Balthus – der Künstler, sein Werk, die Provokation


In der Fondation Beyeler ist die Ausstellung „Balthus“ zu sehen. Ich sah einige seiner Werke 2007 in Köln und vielleicht schaffe ich es auch noch, die Schau in Basel zu besuchen. Bis zum 1. Januar 2019 habe ich dazu noch Zeit. Den Katalog, der mir freundlicherweise von der Fondation Beyeler zugeschickt worden ist, habe ich mit großem Interesse gelesen. Ein schöner Anlass mich noch einmal eingehender mit dem Künstler und seiner Rezeption zu beschäftigen.

Balthus

Ich musste ein wenig lachen, als ich irgendwo las, dass er eine Ausnahmeerscheinung auch deswegen sei, weil er als Meister der Klassischen Moderne das 21. Jahrhundert erreichte. Balthus starb 2001 und irgendwie passt es zu ihm, dass diese Zeitdimension erwähnt wird. Aber natürlich muss man sich diesen Künstler merken, weil es noch viele andere Dinge über ihn zu wissen gibt. Und damit meine ich nicht die Skandale, die seine Bilder auch hervorgerufen haben. Die Diskussion darüber, wie man damit umzugehen habe, überschattet die Rezeption seiner Werke in beträchtlichem Maße. Zurecht? Weiter unten habe ich diesem Thema einen Abschnitt gewidmet. Aber wer war dieser Balthus darüber hinaus noch?

Als Sohn eines polnischstämmigen Adligen und einer jüdisch-deutschen Künstlerin wuchs der 1908 geborene Balthasar Klossowski de Rola in einem intellektuellen Elternhaus auf. Die Ehe der Eltern scheiterte und die Mutter tat sich mit Rainer Maria Rilke zusammen. Da war der junge Balthasar elf Jahre. Durch den Einfluss des Dichters, der auch den Künstlernamen Balthus erfand, erlangte der junge Künstler erste Erfolge und er hat auch nie groß den Gerüchten widersprochen, Rilke sei sein leiblicher Vater. Anscheinend gefiel es ihm, eine gewisse geheimnisvolle Aura um sich entstehen zu lassen. Dazu gehörte auch die Betonung, dass sein Geburtstag, der 29. Februar, ihn aus dem gewöhnlichen Ablauf der Zeit herausgenommen habe. Überhaupt scheint der Aspekt der Zeit eine große Rolle für ihn gespielt zu haben. Auch in seinen Bildern wirkt es, es sei sie für einen Moment stehen geblieben.

Es gibt einige bemerkenswerte Anekdoten im Leben des Künstlers. Mich hat zum Beispiel die Liebesgeschichte mit seiner ersten Frau – Antoinette de Watteville – sehr berührt, die seinem Liebeswerben erst nachgab, als Balthus einige erste Erfolge vorweisen konnte. Später wurde er gar Leiter der Villa Medici in Rom. Und er hatte Kontakt zu vielen Musik-Größen. Bowie war Fan – der Thin White Duke hätte auch aus einem Balthus-Gemälde entstammen können. Mick Jagger und andere Popstars besuchten den Maler in seinem Schweizer Domizil, einem ehemaligen Hotel.

Balthus, der König der Katzen – auch dies eine rätselhafte Geschichte, die auf einem frühen Erlebnis fußt. Mitsou hieß die streunende Katze, die dem jungen Balthasar zugelaufen war und bald darauf wieder verschwand. Dieses Erlebnis setzte Balthus in zahlreiche Zeichnungen um – ein erster Erfolg als Künstler folgte daraus.

Sein Werk

Es ist die Zeit der Neuen Sachlichkeit, in die Werke von Balthus optisch jedenfalls ganz gut hineinpassen. Auch seine Begeisterung für die Malerei Piero della Francescas ist nicht etwas völlig Abwegiges in der Kunst jener Jahre. Man erinnere sich zum Beispiel an Otto Dix, der die Feinmalerei eines Lucas Cranach liebte und für seine Kunst adaptiert hat. Es waren ja alle auf der Suche nach Neuem und manchmal versicherte man sich dann des Alten, um zu etwas Eigenem zu gelangen.

Die Verbindung zum Unterbewusstsein, die Nähe zum Freudschen Sexualtriebsgedanken – es gibt genügend Überschneidungen mit den surrealistischen Tendenzen im Werk Balthus. „Ich mache Surrealismus à la Courbet“, hat er es beschrieben. Will heißen, es ist weniger Magie als viel mehr Realismus in seiner Malerei. Seine Nähe zum Theater spürt man im Aufbau vieler seiner Werke. In den 30er und 40er Jahren hat er Bühnenbilder geschaffen und etwas von dieser Ästhetik ist auch in seinen Gemälden zu spüren. Besonders bei Werken wie „Passage du Copmmerce-Saint-André“ entdeckt man viel davon. Dieses Werk zählt auch zu meinen Lieblingsbildern von Balthus. Es hat eine ganz besondere Ausstrahlung, die Figuren scheinen wie in einem besonderen Moment eingefangen. Als warten sie auf Erlösung. Jede von ihnen mit einem besonderen Geheimnis, das es zu entschlüsseln gilt. Wim Wenders hat über das Bild sehr schön in diesem Video gesprochen.

An dieser Stelle sei mir der Hinweis erlaubt, dass ich in diesem Blogbeitrag auf die Abbildung der Kunst verzichten möchte, da ich den Aufwand als zu groß empfinde, diese nachher wieder aus dem Beitrag zu löschen. 

Interessant ist auch, dass Balthus den Struwwelpeter sehr schätzte. Dieses unterschwellig Grausame und Gefährliche in den Geschichten dort – ein wenig davon taucht auch in seinen Bildern auf. Vor allem das, was aus Langeweile passieren könnte, lauert auf! Da erinnert man sich auch wieder an Alice, die ja aus purer Langeweile in das Kaninchenloch fällt. Balthus spricht auch vom traumgleichen Vorbeiziehen der geheimen Dinge in seinen Bildern.

Die Provokation

Aufgehobene Zeit. Mit diesem Titel zeigte das Museum Ludwig 2007 eine Schau von 25 seiner Werke. Ich weiß noch, wie wir uns mit den Kolleginnen damals über „Thérèse, träumend“ ausgetauscht haben. Die Stimmen waren – wie auch heute wieder  – sehr kontrovers. Ich war mir der Problematik sehr bewusst, denn natürlich wird hier das junge Model in einer Pose wiedergegeben, die eine sehr deutliche Konnotation mit sexuellen Phantasien hat.

Auch in Basel wird das Bild gezeigt, auf dem sich Thérèse Blanchard auf einem Stuhl dem Betrachter präsentiert. Man sieht den Schlüpfer der Elfjährigen und erahnt unter der dünnen Bluse die Brüste. Vor ihr auf dem Boden eine Katze, die Milch von einem Teller schlürft. Thérèse wurde mehrfach von Balthus gemalt, sie wohnte neben seinem Atelier und war wohl auch ungezwungen genug, sich von ihm malen zu lassen. Balthus hat mit diesem und ähnlichen Bildern zum einen bewusst provozieren und Tabus brechen wollen, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber ihn interessierte auch diese merkwürdige Zeitspanne zwischen Kindheit und Erwachsensein. Damit ist er als Künstler nicht alleine. Schon im 19. Jahrhundert gab es eine große Faszination für die Ästhetik Heranwachsender. Nicht zuletzt Lewis Carroll ist mit seiner Alice einer der bekanntesten Vertreter. Für die Künstler der Avantgarde des 20. Jahrhhunderts war die Nähe zu ihren minderjährigen Modellen selbstverständlich. Aus heutiger Sicht sicher sehr problematisch!

Die Verantwortung liegt im Auge des Betrachters. Im Katalog wird diese Auffassung der niederländischen Kunsthistorikerin Mieke Bal zitiert. Für sie folgen die erotisierenden Darstellungen junger Mädchen einer gezielten Fiktionalisierungsstrategie. Balthus selber beschreibt das so: „Erotismus (…) kann auch als Bohrer dienen (…); man muss den Instinkt erreichen, des des Unterleibes ist noch zart genug, um leicht berührt zu werden, und er ist es, der in sich die meiste Dynamik birgt.“

Interessanterweise hat Balthus selber für sein wohl explizitestes Gemälde – La Lecon de guitare – einige Zeit lang die Repräsentation und sogar die Reproduktion untersagt.

Auch auf Musermeku hatte Angelika Schoder bereits über die Diskussion um fragwürdige Bilder geschrieben, wie sie auch zu Balthus entstanden ist. Beim Film gibt es das FSK 18 Siegel, mit dem man bestimmte Inhalte in einen Giftschrank verschieben kann. So ein Giftschrank existiert natürlich nicht, wenn ein Bild im öffentlichen Raum hängt. Und Museen betrachte ich als solche Räume, da sie in der Regel allen zugänglich sind.

Die Fondation Beyeler hat sich sehr um den Diskurs bemüht, aber immer auch deutlich gemacht, dass sie auf der Seite der Kunst stehen. „Bis heute wird Balthus oft mit seinen Darstellungen junger Mädchen und Frauen assoziiert, die auch jüngst eine Debatte über künstlerische und darstellerische Grenzen ausgelöst hat. Gerade die Vielschichtigkeit von Balthus’ Werk leistet einen wichtigen Beitrag zu dieser essentiellen reflexiven Dimension der Kunst als freier Ausdrucksform. Auch diese Ausstellung soll zur Diskussion und Reflexion über die Möglichkeiten und Funktionen von Kunst anregen, wozu wir Sie hier gerne einladen.“

Meine Meinung zu der ganzen Diskussion ist, dass ich die Notwendigkeit sehe, in Ausstellungen der fraglichen Bilder einen gewissen Kontext mitzudenken. Sprich, ich fände es wichtig, dass dem Betrachter einige Hinweise an die Hand gegeben werden, in denen die bisherige Diskussion nachvollziehbar gemacht wird. Museen und Ausstellungshäuser werden von Besuchern durchaus so gesehen, dass man dort eine Orientierung erhält. Es muss ja nicht gleich eine Meinung oktruiert werden.

Dass man einzelne Bilder Balthus‘ aus der Öffentlichkeit entfernt, halte ich für die falsche Reaktion. Zumal Balthus kein Einzelfall darstellt und man diese Faszination für junge Mädchen bei einer ganzen Reihe von Künstlern aus der Klassischen Moderne sehen kann. Balthus gehört für mich zu denen, denen ich eine gewisse Distanz zum Dargestellten attestiere und ich sehe die Bilder weniger als Produkte seiner sexuellen Vorlieben denn als Ergebnisse künstlerischer Fragestellungen.

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Vielen Dank der Fondation Beyeler für die Übersendung des Katalogs. Eine kleine Anmerkung dazu: ich hatte große Mühe mit dem Durchlesen, da das Buch extreme Dünste von Lösungsmitteln verbreitet hat. Vielleicht könnt ihr das mal an Hatje Cantz weitergeben. Das ist äußerst unangenehm! 

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