Kunst erleben


Schon lange will ich endlich auch einen Beitrag zur famosen Blogparade von Tanja Praske schreiben. Bislang habe ich mich unglaublich schwer getan, da etwas Geeignetes zu finden. Nicht, weil mir nichts einfallen würde! Nein, ich hab einfach zu viel im Kopf, über das ich gerne bloggen will. Als allererstes kommt mir dies hier in den Sinn! Das ist das faszinierendste Kulturerlebnis des gerade zu Ende gehenden Jahres! Das wird auf jeden Fall noch lange in mir weiterwirken. Dann dachte ich an jenes. Ein spannendes Thema, das der Museumsdienst Köln da gerade vorbereitet und über welches ich laufend blogge. Da mochte ich nicht eine Sache herausheben. Was mir bei der Suche nach einem geeigneten Thema klar wurde: eigentlich berichte ich permanent über faszinierende Kulturerlebnisse. Ich musste also etwas finden, worüber ich noch nicht geschrieben habe.

Als ich dann heute gelesen habe, dass Tanjas Blogparade nur noch bis Mitternacht läuft, war es Zeit, sich zu entscheiden! Ich musste weit zurückdenken – hach, im November werde ich immer so melancholisch. Und plötzlich war mir klar, es konnte nur dieses eine Kulturerlebnis sein! Jenes Erlebnis nämlich, das mir seitdem immer wieder vor Augen erscheint, wenn ich mich frage, was ich an meinem Beruf so schätze. Dem Beruf der Kunstvermittlerin.

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Leider hat mich hier die Rechteproblematik zu einem „Ersatz“ gezwungen. #fromwhereistand im Museum Schnütgen!

Wir schreiben das Jahr 1997 und im Museum Schnütgen wurde eine besondere Ausstellung gezeigt. Beuys und das Mittelalter – in einem Artikel von damals wird sehr schön beschrieben, was für eine außergewöhnliche Kombination durch die Präsentation des Künstlers in diesem Rahmen entstanden war.

Das Publikum des Museum Schnütgen – und da hat sich bis heute nicht wirklich viel geändert – gehört zu den Kunstliebhabern alter Kunst. Es mag Überschneidungen mit Interesse an der klassischen Moderne geben. Aber wenn es um die Erweiterung des Kunstbegriffes in den sechziger Jahren geht, waren schon einige von ihnen nicht mehr so interessiert. Wobei, das ist jetzt vorsichtig ausgedrückt.

Tatsächlich passierte aber damals dies: Eine Gruppe von Museumsbesuchern, die gewohnheitsmäßig zu den offenen Führungen gekommen waren, zeigte sich äußerst zornig überrascht von der Ankündigung, dass ich jetzt mit ihnen über Joseph Beuys sprechen wollte (sie hatten die Ausstellung noch nicht wahrgenommen). Es waren sogar einige darunter, die vehement ablehnten und sich schon zum Gehen umdrehten. Da ich aber meine Begeisterung über die Ausstellung anscheinend überzeugend vermitteln konnte, ließen sie sich zum Bleiben überreden.

Ich habe sie damals sogar noch zu einer weiteren Sache verführt! Nicht nur, dass sie sich einer ihnen bis dato nicht ganz geheuren Kunst öffnen sollten. Nein, dies wollte ich mit der Methode des kreativen Schreibens anregen. Sofort wurde allegemeiner Protest laut, den ich aber auch irgendwie beschwichtigen konnte. Ich habe dann Bleistifte und Papier ausgeteilt und die Teilnehmer in zwei Gruppen sortiert. Die eine Gruppe sollte das Wort „Capri“ in das Zentrum eines Blattes schreiben. Die andere das Wort „Batterie“. Und dann habe ich ihnen erklärt, dass sie zu diesen Begriffen ein Cluster schreiben sollten. Dabei sollten sie sich eine Arbeit von Joseph Beuys genauer anschauen. Die berühmte Capri Batterie.

Die Aufgabe war also, eine Sammlung von allen Assoziationen und Ideen zu dem jeweiligen Begriff und der Betrachtung des Kunstwerkes anzufertigen. Nach einer kurzen Phase der Irritation setzte Stille ein und die Teilnehmer schrieben. Es kamen Worte wie „Sommer“ „Urlaub“ „Energie“ aber auch „Zitronen“ und „Schwefel“ darin vor. Es wurden Erinnerungen wach an einen Italien-Urlaub oder an handwerkliche Fähigkeiten, aus einfachen Materialien etwas zu bauen. Die Nachkriegszeit wurde thematisiert, eigene Erlebnisse und Gefühle. Und all das, ohne dass ich mich als Kunstvermittlerin frontal vor die Gruppe gestellt hätte und ihnen einen Vortrag über Beuys und sein Kunstwerk gahlten hätte. Ich brauchte nur einige der assoziierten Begriffe anzubinden an das Werk. Mehr nicht. Alle wussten schon, worum es ging.

Mein faszinierendstes Kunsterlebnis waren die glühenden Wangen der Teilnehmer dieser Veranstaltung, die selbst überrascht waren, wie nahe ihnen der „Bürgerschreck“ Beuys war. Und wie schön es sein kann, wenn man eine Erkenntnis – auch und vor allem über Kunst – selber erarbeitet hat. Die Erinnerung an diesen Nachmittag wird mich auch in Zukunft immer wieder motivieren, Anleitungen für eine eigene Wahrnehmung der Kunst zu geben.

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6 Antworten zu “Kunst erleben”

  1. Liebe Anke,

    ach, wie wunderbar, dass du noch mitmachst. Der Titel „Kunst erleben“ gefällt mir besonders gut. Eine Kategorie in meinem Blog ist auch so bezeichnet, eine Kategorie, der ich auch mehr Leben einhauchen möchte.
    „Anleitung für die eigene Wahrnehmung“ sollte das Rüstzeug des Kulturvermittlers sein und du hast es hier hervorragend umgesetzt. Ich wäre gerne dabei gewesen, denn als Mediävistin hätte ich wohl auch Berührungsprobleme mit Beuys gehabt, als Kunsthistorikerin dann schon wieder weniger. Vielleicht schaffe ich es bald mal, einer kreativen Führung von dir zu lauschen, denn bislang verfolge ich deine Kreativität nur digital #ZeitfürVeränderungen.
    Ein grand merci hierfür!

    Herzliche Grüße
    Tanja

  2. Liebe Anke,
    bei deiner Führung wäre ich gerne dabei gewesen. Ich bin mit der Kunst von Joseph Beuys groß geworden und kannte ihn auch persönlich. Meine damaligen Freunde konnten mit der Kunst kaum etwas anfangen und haben meine Begeisterung nie verstanden. Ich hätte sie gerne alle mit zu deiner Kunstführung mitgenommen. Überhaupt ist Kunst für viele nicht verständlich, was sie auch nicht sein muss, aber eine offene Ansicht würde ich mir wünschen.
    LG Nicole

    • Liebe Nicole,
      oh, wie spannend. Das musst du mir mal genauer erzählen!! Ja, offen sein ist das Wichtigste. Und den eigenen Eindrücken vertrauen. Da war Beuys ja wahrlich ein großer Lehrmeister. Ich hätte ihn auch gerne persönlich gekannt 😉
      Herzliche Grüße von Anke

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