Auguste Rodin in Mons

Was verbindet Rodin mit Belgien? Und was kann ich über ihn Neues erfahren in der Ausstellung „Rodin. Eine moderne Renaissance“, die noch bis zum 18. August im Musée des Beaux-Arts in Mons zu sehen ist? In diesem Beitrag nehme ich euch mit zu einem Ausstellungsrundgang, der sogar noch den Stadtraum von Mons mit einbezieht. Und ich erzähle euch von dem wunderbaren Dialog, den die Künstlerin Berlinde de Bruyckere mit den Arbeiten von Rodin eingegangen ist.

Bei Frau Vogel könnt ihr einen anderen Blickwinkel auf die großartige Ausstellung in Mons bekommen. Große Lese- und Anguckempfehlung (die tollen Fotos!!!)

Der Körper ist eine Form, in der die Leidenschaften ihren Abdruck hinterlassen

Rodin zitiert in der Publikation von 1908, die Judith Claudel über ihn veröffentlicht hat: Auguste Rodin, l’œuvre et l’homme.

Rodin und die Revolution der Skulptur

Ganz klar: mit Auguste Rodin bricht ein neues Zeitalter für die Wahrnehmung von Skulpturen an. Der Künstler ist ein Bahnbrecher der Moderne und beeinflusste die Bildhauerei der nachfolgenden Generationen maßgeblich. Sein Ruhm – vielfach begründet auf Arbeiten wie dem legendären Höllentor oder dem ikonischen Kuss – setzte tatsächlich aber erst so richtig nach seinem Ableben im Jahr 1917 ein. Als er 1871 mit gerade mal 30 Jahren einen längeren Arbeitsaufenthalt in Brüssel unternimmt, kämpft er noch mit der Anerkennung in der Pariser Kunstwelt. Er kommt nach Belgien, um dort eine Reihe von Aufträgen zu übernehmen und nimmt die vielen Impulse um ihn herum dankbar wahr: „Ich verbrachte sechs Jahre in Belgien und hatte Zeit, mich in Rubens zu verlieben. Ich studierte auch die schönen Porträts von Pourbus und De Vos, an denen das Land so reich ist.“

Am Ende seines Aufenthaltes in Belgien startete Rodin zu einer zweimonatigen Italienreise und als er 1877 seine erste lebensgroße Skulptur der Öffentlichkeit in Brüssel präsentiert, vereint er viele künstlerische Eindrücke der hinter ihm liegenden Periode. Mit „Das eherne Zeitalter“ hat Rodin einen bedeutenden Schritt unternommen, die Bildhauerei zu verändern, was sich aber gar nicht mal unbedingt nur an dem Werk selbst ablesen lässt. Das ist ja durchaus noch der klassischen Skulptur verpflichtet, mit zahlreichen Reminiszenzen an die Antike und die Renaissance. Viel spannender ist, dass sich um die Erstpräsentation ein Eklat entwickelte, da man Rodin vorwarf, er habe einfach simpel einen Abguss des Körpermodels vorgenommen.

Rodin ist richtig deprimiert über dieses Urteil, das ihm manche noch als Kompliment verkaufen wollen. Die Skulptur sei doch so lebensecht!!! Am Ende hat ihm jedoch die ganze Diskussion mehr geholfen, künstlerisch ernst genommen zu werden. Auch die Leidenschaft, mit der er und seine Freunde und Bewunderer die Arbeit verteidigt haben, hat zu einem neuen Nachdenken über die Wahrnehmung moderner Skulptur geführt. Keine repräsentativen oder allegorischen Zwecke sollten zukünftig eine Rolle spielen. Sondern der Körper, die innere Spannung und die Bewegung sollten die Impulse vermitteln.

Befreiungsschlag

Rodin ist mir in meinem Leben schon so oft begegnet. Ich erinnere mich an die Exkursion mit der Uni in den achtziger Jahren, als wir im Musée Rodin waren und ich völlig fasziniert vor dem Höllentor stand. Ich erinnere mich an zahlreiche Begegnungen mit dem ehernen Zeitalter im Wallraf-Richartz-Museum und ganz aktuell an mein Kopfschütteln, weil man den Balzac an einen ungünstigen verkehrsumtosten Ort am Neumarkt in Köln platzierte.

Natürlich wusste ich um seine Verdienste, was die Entwicklung der modernen Plastik angeht. Aber mir war nicht bewusst, wie unglaublich kreativ und innovativ Rodin tatsächlich gewesen war. Ich wusste zum Beispiel auch nicht, dass er malte. Und dass seine Zeichnungen zu dem Aufregendsten gehören, was man aus der Zeit der künstlerischen Avantgarde vor 100 Jahren finden kann. Wir hatten das große Glück, die Ausstellung gemeinsam mit Christina Buley-Uribe zu besuchen, die eine absolute Spezialistin für die Zeichnungen Rodins ist. In Mons sind viele seiner Handzeichnungen ausgestellt, die vorher noch gar nicht publiziert wurden. Aufregend!!!!

Was das Malen angeht, so war das oft ein Mittel, um sich Vorbildern und künstlerischen Techniken zu nähern. „Ich habe versucht, Christus zu reproduzieren, und wenn ich mich nicht an die Töne erinnern konnte, bin ich in die Straßenbahn gestiegen und zum Museum gefahren, um es mir noch einmal anzusehen, und dann bin ich nach Hause gefahren und habe sie gemalt“, sagte er einmal in einem Interview. Besonders Rubens hatte es ihm angetan und in Mons sehen wir eine unfertige Fassung. Mir ist aufgefallen, dass sich Rodin vor allem mit dem Inkarnat beschäftigt hat. Etwas, das ich später nochmal erwähnen werde, wenn es um etwas anders gehen wird.

Aber die wirkliche Sensation sind Rodins Zeichnungen. Was für ein Experimentierwille, welche Eigenheit und Innovation. Besonders die sogenannten schwarzen Zeichnungen sind ein Erlebnis. Sie spüren dem menschlichen Körper in einer Weise nach, die die Zeichnungen als „Häutungen“ erscheinen lassen. Rodin experimentierte mit Collagen und ständigen Überarbeitungen seiner Zeichnungen. Es ist sein Labor, in dem er immer näher an den Ausdruck der Seele drängt, den er auch in seinen Skulpturen sucht. Auch spannend ist, dass Rodin lieber Zeichnungen von seinen Skulpturen anfertigte, als sie fotografieren zu lassen. Er wollte die Kontrolle über die Wirkung nach außen behalten.

Diese Freiheit, die Rodin an den Tag legt, seine Zeichnungen auszuschneiden und wieder neu zusammenzusetzen. Sie noch einmal zu überarbeiten oder sehr experimentell zu nutzen – das ist wirklich ungewöhnlich und neu. Er folgt in dieser Vorgehensweise auch symbolistischen Tendenzen in der Kunst. Das geht unter die Haut und versucht, Sinne anzusprechen, die jenseits der rein technischen Mittel zu liegen scheinen. Sie sind mehrdeutig und scheinen aus einer anderen Welt. Ganz sicher stehen sie auch in unmittelbarem Zusammenhang zu dem Höllentor, einem Hauptwerk Rodins, in welchem Dantes Göttliche Komödie eine zentrale Rolle spielt.

In Mons sahen wir eine Reihe an Vorarbeiten zu diesem Werk. Mich hat besonders das kleine Tonmodell beeindruckt. 1880 erhält Rodin den Auftrag, den Eingang zum Musée des Arts Décoratifs in Paris zu gestalten und in ihm gärt es sofort. Er denkt an Lorenzo Ghiberti der zwischen 1425 und 1452 das Tor für das Baptisterium des Florentiner Doms geschaffen hatte. Als Pforte zum Paradies. Rodin arbeitet über 30 Jahre lang an der Idee zum Höllentor und erst nach seinem Tor wird das 6 Meter hohe Werk mit seinen insgesamt 186 Figuren in Bronze ausgeführt. Im Zentrum der legendäre Denker! Rodin arbeitet sich an den Renaissance-Künstlern ab, ist fasziniert von Michelangelo, der in einigen seiner unvollendeten Arbeiten frei und experimentell zu arbeiten schien. Rainer Maria Rilke – für ein paar Jahre Privatsekretär des Bildhauers – schrieb über das unglaubliche Konzept des Höllentors: „So sind die Gebärden der Menschheit, die ihren Sinn nicht finden kann. Gesten, bei denen nur der Ausgangspunkt und der Endpunkt wichtig waren. Das Ergreifen war anders geworden; viel mehr Mutlosigkeit und ein Angehen gegen Widerstände, viel mehr Trauer um Verlorenes. Rodin schuf diese Gebärden.“

Wie unglaublich berührend es sein kann, wenn eine Skulptur solche Leidenschaften deutlich macht, das zeigen viele Arbeiten von Rodin, der nicht davor zurückschreckt Unfertiges oder Unperfektes einzubauen. Da werden Schnitte durch Figuren hindurch genutzt oder auch Fragmente zu sprechenden Skulpturen.

Dialog mit Berlinde de Bruyckere

Und jetzt kommt das ganz besondere Highlight der Ausstellung in Mons. Es ist den Kuratorinnen nämlich ein ganz wunderbarer Coup gelungen, indem sie einige Arbeiten der belgischen Künstlerin Berlinde de Bruyckere in die Präsentation eingebaut haben. Dabei ist man sehr klug vorgegangen und hat das punktuell gemacht. Nur da, wo es sich für den Betrachtenden sofort vermittelt, wurden die Gegenüberstellungen zu einem solchen Genuss in der Betrachtung. Xavier Roland, der Direktor des BAM hat Berlinde de Bruyckere als vielleicht größte Erbin Rodins bezeichnet. Als er ihren Erzengel sah, kam ihm die Idee, ihre Arbeiten in die schon geplante Rodin-Ausstellung einzubauen. Der Körper als Träger des menschlichen Wesens mit all seinen Facetten – das versteht man sofort, wenn man die Arbeiten der Künstlerin sieht. Diese Freiheit, sich auch mit Andeutungen, Assoziationen und jenseits fertiger Bilder auszudrücken, das erkennt man ebenfalls in den Zeichnungen der Künstlerin. Natürlich hat sie Rodin – wie wahrscheinlich jede(r) Künstler(in) die bildhauerisch arbeitet – im Hinterkopf gehabt. Aber anscheinend war sie selber komplett überrascht über die Nähe, die in den Handzeichnungen zu sehen ist.

Die Kuratorinnen haben in einem Raum, wo eine Erzengel-Arbeit de Bruyckeres zu sehen ist, ein Foto groß aufgezogen, dass eine zeichnerische Überarbeitung Rodins von einer seiner Skulpturen aus den Bürgern von Calais zeigt. Eine kleine Nische trennt die beiden Arbeiten, damit man nicht zu sehr in die Falle tappt und denkt: Hoppla, das sieht doch fast wie eine Vorarbeit zum Erzengel aus. Mir ist übrigens angesichts der de Bruyckere Arbeiten nochmal Rubens eingefallen. Weil die Künstlerin gerade da, wo sie so gekonnt mit Wachs gestaltet, diese Idee des Inkarnats verfolgt, unter dem das Leben in den Adern pocht. Ich kann mir vorstellen, dass das Rodin an Rubens begeistert hat und man auf diesem Pfad dann plötzlich bei der Faszination der Arbeiten von Berlinde de Bruyckere angelangt ist. So schließt sich der Kreis und man verlässt die Schau mit einer Fülle an Anregungen, die noch lange nachwirken.

Die Ausstellung „Rodin. Une Renaissance moderne“ ist noch bis zum 18. August 2024 in Mons zu sehen. Das neue Kulturzentrum CAP, in dem sich auch das Museum der Schönen Künste befindet, hat Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung ist ein Katalog in französischer und englischer Sprache erschienen.

Die Ausstellung erstreckt sich noch auf weitere Orte, die das Gesamterlebnis noch abrunden. Im Garten des Bürgermeisters ist eine Version der Bürger von Calais zu sehen, die extra vom nahen Musée royal de Mariemont herbeigeschafft wurde. In der Kirche, die der Stadtheiligen Waltraud gewidmet ist, sind drei Erzengel von Berlinde de Bruyckere zu sehen, die dort eine intensive Wirkung entfalten. Nicht zuletzt auch durch die Begegnung mit dem flämischen Renaissance-Künstler Jacques Du Broeucq, der mit seinen Alabaster-Figuren viele Bezüge auch zu Rodin herstellen lässt.


Transparenz-Hinweis: Zu der Reise nach Mons und zum Besuch der Ausstellung wurde ich eingeladen. Visit Wallonia hat meine Reisekosten und die Unterbringung sowie Verköstigung vor Ort übernommen, zur Fahrt mit dem Eurostar wurden wir ebenfalls eingeladen. Vielen Dank für die großartige Betreuung und Einladung.

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Kommentare

5 Antworten zu „Auguste Rodin in Mons“

  1. Avatar von frauvogel

    Wie schön, deine Sicht auf die Ausstellung zu lesen. Und mit deiner kunsthistorischen Expertise natürlich sehr fundiert.

    1. Avatar von Kulturtussi
      Kulturtussi

      Je mehr ich mich eingelesen habe, desto spannender habe ich es gefunden.

  2. […] Kulturtussi könnt ihr auch was über die Ausstellung lesen. Sie gibt mit ihrer Expertise noch ein bisschen […]

  3. Avatar von Thierry

    Vielen Dank für diesen informativen Beitrag und die Verlinkung zu Frau Vogel, deren Blog ich auf jeden Fall in meine Bookmark-Liste aufnehmen werde. Die Ausstellung über Rodin in Mons klingt wirklich faszinierend. Besonders spannend finde ich den Dialog, den die Künstlerin Berlinde de Bruyckere mit den Arbeiten von Rodin eingeht. Es ist immer inspirierend, wenn verschiedene Künstler sich gegenseitig beeinflussen und neue Perspektiven eröffnen. Vielen Dank auch für die tollen Fotos und die detaillierten Einblicke in die Ausstellung.

    1. Avatar von Kulturtussi
      Kulturtussi

      Das freut mich, wenn ich mit dem Beitrag anregen konnte. Zu Vernetzungen und zum Eintauchen in andere Blickwinkel auf die Kunst.

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