Der Raum zwischen den Streifen. Über die Ausstellung “Sean Scully: Vita Duplex“ in der Kunsthalle Karlsruhe

[WERBUNG]*

Das Beitragsbild zeigt das Bild "Vita Duplex" aus dem Jahr 1993 ©Sean Scully, Courtesy of the artist

In seinen Bildern geht es natürlich um mehr, als um Streifen! Beim Betrachten der Werke von Sean Scully mache ich auch ganz besondere Seherfahrungen. Denn es handelt sich bei seinen Werken nicht um minimalistische Formübungen. Vielmehr werden in ihnen werden Gedanken reflektiert, die auf ein inneres Universum verweisen, das man sich reicher und aufregender kaum vorstellen kann. Zur Zeit sind gut 130 seiner Gemälde, Aquarelle, Pastelle, Zeichnungen, Lithographien und Fotografien von den 1960er-Jahren bis heute in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen.

Nachdem ich eine Menge Eindrücke vom Gang durch die Ausstellung mitgenommen hatte, blätterte ich zuhause als erstes den Textband „Inner“ durch und stieß auf die Geschichte „Jack der Wolf“. Was diese mit der Kunst Scullys zu tun hat und warum ich sofort schockverliebt war, das erzähle ich euch in diesem Blogbeitrag. Die Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe ist eine Gelegenheit, den Künstler näher kennenzulernen und sich zugleich mit einer anderen Perspektive der Kunstgeschichte zu nähern. Das geht noch bis zum 5. August und sei euch an dieser Stelle schon einmal wärmstens empfohlen.

Aber nochmal zu „Jack dem Wolf“. Der ist ein Ästhet und ganz besonders liebt er die Schokoladen-Produkte aus der bunten Stadt. Wie er jede Nacht im Schutz der Dunkelheit in diese schleicht, um vorsichtig den schönsten Kuchen aus dem Schrank zu holen und genussvoll zu verspeisen, das beschreibt Sean Scully mit so vielen zauberhaften Details (Jack achtet darauf, dass er beim Schleichen über die Wiese nicht die Blumen zertritt) – in mir erzeugt er damit ein ganz wunderbares Kopfkino. Schönheit und Zerstörung und am Ende auch Trauer – eine Gleichzeitigkeit der Emotionen, die in dieser Fabel vorkommen, die habe ich auch in Scullys Kunst gespürt. Ich habe übrigens in dieser Geschichte fast die ganze Zeit an ein böses Ende gedacht. Aber es löst sich alles in ein friedliches Bild auf und der Wolf legt aus Schokokeksen die Worte: „Ich war’s, Jack der Wolf“.

In der Fabel taucht viel auf, was auch in den Bildern Scullys zum Tragen kommt. Die Farben (bunte Stadt), die Formen (umgestürzte Bäume oder Schranktüren) der Raum (Wolfshöhle), das Licht (ein Nebelvorhang lässt die bunten Häuser auf eine ganz besondere Weise leuchten). Sean Scully nutzt hier die klassische literarische Form einer Fabel und spielt mit Metaphern. Überhaupt ist es eine wahre Entdeckung, wie dieser bildende Künstler mit dem Wort umzugehen vermag. Deswegen ist der Textband „Inner“, der 2016 veröffentlicht wurde und anlässlich der Ausstellung ins Deutsche übertragen wurde, eine große Bereicherung. Auf diese Weise kann man sich bestens diesem „Musée imaginaire“ nähern, das Scully in sich trägt und mit dem er sich so intensiv auseinandersetzt, wie ich das kaum von einem anderen Maler kenne.

Sean Scully: The Bather, 1983, © Sean Scully, Courtesy of the artist

Fixsterne in diesem Universum sind jene Künstler, in deren Tradition er sich sieht. Ihn beschäftigt die verzweifelte Leidenschaft van Goghs, das spanisch inspirierte Grau Manets, der Rhythmus in Matisse‘ Der Tanz, über den er als Student eine Arbeit schrieb, die Dramatik des deutschen Expressionismus, Mondrians spirituell aufgeladene Modernität, Pollocks anti-hierarchisches All-over als Freiheitssynonym, Rothkos Erhabenheit, die stille Konversation von Morandis Gefäßen, die Würde der sprechenden Oberfläche bei Velázquez, die Emotionalität Cimabues und Duccios spirituelle Farbigkeit.

Was Kuratorin Kirsten Claudia Voigt hier so inspirierend beschreibt ist eine Anleitung zum Entdecken, allerdings muss man sich schon ein bisschen in der Kunstgeschichte auskennen. Oder funktioniert es vielleicht auch ohne Erklärung? Wenn man sich darauf einlässt, erkennt man dann Natur? Landschaft? Wasser? Mensch? Mediterranes Licht?  Und vielleicht kitzelt es bei dem ein oder anderen Kunstliebhaber im Kopf, wenn man den Begriff „Badende“ hört. Leider kann ich – aus Gründen – euch hier nicht das Bild zeigen, auf das sich Scully mit seinem Werk bezieht. Aber wer mag, kann mal „Henri Matisse: Der Tanz“ googeln. Ein Bild, mit dem sich Scully intensiv auseinandergesetzt hat. Er scheint mit „The Bather“ die Besonderheiten der Farbwahl Matisses durchzudeklinieren. Und nicht von ungefähr geht es in dem fraglichen Bild ja auch um Rhythmus, einem wesentlichen Bestandteil der Bilder Scullys.

Keine „Flachware“

An seinem Bild aus dem Jahr 1983 fällt mir besonders ins Auge, wie sehr der Künstler seine Werke als Räume begreift. An diesem Thema arbeitet er sich auch mit seiner Serie „Insets“ ab. Wo „The Bather“ aus verschiedenen Einzelteilen gebaut wurde, legt er an anderer Stelle ein Stück in die Leinwand ein. Überhaupt: diese Leinwände sind überraschend dick. Fast wie Objekte. In der Ausstellung gewinnen sie eine physische Präsenz, die überrascht. Vor allem, wenn man vorher schon Abbildungen gesehen hat.

»Ich betrachtete die Insets in meinen Bildern immer als Figuren, in ihren Zusammenhang hineingeschnitten oder aus ihm herausgeschnitten – ihrer persönlichen Landschaft. Körper, die verweilen.«

Ich dachte bei manchen seiner „gebauten“ Bilder an Altartafeln, bei denen mittelalterliche Künstler mit Relief-Partien gearbeitet haben und z.B. die Köpfe der Dargestellten plastisch hervorspringen ließen. Dabei stelle ich mir dann immer vor, dass früher die Betrachter solcher Altarbilder ja von der Wirklichkeit des Geschehens auf den Bildern überzeugt werden sollten. Sean Scully formuliert auch einen spannenden Satz, der mit der Wirklichkeit der Bilder zu tun hat: „You Stare at the Painting and the Painting Stares Back at You.“

Sean Scully: What Makes Us, 2017, © Sean Scully, Courtesy of the artist

Wenn man vor den Bildern steht, dann spürt man eine Monumentalität, in der viel Emotion mitschwingt. Gleichzeitig scheint Scully immer darum bemüht, etwas aus diesen Emotionen herauszuziehen. Etwas, was jene in grenzenloser Subjektivität gefühlten Dinge auch für alle erfahrbar macht.

„Ich trage selbst eine tiefe Wunde. Ich habe etwas verloren, was alle Zeit und allen Sinn auf den Kopf stellte, und der Himmel stürzte über mir ein. Aber andere haben es noch schwerer und sie haben es schon seit Tausenden von Jahren schwerer.“

Was macht uns aus? Sean Scully schreibt in seine Bildern auch immer autobiografische Aspekte mit ein. Und wenn auf der einen Seite eine starke Empathie vorherrscht, scheint er auf der anderen Seite durch seine Bilder einen Referenzrahmen schaffen zu wollen. Der hilft, zu schauen, was am Ende übrig bleibt. Worum es eigentlich geht. Man muss keine Angst vor der Abstraktion haben, sagt Scully. Und entfernt sich vom Minimalismus, der ihn vielleicht in seinen Anfängen beeinflusste. Seine Bilder haben starke Narrative.

„Kunst besitzt heute einen Einfluss und eine transformierende Kraft, die sie in der Geschichte der Kunst noch nie zuvor besessen hat.“

Durch die Augen des Künstlers

Der 1945 in Dublin geborene und in London aufgewachsene Künstler übersiedelt in den 70er Jahren in die USA. Heute arbeitet er in drei Ateliers, eines davon in der Nähe von München. In seinem Werk existieren viele Dinge nebeneinander. So drehte er zum Beispiel in den 80er Jahren in Marokko eine Doku über Henri Matisse. Er schreibt, er spricht gerne in Videos über seine Kunst, die auf dem YouTube-Kanal von Sean Scully Studio veröffentlicht werden. Er lässt uns teilhaben an privaten Dingen, zeigt uns seine Verletzlichkeit, interessiert sich gleichzeitig auch für gesellschaftliche Fragen. Ich sehe einen Künstler, der sehr viel in sich trägt, der aber auch die Dinge neben sich sehen kann.

„Ich mache etwas, damit die Menschen es sich ansehen können, etwas, das nicht abgeschlossen ist, nicht beendet, etwas, das ausdrücklich mit dem Wunsch geschaffen ist, offen zu bleiben.“

In der Ausstellung gibt es übrigens einen Raum mit Fotografien des Künstlers, die mich sehr beeindruckt haben. Fast hatte ich das Gefühl, hier einen Schlüssel für seine Bilder zu finden. Aha, so sieht er also die Welt, so findet er seine Bilder, dachte ich. In einem Text hat Scully einmal einen Satz von Jürgen Habermas (den er als seinen Freund bezeichnet) kommentiert. Dieser stellte die Behauptung auf, dass das Kunstwerk keine Bedeutung habe außerhalb seiner selbst. Dem setzte er entgegen, dass seine Bilder metaphorisch seien. Hier komme ich zum Schluss noch einmal auf das Bild zurück, welches der Ausstellung ihren Namen gegeben hat: Vita Duplex.

„Vita Duplex steht für Doppelwertigkeit, Zwiespalt, Divergenz, Kampf, einander befruchtende Pole, Krise und Lösung, für Sowohl-als-auch – und dadurch für eine Potenzierung, nicht für die »Halbheit« eines »Doppellebens«, dessen eine Hälfte clandestin gelebt wird, sondern für doppelte Lebendigkeit. Polaritäten begreift Scully als Movens seines Werks.“ (Kirsten Claudia Voigt)

Sean Scully ist kein Künstler, den man mal so eben mitnimmt bei einem Besuch seiner Ausstellung. Bei mir hat er viele kleine Anker zu Themen gesetzt, mit denen ich mich weiter beschäftigen möchte. Seine Bilder verdienen noch mehr Betrachtung. Und vor allem seine Schriften und Interviews liefern eine Menge Stoff, über den es nachzudenken gilt. Die Ausstellung ist noch bis zum 5. August in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen. Ab dem 5. Mai 2019 wird sie dann im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster gezeigt.

 

*Dieser Blogbeitrag entstand im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit der Kunsthalle Karlsruhe.

 

Share

Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Kommentare

Eine Antwort zu „Der Raum zwischen den Streifen. Über die Ausstellung “Sean Scully: Vita Duplex“ in der Kunsthalle Karlsruhe“

  1. […] “Kulturtussi” Anke von Heyl über die „Ausstellung “Sean Scully: Vita Duplex“ in der Kunsthalle Karlsruhe“: https://www.kulturtussi.de/der-raum-zwischen-den-streifen-ueber-die-ausstellung-sean-scully-vita-dup… […]

Schreibe eine Antwort zu Kultur-News KW 28-2018 | Kultur – Geschichte(n) – DigitalAntwort abbrechen