Annäherung an Polke


Seit gut einer Woche ist im Museum Ludwig die posthume Retrospektive des Künstlers Sigmar Polke zu sehen. Eine Ausstellung, so Kuratorin Barbara Engelbach, die noch lange in die aktuelle Künstlergeneration hineinwirken wird. So, wie Polke schon für die Generation der siebziger und achtiziger Jahre eine bahnbrechende Wirkung hatte. Was die Zukunft anbelangt, muss man abwarten. Es ist aber unbestreitbar, dass in Köln momentan eine spannende Reise in die zeitgenössische Kunst unternommen werden kann. Ich sage euch: die Ausstellung MUSS man gesehen haben. Ich war schon einmal dort. Werde aber sicher noch mal hingehen. In meinem heutigen Beitrag versuche ich eine erste Annäherung an das, was dort präsentiert wird.

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Beim ersten Durchgehen

Ich fühlte mich ein wenig erschlagen. Man muss sich mal vorstellen: 250 Arbeiten sind über mehrere Ebenen verteilt. Tatsächlich mit ordentlich Luft um die einzelnen Werke. Die Wandtexte sind gut geschrieben – keine Frage. Aber ich bin einfach zu ungeduldig für Wandtexte. Und wollte mir erst einmal einen Überblick verschaffen. Musste dann aber erkennen, dass man den Überblick nicht mal eben im Schnelldurchlauf bekommt. Und ich glaube auch, dass man sich Polke in seinen vielen Facetten erst durch eine intensive Auseinandersetzung erschließen kann. Den Künstler erfasst man nicht beim ersten Treffen. Was aber auch nicht schlimm ist. Übrigens: wenn die Zeit nur für einen einmaligen Besuch reicht, lohnt es sich trotzdem. Auch wenn man nicht alles mitnimmt, es bleiben ein zwei Gedanken auf jeden Fall hängen. Das ein oder andere Bild brennt sich ins Gedächtnis ein. Dass Polke einen berührt, steht außer Frage. Aber es gibt ja am Ende keine Prüfung, bei der man den Nachweis der Vollständigkeit erbringen muss.

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Wat dat all kost

Sorry, wenn ich jetzt so unvermittelt ins Kölsche verfalle. Das kommt von einem Erlebnis bei der Pressekonferenz, das mich irritiert hat. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Presse mit gewetztem Bleistift auf der Suche nach Haaren in der Suppe waren. Die ersten Fragen drehten sich um die Kosten, darum, warum Köln erst die dritte Station der Ausstellung sei (vorher MoMA und Tate Modern) und warum die fördernden Unternehmen und Institutionen soviel reden durften. Letzteres hat mich schon auch ein bisschen ermüdet und ich bin auch der Meinung, dass man innovativere Möglichkeiten finden könnte, die Unterstützer ausgiebig zu präsentieren. Doch ist das nun mal der Lauf der Dinge, wenn man auf Geldspritzen angewiesen ist. Vielleicht ist es aber auch typisch, dass sich bei Polke immer so eine latente Spannung in der Luft befindet. Da wird nicht nur abgenickt. Auch die spannende Frage, ob Polke die Retrospektive in Köln hätte haben wollen, machte schnell die Runde. Mir war das übrigens gar nicht so bewusst, dass er so Anti-Köln eingestellt war. Aber so eine Haltung gegenüber der Heimatstadt (und irgendwie war Köln das für Polke ja lange Jahre) sieht man öfter mal bei berühmten Künstlern. Max Ernst hat ja auch mal die Ehrenbürgerschaft von Brühl abgelehnt! Aber die Frage ist eh müßig, ob Polke das gewollt hätte. Zumindest hat er das Konzept der Ausstellung mit der New Yorker Kuratorin Kathy Halbreich intesiv besprochen. Und beispielsweise auch die chronologische Hängung verfügt. Die erfordert dann allerdings auch ein konzentriertes Herangehen an den Polke Kosmos.

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Alibis

Alibi: lat. zu alibi „anderswo“, aus alius „ein anderer“ und ibi „da, dort“.

Im Katalog beschreibt Kathy Halbreich dass es das Mißtrauen Polkes zu überwinden galt, welches jener gegenüber einer alle seine Medien umfassenden Schau gehabt habe. Es habe ihm gefallen, als ein Unangepasster ohne einen wiedererkennbaren Stil zu gelten. Und diese Attitüde sei quasi seine ästhetische Methode gewesen. Sie spielt die Rolle eines Alibis. Der Katalog ist übrigens ein wahres Prachtexemplar und liefert nicht nur gut zu lesende kunsthistorische Einordnungen Polkes. Man erfährt an vielen Stellen von sehr persönliche Verbindungen zum Künstler. Eine Entdeckung für mich war der grandiose Beitrag von Jutta Koether. Nicht nur weil ich die Künstlerin schon seit vielen Jahren persönlich kenne. Sondern weil ich es äußerst spannend fand, wie sie die Rolle Polkes für ihre eigene Entwicklung beschreibt. Nicht von ungefähr zieht sie dabei die Kreise auch in Richtung der Pop-Musik. Zu Iggy Pop und Bowie beispielsweise. Jutta Koether war lange Jahre eine der wichtigsten Figuren bei der Zeitschrift „Spex“. Ihr Text „Bad Dad“ ist das reinste Lesevergnügen. Mit Wortschöpfungen wie Polke-Wolke! Ich mag solche sprachlichen Glanzstücke. Und da Sprache im Werk Polkes eine zentrale Rolle spielt, ist dies eine wunderbare Möglichkeit der Annäherung an den Großmeister.

„connection relfection neglection correction erection“ zitiert Jutta Koether Polke aus dem Jahre 1977 und weist darauf hin, dass dies im Grunde die damaligen Bedingungen der künstlerischen Produktion in der BRD waren.

Huddel en détail

Ich sammele gerade noch die vielen Eindrücke und taste mich weiter voran. Nachdem ich ein bisschen im Katalog gelesen habe, muss ich unbedingt mal wieder durch die Ausstellung gehen und mich selber sortieren. Im Moment kreist noch alles relativ chaotisch durch meinen Kopf. Jugendgefährdende Fotos und Filme. Ganz strenge Zahlenbilder. Popartige Raster. Ein Haus aus Kartoffeln. Hochsitze. Alice hinter den Spiegeln. Ich erinnere mich, 1997 in der Bonner Ausstellung gewesen zu sein.  Mir blieb besonders die Laterna magica im Gedächtnis. Auch das wohl am meisten zitierte Bild „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ hat sich mit seiner subversiven Ironie in meine Gedanken eingeschlichten. Ein kleiner Tritt vor Malewitschs Schienbein…

Vor meinem geistigen Auge steigen die Erlebnisse zahlreicher Führungen durch das Museum Ludwig auf. Wie es immer wieder eine Herausforderung war, die Komplexität des Polkeschen Gedankengebäudes den Besuchern zu vermitteln. Bei Bildern wie „Fensterfront“ (1994) oder dem geschütteten Dispersionsfarben-Kopf auf Tweed (1986) habe ich die klassische Führung immer als besonders schwierige Vermittlungsvariante empfunden. Mit kreativem Schreiben hingegen die wunderbarsten Erlebnisse mit den Besuchern erfahren.

(Ich habe mich übrigens dagegen entschieden, die Pressebilder für meinen Beitrag zu verwenden. Weil ich befürchte, ich verpenne das Löschen drei Monate nach Ende (5. Juli).)

Eine kleine Papierarbeit mit dem Titel „Huddel en détail“ ist mir bei meinem ersten Besuch in „Alibis“ besonders ins Auge gestochen. Sie stammt aus dem Jahre 1982. Und trägt diese – offensichtlich aus einer Zeitung ausgeschnittenen – Zeile. Darüber steht „Düster und eisig“ – ebenfalls aus der Zeitung. Das hat bei mir natürlich sofort offene Synapsen berührt. Denn ich selber bin ja ständig dabei, ähnliche Fundstücke für meine Wortschätze aus Zeitschriften auszuschneiden. Ganz besonders gefiel mir in diesem Zusammenhang die Interpretation von Matthias Mühling, der im Katalog Huddeln als Synonym für Polkes ideologiekritische Haltung und ironische Distanz zum Kunstbetrieb bezeichnet hat. Kennt ihr überhaupt den Ausdruck „Huddeln“? Der ist schon irgendwie rheinisch. Und bezeichnet so ein oberflächliches schnelles Rangehen an eine Sache. Nicht ordentlich halt. Huddel und Brassel.

Ihr seht, es gibt eine Menge zu entdecken in der fantastischen Polke-Ausstellung. Lasst sie euch nicht entgehen. Und wenn ihr hingeht, berichtet mal, was ihr dort erlebt habt.

 

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2 Antworten zu “Annäherung an Polke”

  1. Hallo Anke,

    mir ist ja gestern bei deinem Beitrag ein Satz aufgestoßen…..“ich habe mich übrigens dagegen entschieden, die Pressebilder für meinen Beitrag zu verwenden. Weil ich befürchte, ich verpenne das Löschen drei Monate nach Ende (5. Juli).)“ …Wenn man, wie wir über Kultur berichtet, dann braucht man Bilder, ein Blog ohne Bilder wird vermutlich gar nicht gelesen.
    Da macht jeder auf ganz unterschiedliche Art, mit ganz unterschiedlichen Hintergrund und aus vielleicht ganz unterschiedlichen Beweggründen. Was uns eint ist die Freude an Kunst und Kultur und manchmal gelingen uns (ich spreche hier mehr von mir, da ich manchmal 10 Std am Tag meinem Broterwerb nachgehe und es mir deshalb nicht immer gelingt) Beiträge, die diese Leidenschaft vermitteln, sie sind quasi unsere „Baby“, wenn wir dann die für den Blog verwendeten Bilder wieder löschen müssen, dann rauben wir ihnen ihre Seele. Ich bin Bloggerin und die Einkünfte, die ich mit meinem Blog erziele, decken bei weitem nicht mal die Parkgebühren oder die Eintrittskarten (wenn ich nicht akkreditiert bin).
    Wir machen also kostenlose Werbung und können nur mit Einschränkungen, das „Produkt“ zeigen, was uns bewegt.
    Ich dachte wenn ich die Bilder selbst mache und die Erlaubnis habe, wäre ich auf der sicheren Seite, ich habe sie sparsam verwendet und nach deinem Blog, die „alten“ Blogs in Quarantäne geschickt, immerhin kann ich meine „Babys“ noch sehen 😉

    • Hallo Ilka,
      tja, deine Argumente kann ich natürlich nur allzu gut nachvollziehen. Ich kann dir aber zu der Frage der „sicheren Seite“ leider nichts Verbindliches sagen. Ich weiß nur, dass es allerseits große Unsicherheiten gibt. Und man muss eben sehen, dass das Museum ja auch nicht die alleinige Entscheidungsgewalt hat. Wie sich das bei Polke aufteilt, weiß ich nicht. Und ich weiß auch nicht, ob da eine Unterscheidung zwischen normaler Presse-Erlaubnis und Blog-Verwendung gemacht wird. Ich hab mal im Museum nachgefragt. Mal schauen, ob die dazu etwas sagen.
      Ich kann nur sagen, dass ich mich bei zeitgenössischer Kunst sehr vorsichtig verhalte…

      In Falle meines Beitrages hier war ich aber ehrlich gesagt auch gar nicht so drauf aus, Bilder aus der Ausstellung zu zeigen. Mir ging es ja um etwas anderes.
      Aber wie gesagt: heikles Thema.
      Auf dem stARTcamp in Münster werden wir noch mal eine Diskussionsrunde zum Thema Museumselfies haben und das berührt natürlich auch diverse Abbildungsfragen.

      Wenn du irgendwas hörst in dem Zusammenhang kannst du das gerne hier auch posten.

      Herzliche Grüße
      Anke

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