Gut gelungen: besser scheitern!


Manchmal sage ich Blogger-Reise-Einladungen zu, weil ich die Institution und die Menschen dahinter näher kennenlernen will. Diesmal hat mich aber zunächst das Thema und die zu erwartende Präsentation gelockt. Und zwar zu der Ausstellung „besser scheitern“ im Rahmen der Internationalen Tage in Ingelheim. Dass ich darüber hinaus noch einiges Interessantes über Ort und Veranstaltung erfahren habe, war ein schönes Plus. Die Chancen stehen gut, dass ich nicht zum letzten Mal dort war. So kann man sicher an dieser Stelle schon mal sagen: Mission completed!

Am Bahnhof, in der Fußgängerzone, vor einem Friseur, in einem Blumenladen, an einer Supermarkt-Rolltreppe, als Zwischennutzung in einem ehemaligen Einrichtungsgeschäft, im Hinterhof, im Gymnasium, im Sportgeschäft und im Jugendzentrum! Das sind die Orte, an denen die insgesamt 14 Videos der Ausstellung „besser scheitern“ installiert worden sind. Lediglich das Museum bei der Kaiserpfalz und der Kunstverein sind das Kunstpublikum gewohnt. An allen anderen Stellen gibt es spannende Rezeptionsbedingungen. Doch dazu später mehr.

Bahnhof Ingelheim
Ausstellungszentrum „besser scheitern“

Ich wollte das sehen!

Eine kleine Geschichte des Scheiterns von mir. Es gab eine Arbeit, die wir bei unserem Rundgang ( insgesamt waren wir zu vier Bloggerinnen unterwegs) am Donnerstag nicht gesehen hatten. Da vor der Pressekonferenz am nächsten Tag noch Zeit genug war, wollte ich sie mir der Vollständigkeit halber ansehen. Guy Ben-Ner: „If only it was as easy to banish hunger by rubbing the belly as it is to masturbate“ sollte im Kunstverein Ingelheim gezeigt werden. Ich traf auch zwei sehr geschäftige Menschen dort an, die Video-Installation lief aber noch nicht.

Da mich der Titel der Arbeit nicht so richtig angestachelt hatte, war es mir auch nicht so wichtig. Der Name sagte mir ein bisschen etwas, aber es gab für mich keine gesteigerte Motivation, da dranzubleiben. Warum diese Situation sich jedoch zu einem besseren Scheitern drehte, veranschaulicht einen spannende Aspekt des Ausstellungs-Themas. Irgendwie hatte es mich dann nämlich doch gepiekt, dass mir eine Position fehlte und ich fing an, der verlorenen Installation nachzurecherchieren. Und dann war ich sehr gebannt.

Spannend, wie der Künstler mit Zitaten umgeht (in diesem Falle eines von Diogenes) und was er als Filmperfomance mit sehr persönlichen Bezügen entwickelt. Ich habe mir dann noch einige andere Videos des Künstlers angesehen. Das Video, was in Ingelheim gezeigt wird, habe ich noch nicht gefunden. Aber ich werde sicher dranbleiben und ein Auge drauf halten. Es hat sich also etwas verändert und sogar zu einer neuen Qualität der Auseinandersetzung geführt. (Vielleicht fahre ich zur Finnissage am 14.7. noch mal nach Ingelheim)

Hamburg – Ingelheim

Eigentlich wurde hier aus der Not eine Tugend gebastelt. Denn normalerweise finden die Ausstellungen zu den Internationalen Tagen immer im Alten Rathaus in Nieder-Ingelheim statt. Da wird aber noch bis übernächstes Jahr renoviert. Ulrich Luckhardt leitet das jährliche Kultur-Event seit 2012 und hat zuvor lange Jahre an der Hamburger Kunsthalle gewirkt. So konnte er auf dortige Ressourcen zurückgreifen und hat mit Brigitte Kölle eine ehemalige Kollegin für die besondere Situation der diesjährigen Internationalen Tage gewinnen können. Deren Erfolg mit der Ausstellung „besser scheitern“ motivierte sicher, das spannende Thema für Ingelheim noch einmal anzuspassen.

In der Kunst ist das Scheitern als nötiges Wagnis, als Form des Experiments, schon immer eng mit dem künstlerischen Schaffensprozess verbunden gewesen“ schreibt Kölle in der Einleitung des Begleitheftes. Und führt weiter aus, dass „das gesicherte und vertraute Terrain verlassen und Außergewöhnliches gewagt wurde.“ Sie meint damit die Kunst, aber man könnte es fast auch hier für die Neu-Präsentation ihrer Ausstellung lesen. Die Leiterin der Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle hat sich aus dem Ausstellungsraum hinausgewagt, einige neue Positionen mitgebracht und zeigt sich jetzt auch gespannt auf die Reaktionen des Publikums.

Marina Abramovic
Marina Abramovic, Art must be beautiful, Artist must be beautiful, 1975

Experiment

Es ist das erste Mal, das die Internationalen Tage in Ingelheim sich in die kleine Stadt hinaus ausbreiten. Und sicher werden nicht alle zufällig mit der Kunst konfrontierten Passanten erfassen, was man ihnen dort serviert. Annekathrin Kohout prophezeit: „Durch ihre Standorte stellt die Ausstellung unweigerlich auch Fragen danach, was Kunst bewirken kann. In Ingelheim und bei Menschen, die sonst niemals ein Museum betreten würden. (…) nicht mehr und nicht weniger, als nicht-künstlerische Videos es bewirken könnten.“ Und auch beim Deutschlandfunk bleibt man skeptisch.

Anika Meier berichtet von ein paar typischen Begegnungen zwischen Kunst und Bewohner. Sie zeigen, dass durchaus etwas passiert, wenn man die Kunst zu den Menschen bringt. Wenn auch nicht auf der Ebene intellektueller Reflektion – aber ob das die einzig mögliche Rezeption sein muss, steht auf einem anderen Blatt.

Ich finde die Orte wunderbar gewählt und es bieten sich jede Menge spannender Gesprächsanlässe. Meiner Erfahrung nach entwickeln die sich vielleicht nicht ganz automatisch oder auch erst nach einer gewissen Phase der Eingewöhnung. Vielleicht sind die Friseur-Mitarbeiter erst genervt (oder geschockt, weil eine blanke Brust zu sehen ist). Wenn sie aber Marina Abramovic täglich beim quälenden Bürsten zusehen (11.00 bis 20.30 Uhr) kommt ihnen vielleicht auch irgwendwann die Analogie zum Thema Schönheit und Leiden in den Sinn.

Super, wenn sich im Jugendzentrum jemand findet, der die Kids animiert, sich mal das Video von Tracey Emin anzusehen, ihnen vielleicht kurz etwas dazu erzählt und dann fragt, ob sie schon einmal ähnliche Situationen erlebt haben. Ich möchte wetten, dass das richtig rund ginge. Denn die Situation, die Emin hier aus ihrer Jugend erzählt, hat so viel mit dem Leben Jugendlicher heute und auch in Ingelheim zu tun, dass ich es schon fast schade finde, dass man hier von institutioneller Seite nicht etwas in die die Kunstvermittlung investiert hat.

Mir zumindest hat die Präsentation in der Stadt richtig gut gefallen. Die jeweiligen Locations geben den Videos einen spannenden neuen Kontext. Die Arbeit von Ayse Erkmen zum Beispiel gewinnt so dermaßen! Die Künstlerin verwendet einen Ausschnitt aus Paris, Texas. Die Kinski im rosafarbenen Mohairpulli in der Peep-Show, kurz bevor sie ihren Ex als „Kunden“ erkennt. Wir sehen das im Schaufenster eines banalen Sportgeschäftes. Hinter dem Video ein Laufband und daneben sind zufällig zwei Kameras auf Stativen arrangiert. Warum auch immer. Mich hätte die Video-Arbeit nicht sofort gepackt. Aber durch das Arrangement bekomme ich plötzlich eine neue Perspektive und finde Gefallen!

Ayse Erkmen
Ayse Erkmen: The Pink Sweater, 1996

International in Ingelheim

Ich muss an dieser Stelle aber noch mal den Bogen schlagen zu dem Anlass der Ausstellung. Und zu meiner Schande gestehen, dass ich die Internationalen Tage in Ingelheim noch nicht auf dem Schirm hatte. Tja, wenn man in Köln hockt, dann schafft man ja meist schon nicht das Angebot vor Ort erschöpfend abzuarbeiten. Man braucht halt auch einen Grund, mal etwas weiter zu reisen. Und weil ich es sehr schätze, wenn man Kunstgenuss mit anderen Genüssen verbinden kann, blicke ich ab jetzt gerne das ein oder andere Mal nach dem beschaulichen Weinort Ingelheim (ca. 2 Stunden von Köln aus mit der Bahn zu erreichen #wisstaBescheid).

Am Anfang stand die Idee, im Umfeld eines international tätigen Unternehmens Ausblicke auf Leben und Kultur anderer Nationen und Völker zu stiften: der Leitgedanke kultureller Offenheit und Fortbildung veranlasste 1959 Dr. Ernst Boehringer als Mitinhaber des Familienunternehmens Boehringer Ingelheim, ein Kulturfestival auszurichten.“

Dieser Ansatz klingt wunderbar in meinen Kunstvermittlerinnen-Ohren. Und wenn man durchblättert, was für fantastische Ausstellungen dort schon realisiert worden sind: Respekt! Im letzten Jahr ersann Ulrich Luckhardt übrigens die famose Ausstellung zu Feininger und Kubin, die ich in der Albertina voller Begeisterung gesehen hatte, als ich beim stARTcamp zu Besuch war. Möglicherweise sollten die Ingelheimer Tage ein bisschen lauter kommunizieren, was für tolle Projekte sie machen. Gerne auch in den sozialen Netzwerken!

Ingelheimer Impressionen

Rahmenprogramm

Sehr gut gefallen hat mir, dass Ulrich Luckhardt die Tradition pflegt, mit den Schulen vor Ort zusammenzuarbeiten. In diesem Jahr ist ein Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem unter dem Hashtag #besserscheiterniningelheim Videos oder Fotos eingereicht werden können. (Einsendeschluss ist der 11. Juli und am 14. Juli die Preisverleihung). Auch hier habe ich mich gefragt, ob das mit Führungen durch die aktuelle Präsentation begleitet wird. Das fände ich zumindest super. Aber vielleicht wird das ja automatisch von den Schulen aus organisiert.

Auf Instagram arbeitet man mit @thisaintartschool zusammen, die unter #failbettercontest eine Challenge angestoßen haben. Schaut mal rein, da sind schon ein paar super Fotos zusammengekommen (noch bis 10. Juli).

Gerne erwähne ich aber auch noch den Verein der Freunde Ingelheimer Filmkultur, die anscheinend recht aktiv sind und ein feines Programm zur Ausstellung aufgelegt haben. Es zeigt sich doch immer wieder, das es eine gute Idee ist, vor Ort ein analoges Netzwerk aufzubauen.

Und jetzt: Dia-Show

 

 

 


6 Antworten zu “Gut gelungen: besser scheitern!”

  1. Liebe Anke,
    herzlichen Dank für den feinen Beitrag. Natürlich hatten wir bewusst eine Position im Rundgang ausgelassen, um Dich so richtig anzufixen. 🙂 Auch das Video „Se King“ von Thorsten Brinkmann und „Immer müder“ von Jochen Kuhn sollte ja nicht beim ersten Eintreten einfach starten, sondern erst nach mehreren Telefonaten mit dem Techniker. So konnten wir die Spannung lange aufrecht erhalten. Schön, dass Du bei Besser Scheitern in Ingelheim dabei warst und Stadt, Kunst und Wein genießen konntest. Deine Anregungen für die pädagogische Begleitung gebe ich gerne an die Veranstalter weiter.
    Stefan

    • Lieber Stefan,

      geschickter Plan Wobei doch Jochen Kuhn meinte, dass man sich das Scheitern nicht vornehmen könne!
      Vielen Dank auch nochmal dir und Ulla für die Einladung!

      Herzliche Grüße
      Anke

  2. Liebe Anke,

    ganz tolles Grundthema, das Dein Beitrag da hat: wie stößt man eigentlich auf Kunst und: was macht man dann damit? Wie unterschiedlich die Antworten ausfallen können, beschäftigt mich nun auch schon länger und zeigt, dass nicht zwei Menschen es genau gleich sehen – egal was.

    Schön, wie Du von Deiner Entdeckung auf den 2. Blick schreibst… genau so passiert es oft. Dann so aufnahmebereit und dankbar zu sein, bereichert alle Seiten ungemein!

    Bis bald mit herzlichem Gruß,
    Sabine

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