Lesung im Sonnenstudio


In letzter Zeit treibt es mich von der bildenende Kunst immer wieder in Richtung Literatur. Und ich habe beschlossen, häufiger mal auf Lesungen zu gehen. Denn da werden Bücher lebendig! Ich find es schön, Autoren zu treffen. Aber noch spannender find ich es, wenn sie einem Einblick in ihren kreativen Schaffensprozess gewähren. Und deswegen war die Lesung von Ulrike Anna Bleier im Ehrenfelder Sonnestudio auch eine ganz besondere. Denn die  Edition „Zwölf Farben“ des rhein-wörtlich Verlags stiftet die Autoren jeweils zu einer kleinen „Poetologie“ über ihren veröffentlichten Text an. Warum wir im Sonnenstudio waren und was das alles mit Lüge und Wahrheit zu tun hat, lest ihr hier.

bleier

Miriam – der Text

Ich hab Miriam in einem Happs ausgelesen. Und bin am Ende des kleinen gelben Büchleins noch einmal so richtig überrascht worden. Ulrike Anna Bleier erzählt zunächst auf 40 locker und mit einigem Tempo die Geschichte eines Mannes, der auf Mallorca eine Finca hütet. Er ist ein Betrüger! Er glaubt, alles im Griff zu haben und plant schon die große Abzocke seines Arbeitgebers. Dann verliebt er sich Hals über Kopf in Miriam, die er mit ein paar anderen „Hippies“ in die Finca mitnimmt. Und am Ende … ach nee, besser nicht spoilern. Warum das dann doch nicht das Ende der Geschichte ist, das gehört übrigens zu dem überraschenden Konzept von „Miriam“.

Der Text dreht sich um Beziehungen, liefert immer wieder großartige Beobachtungen von menschlichen Eigenheiten und entwirft auf dem literarischen Reißbrett eine Konstellation, in der es um Lüge und Wahrheit geht. In ihrer Poetologie hat die Autorin später aufgelistet: Es gibt mehrere Arten zu lügen: Es gibt Notlügen (in „Miriam“: null), Zwecklügen (null), vorsätzliche und dissoziale Lügen (sieben), zwanghafte, pathologische Lügen (eine). Am besten lese ich den Text noch einmal, um die entsprechenden Lügen zuzuordnen. Überhaupt: den kann man wirklich mehrmals lesen! Ein großes Vergnügen!

Poetologie

Wie Ulrike Anna Bleier erzählte, existierte der „Miriam“ Text wohl schon länger und war eigentlich für eine andere Publikation vorgesehen. Die Kombination mit der Poetologie habe sie aber ungeheuer gereizt. Tatsächlich ist diese Meta-Ebene eine echte Bereicherung der Erzählung.

Ohne Lügen kann naturgemäß gar keine Geschichte erzählt werden. Es schließt den Selbstbetrug mit ein, denn wer eine Geschichte erzählt, dem kann man nicht glauben und der kann auch sich selbst nicht glauben, was das Schreiben eigentlich unmöglich macht.

Gestern Abend im Sonnenstudio gab es dann eine kleine leuchtende Diskussion zum Thema Lügen in der Literatur, die ich super fand. Ich hab Interessantes dazu gelernt aus den Beiträgen im Publikum. Zum Beispiel: Im Mittelalter galt Dichtung als Teufelszeug. Deswegen haben die frühen Schriftsteller auch immer einen Trick benutzt. Sie stellten ihren Geschichten einen erfundenen Berichterstatter voran, von dem sie die Geschichten angeblich erzählt bekamen.

Das Gespräch über Dichtung und Wahrheit schillerte auch bisweilen ins Philosophische und als es darum ging, dass Lügen für Kinder ein wichtiger Schritt in ihrer Entwicklung seien, verließ der anwesende Vater mit seiner Grundschultochter den Raum. Das kann aber eigentlich nur andere Gründe gehabt haben. Denn ich fand diese Ansicht eigentlich ganz schlüssig. Vor allem, wenn Lügen als etwas definiert wird, das geheimnisvoll ist. Und nicht selten aus Liebe geschieht! Eine Sicht, die uns Ulrike Anna Bleier an diesem Abend mit ihren Geschichten näherbringt.

Wer auch ein schönes Erlebnis mit „Miriam“ haben möchte, der kann es hier direkt beim Verlag bestellen. rhein wörtlich hat es sich übrigens zur Aufgabe gemacht, jede Buchvorstellung in einer Location zu organisieren, die mit dem Inhalt des Buches zu tun hat. Und da „Miriam“ ja auf Mallorca beginnt – was lag näher, als die Lesung in ein Sonnenstudio zu verlegen.

 

Share

2 Antworten zu “Lesung im Sonnenstudio”

  1. Meine Grundschultochter schlief fast ein und musste ja auch heute Morgen schon um 1/4 vor sieben wieder geweckt werden. Wegen Grundschule. So sah’s aus.

Kommentar verfassen