Erwin Wurm. Bei Mutti


Ein Österreicher in Berlin. Ende der Achtziger hat Erwin Wurm als Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des DAAD eine Weile in der Stadt verbracht. Thomas Köhler, der Chef der Berlinischen Galerie erzählt freimütig, dass er die Liste der ehemaligen Stipendiaten immer wieder als Inspirationsquelle nutzt. Schließlich sei das auch eine Art Who is Who der Kunstszene. Und so passt auch der Österreicher Wurm in ein Ausstellungshaus, das sich vor allem der Berliner Kunst verschrieben hat. (Ich war ganz begeistert von der ständigen Sammlung des Hauses. Begegneten mir dort doch liebe Bekannte aus der klassischen Moderne.)

Das Bloggertreffen mit Erwin Wurm war ein wunderbar zwangloser Rundgang durch die noch nicht fertig aufgebaute Ausstellung „Bei Mutti“. (Freitag wird sie eröffnet. Laufzeit bis zum 22. August).  Es gab eine Menge Input vom Künstler, der sich als Fan engagierter Kulturblogger outete. (Und ja, auch mal das Blog vom Städel freundlich übernommen hat. Was ihn allerdings nicht so nachhaltig zum Fan sozialer Netzwerke hat werden lassen.)

kulturfritzentweet
Das Hashtag #meetupbeimutti fand Erwin Wurm übrigens klasse. Und verriet dann, dass er sich wundern würde, dass ihn noch niemand auf den Begriff „Mutti“ angesprochen hätte. Er habe sich da schon auch auf Angela Merkel bezogen. Mir war das mal kurz in den Sinn gekommen, aber ich hatte die Idee wieder verworfen. Schließlich wird man mit dem Narrow House schon auf die Fährte „Elternhaus“ gesetzt und denkt dann nur noch an Wurms Mutti. Für ihn aber – ohne dass er allzu politisch sich äußern wolle – sei die Öffnung für die Flüchtlinge ein Entwurf eines weltoffenen Europas, der so ganz anders sei als die Enge der Nachkriegszeit, in der Wurm großgeworden ist. Für die nämlich soll das gestauchte Haus in der Sonderausstellung durchaus auch stehen.

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The Narrow House

Ich war schon mal in Bonn im Narrow House, als es vor dem Kunstmuseum stand. Es gibt übrigens zwei Versionen und das in Bonn war etwas kleiner und konnte auch draußen stehen. Die Anekdote, dass es ein genauer Nachbau seines Elternhauses sei, stimmt wohl nur teilweise. Aber vor allem die Inneneinrichtung erinnert sehr an den Stil, in dem seine Eltern ihr Heim in den Siebzigern eingerichtet hatten. Und die steht für eine – sagen wir es mal direkt – spießige und wahrscheinlich auch engstirnige Haltung.

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Foto: Marc Lippuner

Das Haus zu begehen, ist eine ganz besondere Erfahrung. Klaustrophobische Gefühle inklusive. Neben der erzählerischen Ebene gibt es aber auch eine objekthafte. Eine, die sich auf die Bauweise von Fertighäusern bezieht. Erwin Wurm findet deren Existenz bemerkenswert. Eine Architektur, die aus vorgefertigten Versatzstücken besteht. Kein Architekt, der plant und gestaltet. Sondern ein Katalog, aus dem man sich seine schöne neue Welt bestellen kann. Das Haus als zweite Haut, als Körpererfahrung.

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Confessional. (One Minute Sculpture), 2003, Hundehütte, Gebrauchsanweisung. Maße variabel.

One Minute Sculptures

Erwin Wurm kommt modisch gekleidet daher. Graues Sakko aus weichem Stoff. Farblich passende Hosen und Schuhe. Sehr smart und die Schuhe sind praktisch, wenn er mal schnell auf die Podeste klettern muss. (Die sind übrigens auch Teil des Kunstwerks!) Kurioserweise war bei unserem Bloggertreffen das Thema „Mode“ auf einmal sehr präsent. Eine Teilnehmerin war wohl am Tag vorher schon mal da. In Highheels. Nun hatte sie Sneaker an. Weil das doch ein Bloggertreffen sei, wie sie sagte. Ich konnte merken, dass diese Unterhaltung dem Künstler gefiel!

Wurm ist Bildhauer! Versteht den Begriff Skulptur aber ganz neu und sehr weit gefasst. Bestes Beispiel dafür sind seine One Minute Sculptures. Die macht er jetzt seit beinahe 20 Jahren. Im Katalog gibt es mehrere Beiträge zum erweiterten Skulpturenbegriff. Da wird unter anderem auch Beuys mit seiner sozialen Plastik erwähnt.  Ich musste bei der Idee mancher „One Minute Sculptures“ allerdings plötzlich an Franz West denken. Die Passstücke! Gibt es nicht eine Überschneidung? Gerade da, wo sich der Besucher mit einem Objekt vereinen muss. Ich hätte Wurm dazu mal befragen sollen. Aber manchmal mögen Künstler es nicht, wenn man ihre Arbeiten mit anderen vergleicht.

Mit einem lesenswerten Blogbeitrag (geniale Headline!!) hat Annkathrin Kohout noch andere Fragen an den Künstler aufgeworfen, die vor allem auch den Umgang mit Social Media betreffen. „Wurm erkennt nicht, wie einflussreich sein Werk für die Netzkultur sein könnte, begäbe er sich in diese Gefilde.“ Kohout berichtet auch über einen Rechtestreit, den Wurm angestrengt hatte, weil die Band „Echt“ seine „One Minute Sculptures“ für ein Video nachgestellt habe. Urheberrecht, Zitat, Kopie … es ist wirklich in sehr weites Feld, in dem es irgendwann nicht mehr um die Kunst geht. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass ein konkreter Hinweis auf das Original selbstverständlich sein sollte. Auch in den sozialen Netzwerken. (Likes werden schon mal schnell und gerne mit Ideen anderer gefischt!) Die Red Hot Chili Peppers haben ebenfalls ein Video produziert, bei dem die „One Minute Sculptures“ eine tragende Rolle spielten. Hier allerdings korrekt zitiert und auch entsprechend angefragt. (Dass dadurch die Arbeiten durch die berühmte Band eine Wertsteigerung erlangten, ist vielleicht nicht von der Hand zu weisen, steht aber wieder auf einem anderen Blatt.)

RHCP

Zu den „One Minute Sculptures“ gehören Handlungsanweisungen. Da wird genau beschrieben, wie man mit den unterschiedlichen Objekten zu interagieren hat. In der unaufgebauten Ausstellung sah man Podeste, auf denen das Objekt mit einem gelben Post-It seiner endgültigen Bestimmung harrte. Auch ein schöner Einblick in die Idee!

Im Katalog schreibt Thomas Köhler über das performative Element der Skulpturen: „Diese One Minute Sculptures sind deswegen so besonders, weil der Besucher ein unverzichtbarer Teil dieser Kunstwerke ist und durch diese Interventionen der Museumsraum vollkommen neu definiert wird. Der Besucher ist kein reiner „Betrachter“, sondern ein Akteur, der Wurms Anleitungen für sich akzeptieren, sich den Stuhl überstülpen oder den Pullover anziehen muss, damit aus dem Alltagsgegenstand das von Wurm erdachte Kunstobjekt wird.“ Regieanweisungen zur Kunst! Aber Theater sei ihm „wurscht“, sagt Erwin Wurm!

Nordic Sculpture ? (One Minute Sculpture), 2002, Filzstift auf Papier / Felt-tip pen on paper, 29,7 × 21 cm
Nordic Sculpture (One Minute Sculpture), 2002, Filzstift auf Papier /  29,7 × 21 cm

Mir hat vor allem die Serie von Zeichnungen die „One Minute Sculptures“ nähergebracht. Sie wird im Nebenraum präsentiert. Ganz zarte Striche in blau, braun, rot oder schwarz. Ihnen ist eine gewisse Melancholie eigen. Was als nachgestellte Skulptur mit den Objekten vielleicht auf skurrile Weise humorvoll und spielerisch wirkt, bekommt für mich in den Zeichnungen einen Hauch Traurigkeit. Wie die Menschlein da mit Büchern zwischen den Knien oder einem Besen im Po auf dem weißen Papier entworfen sind. Auf sich und die jeweilige Situation reduziert. Das Absurde als Zeichen. 100 Jahre nach Dada!

neueObjekte

Hinten: Snow. 2015, Polyester, Eisen, Acrylfarbe / Polyester, 41 × 180 × 77 cm

 

New Works

Ein Sessel, ein Day Bed und eine Lampe. Wohnzimmermöbel im reduzierten Fifties-Charme. Und dann ist jemand mit einem ordentlichen Tritt über Bett und Sessel gestapft, so dass seine Spuren darin manifestiert wurden. Man denkt unwillkürlich an einen Akt der Gewalt, der Zerstörung. Und dann spricht Erwin Wurm von der Poesie der Materialsensation.

Wurm hat die Möbel erst modelliert, sie bearbeitet und dann abgegossen. Es fasziniere ihn, wie man seine Spuren auf den Gegenständen hinterlassen kann, sich körperlich geradezu in sie hineindrehen kann. Spuren im Schnee. Ich kam dennoch nicht umhin, mir ein zorniges kleines Kind vorzustellen, dass über die Gemütlichkeit des heimischen Wohnzimmers hinwegstapft! Und dann ist der Lampenschirm auch noch aus einem umgedrehten Plastikeimer. Über den Uhrenklassiker von Junghans ist gar jemand mit einem Traktor gefahren. Es ist eine Herrenuhr, die bescheidenen Wohlstand demonstriert. Gehörte sie Vati?

Foto: Marc Lippuner Horse 2015, Bronze, schwarzer Edelrost, Eisen,65 × 203 × 63 cm Lost 2015, Polyester, Eisen, Acrylfarbe, 210 × 201 × ca. 20 cm
Foto: Marc Lippuner
vorne: Horse, 2015, Bronze, schwarzer Edelrost, Eisen,65 × 203 × 63 cm
an der Wand: Lost. 2015, Polyester, Eisen, Acrylfarbe, 210 × 201 × ca. 20 cm

Diese Skulpturengruppe ist in den letzten zwei Jahren entstanden und bringt den klassischen Bildhauer wieder ins Spiel. Die Vorarbeit in Ton, einige der Arbeiten sind in Bronze gegossen worden! Aber auch hier treffen Körperwahrnehmung und die Idee der Transformation aufeinander. Und somit passen sie in das Oeuvre des Künstlers.

Kurzes Gespräch zur Kunstvermittlung

Das Stichwort „Partizipation“ im Zusammenhang mit den „One Minute Sculptures“ hat mich natürlich besonders interessiert. Netterweise hat Erwin Wurm sich die Zeit für einen kurzen Gedankenaustausch genommen.

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Foto: Marc Lippuner

Der Betrachter kann ja nicht das nehmen, was Sie zur Verfügung stellen und damit dann sein eigenes Ding machen. Oder?

Ist so! Das ist im Grunde genommen ein sehr enges und strenges Korsett. Ich lade die Betrachterin, die Besucherin ein, meinen Anweisungen zu folgen und eine Skulptur zu realisieren. Nach meinen Anweisungen. Wenn sie es so macht, wie ich es mir vorstelle, dann ist es eine Skulptur von mir. Wenn nicht, ist es auch okay. Aber dann ist es nicht mehr meine.

Im Netz gibt es ja mehre Beispiele, wo Leute ihre Interaktion mit den One Minute Sculptures einstellen. Interessiert es Sie in irgendeiner Weise, was die Besucher daraus machen?

Ich schaue da immer von Zeit zu Zeit rein. Also, das interessiert mich schon. So wird die Arbeit ja auch rezipiert. Das ist ja auch ein Teil. Es wird ja nicht nur mit Worten in Kunstzeitschriften rezipiert. Sondern wie fassen das Leute auf, die Ausstellungsbesucher sind. Und es ja auch interessant, dass die sozusagen weitermachen wollen. Sich dadurch inspiriert fühlen, etwas Eigenes zu machen. Das finde ich insofern sehr sehr toll.

Ist das auch ein Teil oder ein Ziel Ihrer Arbeiten, den Besucher anzuregen. Oder macht er es nach Ihren Anweisungen und was danach passiert ist Ihnen wurscht?

Das war kein Ziel, das hat sich so ergeben. Es war nicht die Absicht: ich mache jetzt etwas, damit sich das dann ins Publikum fortsetzt. Das wäre ja größenwahnsinnig.

Na ja, aber es könnte ja auch sein, dass diese Anregung mit dem Verlassen des Museumsgebäudes nicht aufhört.

Ja, und das ist großartig.

Können Sie sich noch daran erinnern, als Sie das erste Mal in einem Museum waren?

Ich selbst? Na, das war in Graz. Ich meine, ich bin in einer kunstfremden Welt aufgewachsen. Das hat es nicht gegeben bei uns. Ich war mit meinen Eltern nie in einem Museum. Das war erst durch die Schule. Und in Graz hat es nicht so wichtige Museen gegeben. Da gab es Heimatkunde- oder Freilichtmuseen. Aber die Kunst … in der Schule … oder später bei den Wien-Wochen. So mit 16 oder 17. Da dann erst.

Mit der Schule kann der erste Kontakt mit Kunst ja auch schon mal schieflaufen.

Ja, aber das war nicht der erste Moment. Nicht die Initiation in die Kunst. Ich habe natürlich Bücher bekommen. Von meinen Lehrern. Oder wenn ich Freunde zuhause besucht habe, deren Eltern Kunst da hängen hatten. Das war etwas, was mich hineingezogen hat. Was mich fasziniert hat.
Und dann habe ich mir von dem ersten Taschengeld Bücher gekauft. Hab mir jede Woche quasi ein Buch gekauft und das gelesen. Das war etwas, was mich inspiriert hat. Auch durch Lehrer. Dann auch Brecht und Dürrenmatt. Und wie ich gemerkt habe, dass das eine ganz andere Welt ist als die, aus der ich komme. Dass da quasi eine Tür in eine andere Welt aufgestoßen wird, dann hat mich das mehr und mehr interessiert. Und dann wurde ich da hineingesogen.

Glauben Sie, dass man zu Ihren Anleitungen auch eine Kunstvermittlung, eine Art Hilfestellung braucht? Oder sagen Sie: ich habe das aufgeschrieben, das muss reichen?

Nein, Kunstvermittlung ist immer hilfreich. Es braucht halt jede Arbeit eine eigene Kunstvermittlung. Man kann sie nicht über den Kamm scheren. Und einen bestimmten spezielleren Zugang.

Und den sollte auch jeder haben? Auch bildungsferne Schichten?

Natürlich! Also ich komme aus einer bildungsfernen Schicht. Und bin sozusagen hineingeschlittert in das Ganze. Hineingefallen und dann hineingesogen worden. Hätte mir das nicht irgendwann mal jemand vermittelt, dann wäre ich da niemals hineingeraten. Also, es ist absoluter Nonsens, zu behaupten, dass Kunst nur für einen kleinen Zirkel bestimmt ist. Das wollen natürlich einige. Die wollen es elitär halten und alle anderen ausschließen. Und nur sich selbst quasi zur Geltung bringen. Nur das, was sie denken, als akzeptables Denken darstellen. Das finde ich absolut lächerlich.

In diesem Zusammenhang kann man ja auch die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken (auch Blogs) sehen. Da kann ja jeder seine Gedanken veröffentlichen. Sie haben das Blog vom Städelmuseum eine Zeit lang übernommen.

Ja, ja. Aber ich bin jetzt zum Beispiel nicht … also viele schreien ja nach der Demokratisierung der Kunst. Was hieße das? Das hieße ja, Autorenschaft ist nicht mehr gefragt. Sondern es kann jeder. Das interessiert mich jetzt nicht. Ich bleibe schon dem alten Modell der Autorenschaft treu. Also: ich mache etwas und stelle das dann zur Diskussion. Und das mache aber ausschließlich ich. Basta. Das ist halt meine Welt. Andere machen das anders. Und zu dem stehe ich auch.

Ja, aber Sie haben ja eben auch diesen kleinen Zirkel beschrieben, der unter sich bleiben will. Und da sehe ich doch eine Notwendigkeit, aufzumachen und vor allem zuzuhören, was der Betrachter zu sagen hat.

Ja, aber es gibt immer wieder so Tendenzen, Kunst elitär und ausschließlich zu behandeln. Das hat sich aber nie auf die Dauer durchgesetzt.
Es wird natürlich ab einem gewissen Stadium sowieso elitär, weil es sich die meisten Leute nicht mehr leisten können, Kunst zu kaufen. Das ist natürlich ein anderes Thema. Aber vom Inhalt her … so wie jeder die Möglichkeit haben sollte, Zugang zur Philosophie zu bekommen, sollte jeder auch die Möglichkeit haben, Zugang zur Kunst zu finden. Dass das mit Bildung und Wissenserwerb und Erfahrung zu tun hat, ist klar. Aber es kann nicht ernst sein, dass man das jemandem verwehrt.

Danke, das war ein schönes Schlusswort.

 

Der Blogbeitrag entstand im Rahmen einer Einladung der Berlinischen Galerie. Dafür und für die herzliche Betreuung vor Ort sei noch einmal herzlich gedankt.

Dank auch an Marc Lippuner von den Kulturfritzen, der mir ein paar wunderbare Aufnahmen überlassen hat.

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7 Antworten zu “Erwin Wurm. Bei Mutti”

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