„Ich schwärme für Juwelen wie für alle unnützen und schönen Dinge, deren Unbrauchbarkeit ihren Preis erhöht.“ Und beim Anblick von Fensterauslagen der Pariser Juweliere sei er auf die Idee gekommen, die Geschichte der Salome zu schreiben, deren Bild er juwelenumspielt vor sich sah. Salome – ein Musterstück der dekadenten Literatur voller Obsessionen und in der wilden Lust, die von der gefährlichen Frauengestalt ausgeht, selbst für das Fin de Siècle zu drastisch.
SALOME: Jochanaan! Ich bin verliebt in deinen Leib. […] Lass mich deinen Leib berühren.
JOCHANAAN: Hinweg, Tochter Babylons! Durch das Weib ist das Böse in die Welt gekommen. Sprich nicht zu mir. Ich will dir nicht zuhören. Ich höre nur auf die Worte des Herrn.
SALOME: […] Nichts auf der Welt ist so schwarz wie dein Haar. Lass mich dein Haar berühren.
JOCHANAAN: Hinweg, Tochter Sodoms! Rühre mich nicht an. Entweihe nicht den Tempel des Herrn.
SALOME: […] In deinen Mund bin ich verliebt, Jochanaan. […] Nichts auf der Welt ist so rot wie dein Mund. . . Lass mich deinen Mund küssen.
JOCHANAAN: Niemals, Tochter Babylons! Tochter Sodoms, niemals!
SALOME: Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Ich will deinen Mund küssen.
Oscar Wilde hatte das Stück 1891 während seines Aufenthaltes in Paris auf Französisch geschrieben. Als es dort 1894 mit Sarah Bernhardt in der Hauptrolle uraufgeführt wurde, saß der Dichter wegen Unzucht im Gefängnis. Der Vater seines langjährigen Freundes Graf Douglas hatte ihn angeklagt, weil er die offen geführte homosexuelle Partnerschaft zwischen dem verheirateten Dichter und seinem Sohn Alfred nicht akzeptierte. Dieser hatte sich der englischen Übersetzung des Salome-Stückes angenommen und eine Veröffentlichung in England erwirkt. Die so hoffnungsvolle Karriere Oscar Wildes, der als exaltierter Schöngeist eine besondere Figur der dekadenten Literaturszene in Europa gewesen war, war mit diesem privaten Schicksalsschlag jedoch dem Ende geweiht. Der Autor wurde 1854 als Sohn eines Arztes und einer ambitionierten Hobbyschriftstellerin in Dublin geboren. Der junge Ire galt als begabter Schüler und konnte mit einem Stipendium in Oxford studieren, wo er Literatur belegte und einen ersten Preis für ein Gedicht gewann. Sein Auftreten als Dandy brachte ihm viel Aufmerksamkeit, setzte ihn jedoch auch der Kritik durch die strenge viktorianische Gesellschaft aus. In samtene Gewänder gehüllt, mit ausschweifender Geste und geschliffenem Wortwitz wusste Oscar Wilde zu faszinieren und zu provozieren. Trotz offener Homosexualität ehelichte er 1884 Constance Lloyd, die ihm zwei Söhne gebar und die vor der Ehe erfolgreich als Kinderbuchautorin tätig gewesen war. Die Beziehung seines Lebens war sie jedoch nicht. Da zählte eher die dramatische Liebe zu Alfred „Bosie“ Douglas, die in London wegen lautstarker Streitereien und zügelloser Versöhnungen berüchtigt war. 1891, als Graf Douglas in sein Leben trat, vollendete Wilde den Roman Das Bildnis des Dorian Gray. Einige Jahre hatte er als Herausgeber der Zeitschrift Woman’s World gearbeitet. Nun stand seine Schriftstellerei im Vordergrund, und vor allem mit seinen Gesellschaftskomödien wie The Importance of Being Ernest (Ernst sein ist alles) aus dem Jahr 1895 erzielte er einen durchschlagenden Erfolg. Den zu dieser Zeit geführten Prozess, den er wegen Verleumdung gegen den Vater seines Geliebten angestrengt hatte, nahm er zunächst nicht ernst. Mit seinen typischen spitzen Bemerkungen und seiner messerscharfen Rhetorik sah er sich auf der Siegerseite. Er hatte jedoch nicht mit den verbohrten viktorianischen Moralaposteln gerechnet, die zum Teil auch Schriften wie Das Bildnis des Dorian Gray als Beweisstücke für das unzüchtige Verhalten des Dichters heranzogen. Am 25. Mai 1895 wurde er zu zwei Jahren Zuchthaus und Zwangsarbeit verurteilt. Man braucht sich nicht groß auszumalen, dass dies dazu führte, aus dem Dichter einen gebrochenen Mann zu machen. Nach seiner Entlassung hoffte er, im Paris des Fin de Siècle gesellschaftlich wieder Fuß zu fassen, starb dort aber am 30. November 1900 verarmt und verlassen in einem Hotel.
Die Rezeption des Salome-Stückes ist in den folgenden Jahren geprägt worden von der Umsetzung in einer Oper von Richard Strauss, der 1896 schon mit der Vertonung von Also sprach Zarathustra Aufsehen erregt hatte. Der Einakter von Wilde wurde 1905 als Oper uraufgeführt und stellte die Bühnenfassung des Autors lange Zeit in den Schatten. Auch die auffälligen Illustrationen des Grafikers und Illustrators Aubrey Beardsley spielten eine wichtige Rolle in der Wahrnehmung des Stückes. Seine von der japanischen Druckkunst beeinflussten schwarzweißen Illustrationen waren eine Sensation. Wilde hatte sich begeistert gezeigt, als Beardsley ihm eine Zeichnung vorlegte, zu der ihn der französische Text inspiriert hatte. Die weitere Zusammenarbeit verlief jedoch nicht ganz so reibungslos, da der Dichter nicht einverstanden war mit der oft sehr weit vom Text entfernten assoziativen Art der Bilder, die ihm an manchen Stellen auch „zu wenig orientalisch“ und zu vordergründig erotisch erschienen.
Ein kleines Buch, das den Titelhelden im Bildnis des Dorian Gray begleitet, ist möglicherweise ein deutlicher Hinweis des Autors auf Joris-Karl Huysmans, der 1884 mit dem Buch A rebours (Gegen den Strich) so etwas wie die Bibel aller Ästheten und Dandys geschrieben hatte.
„Es war ein Buch voller Gift. Es war, als haftete seinen Seiten ein schwerer, sinnverwirrender Duft nach Weihrauch an“, schrieb Wilde. Der Held aus Gegen den Strich ist ein gewisser Jean Floressas Des Esseintes. Jener leicht nervöse Pariser Aristokrat richtet sich in seinem Landhaus eine Art Elfenbeinturm ein, in welchem er sich wie in einer künstlichen Welt ganz dem Ästhetizismus hingibt. Er zelebriert Farben und Düfte, umgibt sich mit exotischen Pflanzen und überzieht zum Beispiel den Panzer seiner Schildkröte mit Gold und Edelsteinen. Seinen Geschmackssinn trainiert er mittels einer eigens erfundenen Likörorgel. Auf die Betrachtung von Bildern Gustave Moreaus und Odile Redons sowie auf die Lektüre von Baudelaire, Poe und Mallarmé reagiert er mit schwülen Visionen, bis er zuletzt, entkräftet von dieser Überreizung der Sinne, sein Refugium aufgeben muss.
Die in diesem Werk präsentierte subjektiv-ästhetische Weltanschauung findet sich in der gesamten Literatur der Epoche. Auch in Prousts Mammutwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit begegnen wir dem Topos des ästhetisch-sensiblen Dandys, der über das Wesen der Kunst philosophiert, diese sogar als Lebensziel ansieht, nach dem er strebt, an dem er aber auch immer wieder scheitert. Autoren wie Robert Musil mit seinem Törleß oder dem Mann ohne Eigenschaften beschreiben die inneren Strukturen ihrer Protagonisten und suchen eine neue Form der Literatur, die auf den Zerfall der äußeren Strukturen reagieren könnte. „Wer bin ich? Wie wurde ich, was ich bin? Was bin ich eigentlich noch? Wirke ich nicht eigentlich nur noch dekorativ?“ – so lässt Thomas Mann in seinem Roman Buddenbrooks. Verfall einer Familie Thomas Buddenbrook sprechen und liefert mit diesem ersten Gesellschaftsroman, der 1901 veröffentlicht wurde, die Interpretation der gesellschaftlichen Stimmung.
Mit einem wahren Paukenschlag erschien die literarische Antwort auf die Fin-de-Siècle-Stimmung in der Gestalt des Zarathustra, die der Dichter-Philosoph Friedrich Nietzsche in einem insgesamt vierteiligen Werk vorstellte. Zwischen 1883 und 1885 schrieb er Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. Es ist die Geschichte eines Tatmenschen und Künstlers, der einen neuen Menschen – den Übermenschen – schaffen möchte. Auf der Grundlage der Erkenntnis, dass Gott tot ist, will jener Zarathustra eine neue Religion aufbauen. Das vom „Nihilismus“ geprägte Werk entsprach ganz dem Zeitgeist des endenden Jahrhunderts, und die Künstler und Literaten jener Jahre feierten es begeistert.
„Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden große Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht. Hier verwesen alle großen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre Gefühlchen klappern! Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes?“
Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Dritter Teil, „Vom Vorübergehen“
Nietzsche, der sich schon seit den 1870er Jahren als junger Professor in Basel erfolgreich für eine durchgreifende geistige und kulturelle Erneuerung der Gesellschaft eingesetzt hatte, wurde in seinen späten Jahren immer mehr zur Kultfigur. Sicher trugen dazu auch die ehrgeizigen Projekte seiner Schwester bei, die ihn pflegte, nachdem er immer mehr der geistigen Umnachtung anheim fiel. In Weimar, wo Nietzsche am 25. August 1900 starb, sorgte sie für die Einrichtung eines Nietzsche-Archivs, betrieb mit Henry Graf Kessler die Herausgabe seiner Schriften und unterstützte die Planung eines monumentalen Nietzsche-Denkmals, für das Henry van de Velde die künstlerische Ausführung übernehmen sollte. Besonders großen Einfluss hatte die wortgewaltige Literatur Nietzsches auf den „George-Kreis“, eine Versammlung junger Literaten, in deren Mittelpunkt der Dichter Stefan George stand. Sie lehnten die dekadente Zivilisation ab und sahen sich als eine Gemeinschaft Auserwählter, die kultische Rituale feierte und ihre ästhetische Überlegenheit beschwor. Stefan George selbst war beeinflusst durch die symbolistische Literatur von Mallarmé, den er während eines Paris-Aufenthalts traf. Mit der Zeitschrift Blätter für die Kunst verfolgte George das Prinzip l’art pour l’art: „Jeden wahren Künstler hat einmal die Sehnsucht befallen, in einer Sprache sich auszudrücken, deren die unheilige Menge sich nie bedienen würde, oder die Worte so zu stellen, dass nur der Eingeweihte ihre hehre Bestimmung erkenne.“ George nahm auch oft an den seit 1877 in der Wohnung Mallarmés in Paris stattfindenden „Mardis“ (Dienstagstreffen) teil. Dort versammelten sich all jene Autoren, die gegen Ende des Jahrhunderts zu einem wesentlichen Teil das künstlerische Geschehen der Epoche bestimmten: Émile Verhaeren, Maurice Maeterlinck, Oscar Wilde, Joris-Karl Huysmans, Paul Valéry, André Gide, Rainer Maria Rilke.
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