Ein Spaziergang durch die Gartenkunst
Meine Reise zu den bemerkenswertesten Gärten der Wallonie geht weiter. Auf Einladung von Visit Wallonia ging es nun zu den wirklich unglaublich bemerkenswerten Wassergärten von Annevoie.
Kaum durch den Eingangsbereich getreten, hört man schon das leise Knirschen eines perfekt geharkten Kiesareals. Und dann: das Rauschen von Wasser. Kein Wunder: Auf nur acht Hektar verteilen sich hier rund 50 Fontänen und Wasserspiele, gespeist von einem Bach, einem großen Kanal und einem Teich – alles im reinen Schwerkraftbetrieb, seit 1758 ohne eine einzige Pumpe. Selbst im Winter sprudelt das Wasser dank seiner konstanten Temperatur von ca. 8 – 14 °C unbeeindruckt weiter. Ein Besuch in den Wassergärten von Annevoie ist ein sinnlicher Genuss vom Feinsten.
Erfunden wurde dieses Paradies vom Schmiedemeister Jean de Montpellier, sein Sohn Charles-Alexis verfeinerte dann das Konzept und brachte viele Anregungen von berühmten Gärten aus ganz Europa mit ein. Er war auch derjenige, der die interessanten Skulpturen in den Garten installiert hat. Von weitem sehen sie aus wie die typischen Marmorstatuen, die man gerne hat in Schlossgärten. Bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich aber als quasi potemkinsche Dörfer bzw. Skulpturen, weil sie nur zweidimensional aus Eisenguss erstellt wurden.
Europäische Gartenkunst
Beim Gang über das weitläufige Gelände der Wassergärten von Annevoie erlebt man einen ständigen Wechsel an Sichtachsen aber auch an unterschiedlichen Stilrichtungen der historischen Gartenkunst. Da wäre zunächst das allgegenwärtige Vorbild Versailles. „Der Triumph der Ordnung über die Unordnung der Natur“ – so hätte André Le Nôtre wohl seine Auffassung eines perfekten Gartens beschrieben. Lange, schnurgerade Perspektiven lenken den Blick scheinbar bis ins Unendliche, während Formschnittpflanzen die Natur zähmen.
In Annevoie begegnen wir aber auch dem italienischen Esprit. Hier wird in der Gartengestaltung mit hier ein paar Windungen und dort einem Gefälle gespielt. Das „Buffet d’eau“ plätschert über mehrere Stufen – ein genialer Effekt, ganz ohne Technik. Überraschung des Tages ist die Kopie des Wildschweins, das jeder Florenzbesucher wohl kennt als das „Porcellino“, dem man traditionell die Schnauze reibt, wenn man wiederkommen will …
Im 19. Jahrhundert ganz weit vorne war die Mode des englischen Gartens, den wir auch in den Wassergärten wiederfinden. Rundwege, Wiesen, unregelmäßig gesetzte Bäume – doch alles ist geschickt arrangiert. Wer genau hinsieht, erkennt die englische Kaskade, die natürliche Wildheit bloß vortäuscht. Jean-Jacques Rousseau hätte seine helle Freude daran gehabt.
Aber noch einmal zurück zu den Wasserspielen. Ursprünglich entstand das Wassernetz, um Schmiedehämmer anzutreiben. Bis heute funktioniert es allein durch Gefälle: Der Hochteich liefert das Gefälle, der große Kanal verteilt das Wasser, eine fein verzweigte Infrastruktur aus unterirdischen Steinen reguliert Höhe und Druck. Ein nachhaltiger Ingenieurs-Lehrgang en plein air! In einer sehr nett anzuschauenden kleinen Museumspräsentation erfährt man viel über die technischen Details und kann auch noch ein paar historische Rohre und Düsen bestaunen.
Fast 300 Jahre blieb das Anwesen in Familienbesitz, ehe es 2000 an einen Verwalter ging, der bedenkliche Veränderungen vornahm. 2017 übernahmen Ernest-Tom Loumaye und seine Frau die Gärten in ihre Stiftung „Domaine Historique du Château des Jardins d’Annevoie“. Nach sieben Jahren Restaurierungs- und Wiederherstellungsarbeit erstrahlt die Anlage seit 2024 wieder so authentisch, dass sie unbedingt auf die Liste des außergewöhnlichen Kulturerbes der Wallonie gehört.
Meine Lieblingsplätze in Annevoie
- Die Seufzer-Allee
Ein schattiger Laubengang, in dessen Mitte die Liebesfontaine steht: Drückt man gemeinsam den Wasserstrahl am Stein herunter, springt er hoch, sobald man loslässt. Ein herrlich kindisches Vergnügen an einem schwül-heißen Tag! - Der große Kanal
Heute spiegelt er nur noch Wolken, doch einst glitten hier kleine Boote. Dank neu angelegter Terrassen lässt sich nun eine komplette Runde laufen, ohne umkehren zu müssen. - Das Wasserschloss
Schloss und Garten bilden eine perfekte Einheit – ganz im Sinne des französischen Gedankens, dass der Garten eine „verlängerte Wohnstube“ ist. Die aktuellen Besitzer nutzen es privat, doch der Anblick über die Hauptachse bleibt allen Besucher-Augen offen.
Die Wassergärten von Annevoie sind kein Museum, sondern ein lebendiger Dialog zwischen Wasser, Stein, Pflanze und Mensch – gespeist von 250 Jahren Ingenieurskunst und Gartenphilosophie. Wer hier durch die Alleen schreitet, erlebt gleich drei Epochen der Gartengeschichte auf einmal und gibt sich ganz dem Zauber des Wassers hin.
Transparenzhinweis: Ich wurde von Visit Wallonia zu dieser Reise eingeladen. Die Kosten für Unterbringung, Verpflegung sowie sämtliche Eintritte und Führungen wurden vollständig von Visit Wallonia übernommen. Es bestand keine Verpflichtung zur Berichterstattung, meine Meinung bleibt davon unbeeinflusst.