt sich sein Ruf als Experte auf diesem Gebiet.
- 1895 verzichtet Samuel Bing auf weiteren Handel mit japanischem Kunsthandwerk, und im Dezember eröffnete er seine Galerie d’Art Nouveau, die bald als Maison Bing bekannt wurde.
- 1898 tritt Edward Colonna in die Werkstätten Bings ein.
- 1900 feiert er große Erfolge mit einem Pavillon d‘Art Nouveau Bing auf der Weltausstellung in Paris.
- 1904 zieht sich Bing aus dem Geschäft zurück.
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