Unsichtbare Räume. Francis Bacon in der Staatsgalerie Stuttgart

Blick in die Bacon Ausstellung

Ein Highlight meiner Blogger-Reise nach Stuttgart fehlte mir noch. Dazu habe ich erst den wirklich dichten und umfangreichen Katalog durchgelesen, der mir ein noch besseres Bild des Künstlers vermittelte. Francis Bacon ist ein Phänomen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder sind rätselhaft und unmittelbar zugleich. Ich fühle eine unerklärliche Faszination, wenn ich sie betrachte. Kann mir diese aber gar nicht so recht erklären. Umso spannender fand ich die Herangehensweise bei der Schau in Stuttgart. Sich nämlich eines besonderen Motivs aus seinen Bildern anzunehmen. Die Käfigstrukturen und Raumkonstruktionen auf vielen seiner Bilder sind augenfällig. In ihnen verdichtet sich die gegenständliche Malerei Bacons und es lohnt, mehr als nur einen Blick darauf zu werfen.  Die Ausstellung „Unsichtbare Räume. Francis Bacon“ läuft noch bis zum 8. Januar und ich kann euch nur raten, schnell noch vorbeizuschauen. Die Gelegenheit,  einer großen Anzahl von Gemälden von Francis Bacon zu begegnen, sollte man sich nicht entgehen lassen.

Der Maler Francis Bacon in seinem Atelier in der Reece Mews in London. Fotografie von Edward Quinn aus dem Jahre 1979
Francis Bacon in seinem Atelier (7, Reece Mews, London), Fotografie von Edward Quinn, 1979. Edward Quinn Archive (c) edwardquinn.com

1909 kommt Francis Bacon in Dublin auf die Welt und wird in eine Kindheit hineingeboren, in die unter anderem die Gründung der IRA fällt. Die Bacons sind Protestanten und anscheinend hat seine Herkunft später auch Bacons Bildthemen beeinflusst, denn es finden sich immer wieder Bezüge zu Religion und auch zur Gewalt im Oeuvre des Künstlers. Sein Outing als Homosexueller führte in jugendlichem Alter zur Ablehnung durch den militärisch geprägten Vater und Francis Bacon musste sich in den Metropolen London, Berlin und Paris alleine durchschlagen. In dieser Zeit entstanden viele langwährende Freundschaften aus den Intellektuellen-Kreisen des frühen 20. Jahrhunderts. Ab 1929 lebt Bacon in London und es ist interessant, dass er sich auch als Innenarchitekt und Designer betätigt – ein Detail in seinem Lebenslauf, das später für seine Malerei noch interessant werden soll. Interessantester Aspekt seiner Biographie ist für mich das im Jahre 1961 bezogene Atelier in der Reece Mews, South Kesington, das er bis zum Ende seines Lebens behalten hat und das wie eine Art Transformator den üppigen Input von Anregungen in diese spezielle Bacon-Ikonographie verwandelt. Die Foto-Aufnahmen des Ateliers, die man in der Stuttgarter Ausstellung sehen kann, haben mich sehr berührt.

Doch nun zu dem Motiv, um das es in der Ausstellung auch gehen soll. Es tritt in verschiedenen Ausformungen in Erscheinung. Zum einen handelt es sich um eine Art Käfig, es kann aber auch in der Form eines Podestes auftauchen. In jedem Falle ist es rätselhaft, man erfasst die Bedeutung vielleicht im Unterbewusstsein. Je länger man darüber nachdenkt, desto rätselhafter scheint es zu werden. Im Museum Ludwig habe ich bei der Betrachtung eines seiner Bilder (Painting, 1946, Second Version 1971) interessanterweise die „Nase“ von Alberto Giacometti im Rücken. Ein Kopf mit überdimensionaler Nase, der in einem Käfig befestigt frei hängt. Könnte mir das vielleicht einen Hinweis geben zur Bedeutung der Käfige bei Bacon?

Fiktive Räume

Im Katalogtext erfahre ich, dass Giacometti durchaus zu den Künstlern gehörte, die für Bacon von Bedeutung gewesen sind (und anscheinend gab es davon nicht sehr viele; Picasso zum Beispiel). Entscheidend sei, so schreibt Lauren Barnes, dass Giacometti seine Arbeiten nach dem Leben schuf, während Bacon fiktive Räume schaffe, die eine „drastische Distanz zum Betrachter etablieren.“ Christian Spies führt dieses in seinem Katalogtext noch weiter aus, indem er deutlich macht, dass es sich bei Bacon keinesfalls um Bühnenräume handele (man ist ja beim ersten Betrachten schnell geneigt, da durchaus Bühnen in den Podesten zu sehen). Nein, es seien „alternative Raumkonstruktionen“ so Spies. Und er spricht von Bilddramen, in denen sich die Betrachter gemeinsam mit den dargestellten Figuren wiederfinden. Ich kann nur sagen, dass man sich nach der Begegnung mit Bacons Bildern schon ein wenig gebeutelt zurückgelassen fühlt. Das Dargestellte greift einen an. Aber nicht dergestalt, dass man sich in eine wie auch immer geartete Geschichte hineingezogen fände. Nein, es funktioniert auf einer anderen Ebene. Denn Narration, das hat Bacon mehrfach betont, ist seine Sache nicht.

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Francis Bacon, Porträtstudie VII, 1953, Öl auf Leinwand, 152.5 x 117 cm, The Museum of Modern Art, New York, gift of Mr. and Mrs. William A. M. Burden, 1956 © Photo SCALA Florence © Estate of Francis Bacon. All rights reserved/VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Der Papst

In den Jahren 1949 bis 1971 hat Francis Bacon rund 50 mal das Porträt eines Papstes gemalt! Eine erstaunliche Obsession hat ihn bezüglich des Bildes befallen, das Diego Velazquez im Jahre 1650 malte und das sich heute in Rom im Palazzo Doria Pamphilii befindet. Bacon hat das Original übrigens nie gesehen. Sich aber jedes Buch mit Abbildungen besorgt, dessen er habhaft werden konnte und dieses außergewöhnliche Porträt des angeblich sehr jähzornigen Papstes wie besessen studiert.

Der Schrei

In seinen Papstbildern taucht häufig auch ein anderes Motiv auf, das sich durch Bacons Oeuvre zieht. Der Schrei! „Tatsächlich wollte ich den Schrei malen als das Entsetzen. ich glaube, wenn ich besser darüber nachgedacht hätte, was einen zum Schreien bringt, wäre mir der Schrei (…) besser gelungen.“ Es scheint ihm um eine existenzielle Angelegenheit zu gehen. Vor allem, wenn man die Schreie in mehrfacher Ausführung studieren kann, wird deutlich, wie sehr er auf der Spur von etwas Triebhaftem ist. Besonders deutlich wird dies in seinen Schimpansen-Bildern. Die Staatsgalerie besitzt eines dieser Bilder, das Bacon 1952 malte. Hier wird zwischen Auflösung und physischer Präsenz ein Aspekt herausgeschält, in welchem sich Mensch und Tier gleichen. Und die klaustrophobischen Käfige, in die er seine Männer sperrt, sprechen für diese Betrachtungsweise der Figuren als ähnlich gesteuerte Kreaturen.

Ringen um ein gutes Bild

Bacon gehört heute zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder zu den höchst gehandelten der Kunstszene. Ein erstaunlicher Erfolg des Künstlers, der nie eine Akademie besucht hat und der einen Großteil seiner frühen Arbeiten zerstört hat, weil er sie nicht für gut befand. Angeblich hat er auch einmal ein bereits an die Tate verkauftes Bild zurückhaben wollen, weil er unbedingt noch etwas ergänzen wollte. Hat vielleicht das Motiv des Käfigs auch etwas mit diesem Ringen um jedes einzelne Werk zu tun? Besonders spannend fand ich in diesem Zusammenhang die Papierarbeiten, die in der Ausstellung gezeigt werden. Es sind zum großen Teil Fundstücke aus seinem Atelier, das man irrwitziger Weise von London nach Dublin transferiert hat. (Bacon wollte diese wohl eher für sich behalten und hat häufig behauptet, es gäbe keinerlei Zeichnungen zu seinen Bildern.) Und auf den Notizzetteln, Zeichnungen, Skizzen aber auch ausgerissenen Fotografien sehen wir es. Das Umkreisen eines Motivs, das Festhalten, das Herausschälen.

Das Einfangen des Bildes

Zeichnung von Francis Bacon. Figur mit ausschwingendem Arm. Wohl um 1959-1961 entstanden.
Francis Bacon, Skizze einer Figur mit ausschwingenden Armen, um 1959-1961, Öl auf Papier aus einem Spiralzeichenblock, 34 × 27 cm, Tate, © The Estate of Francis Bacon. All rights reserved / VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Oft hat Bacon selber davon gesprochen, dass er die greifbaren Eigenschaften eines Bildes auf der Leinwand festhalten will. Er hat seinen Schaffensprozess so beschrieben, dass er eine erste Grundidee habe von dem, was er darstellen möchte. Dass ihm dann eine Struktur dabei helfen könne, die wie ein Gerüst sei. Auch wenn sich das Motiv des Käfigs oder des Rahmens nur bei ungefähr einem Drittel seiner insgesamt fast 600 Gemälde zu sehen ist: es scheint ein wesentlicher Motor seiner Malerei zu sein.

Apropos Malerei. Beim Gang durch die Ausstellung und dem Betrachten der Gemälde fällt einem die Behandlung der Farbe ins Auge. Vor allem, wie sie sich von den dunkleren frühen Arbeiten hin zu den farbenprächtigen Werken der späten Jahre verändert. Obwohl Francis Bacon mit Recht als gegenständlicher Maler bezeichnet werden muss, stellt einen die Behandlung des Malerischen doch ein wenig auf die Probe. Was hat es zum Beispiel mit dem fast gestischen Aufpeitschen von Farbe auf sich, das den Betrachter irritiert. Vor allem, wenn man doch weiß, wie sehr er die Kunst des Abstrakten Expressionismus ablehnte.

Pia Littmann hat im Katalog der Besonderheit von „Paint“ und „Colour“ nachgespürt und sich mit der Bedeutung für den künstlerischen Prozess bei Bacon beschäftigt. Unter anderem verweist sie dabei auf ein sehr spannendes Interview, das David Sylvester mit Bacon geführt hat und das man hier verfolgen kann. Da beschreibt Bacon, wie es ihm darauf ankommt, zunächst auf die Empfindungen des Betrachters einzuwirken und dann sich erst langsam das Faktische Bahn brechen sollte. Dazu nutzt er ein impulsives Auftragen von Farbe, das er allerdings gezielt einsetzt. Besonders spannend finde ich seine Nähe zu van Gogh, ein weiteres Vorbild aus der Kunstgeschichte, dem er nachspürte.

Und so geht man aus der Ausstellung heraus mit einem Kopf voller Bilder. Es sind nicht nur die Originale, die einem in Erinnerung bleiben. Sondern auch die zahlreichen Bezüge auf Vorbilder, kollektive Bilder und Fotos, die sich ins Gehirn eingebrannt haben. Vielleicht ist es das, was die Faszination von Francis Bacon ausmacht. Dass er ein Zeit-Raum-Konstrukt schafft, in welchem man zwischen Beobachtung und Erfahrung hin- und her gerissen wird.

Die Ausstellung ist nur noch bis zum 8. Januar in der Staatsgalerie zu sehen und ich empfehle sie allen, die jetzt noch die Gelegenheit wahrnehmen wollen. Ich kann aber auch allen, die es nicht mehr schaffen, den Katalog wärmstens ans Herz legen. Denn die Beschäftigung mit diesem großartigen Künstler lohnt auch über den Ausstellungsbesuch hinaus.

 

Der Beitrag entstand im Rahmen der Bloggerreise #kulturherbststuttgart, die von der Stuttgart-Marketing GmbH und ausgewählten Partnern initiiert und finanziert wurde.

 

 

 

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