Medienkunst und Netzkultur – Einblicke mit Inke Arns


Heute Abend findet im Dortmunder U beim Hartware MedienKunstVerein ein Tweetup zur neuen spannenden Ausstellung „Digitale Foklore“ statt. Ich schaffe es nicht, physisch anwesend zu sein. Aber wie gut, dass ja das Geschehen von fleißigen Twitterern ins Netz getragen wird. Da kann ich dann live dabei sein. Weil mich die Arbeit des hochgelobten (man kann auf eine beeindruckende Liste an Preisen und Nominierungen verweisen!) Medienkunstvereins sehr interessiert, habe ich Inke Arns gebeten, mir ein paar Fragen dazu zu beantworten.

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Inke Arns Foto (c): Viviane Wild

Anke:
Du bist seit 2005 Künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVereins (herzlichen Glückwunsch zum 10jährigen!!) und beschäftigst dich als Kultur- und Literaturwissenschaftlerin schwerpunktmäßig mit Medienkunst und Netzkulturen. Wie bewegst du dich selber im Netz?

Inke:
Ich bin seit 1993 im Netz. Meine erste e-mail Adresse war recht kryptisch: arnscdhj@250.zrz.zrz.tu-berlin.de. Ich nutze e-mail, baue Webseiten, bin seit Mitte der 1990er Jahre auf diversen netzkritischen Mailinglisten (Nettime, Rohrpost, Spectre, Faces, etc.,), von denen ich einige mitgegründet habe (Rohrpost) bzw. heute noch administriere (Spectre, ehemals Syndicate – eine Mailingliste für Medien- und Netzkultur in Osteuropa). Und dann natürlich Blogs, Facebook, Twitter. Und immer schön an die Verschlüsselung (von e-mails) denken, das geht ganz einfach z.B. mit OpenPGP. Derzeit beschäftige ich mich dem Tor-Netzwerk. In Dortmund denken da immer alle an Fußball, das ist toll.

Anke:
Bei der Medienkunst geht es euch um ein Verständnis für größere Zusammenhänge. Ihr legt den Fokus auf die gesellschaftlichen Veränderungen, die mit den technologischen Möglichkeiten einhergehen. Wie ist zum Beispiel der Begriff Hartware in diesem Zusammenhang zu verstehen?

Inke:
Der Name Hartware ist eine Wortschöpfung aus den 1990er Jahren 😉 – eigentlich wurde es „hARTware projekte“ geschrieben. Da sieht man noch deutlicher, wie es zu der Wortschöpfung kam. Hardware und Kunst – und alles dazwischen. Leider vermittelt sich das bis heute nicht wirklich ;-). Aber um den Namen radikal zu verändern, war „Hartware Projekte“ – als ich 2005 anfing in Dortmund – einfach zu bekannt. Daher haben Susanne Ackers (mit der ich 2005 den HMKV übernommen habe) und ich den Namen umgebaut zu Hartware MedienKunstVerein (HMKV). Zumindest steht da jetzt „Kunstverein“ mit drin. Eine Definition von „Medienkunst“ war und ist immer schwierig. Ich sage immer, dass wir zeitgenössische Kunst zeigen, die sich im weitesten Sinne mit unserer Gegenwart beschäftigt – die eben zunehmend auf neuen Medien und Technologien basiert. Das kann im Medium von Software oder Code passieren, aber auch als Installation, Ölmalerei oder Video. Wir zeigen vor allem thematische Gruppenausstellungen im HMKV.

Anke:
Wir haben uns ja schon einmal ganz kurz über das Thema Kunstvermittlung ausgetauscht. Wie stehst du dazu? In eurer Selbstdarstellung habe ich gelesen, dass ihr die Ausstellungen selber auch als Instrument der Vermittlung anseht. Ihr setzt aber auch so etwas wie „Infotrainer“ ein und wollt mit den HMKV-Talks neue Wege der Kommunikation über Kunst beschreiten. Gibt es bei der Medienkunst besondere Herausforderungen für die Vermittlungsarbeit?

Inke:
Einige behaupten, es gäbe da besondere Herausforderungen bei der Vermittlung von Medienkunst. Ich selbst glaube das nicht. Es gibt Herausforderungen in der Vermittlung von zeitgenössischer Kunst. Viele Leute haben große Berührungsängste – nicht nur im Ruhrgebiet, sicherlich auch im Rheinland 😉 Ja, ich verstehe das Format Ausstellung an sich auch schon als Vermittlung. Eine Ausstellungsgestaltung kann als eine Art Interface dienen. In der Ausstellung „Böse Clowns“ (2014-15) z.B. sah alles wahnsinnig bunt und lustig aus – das diente aber ‚nur’ dazu, um Leute in die Ausstellung zu locken. Waren sie einmal dort, konnte man sie mit anderen Dingen konfrontieren … 😉

Ich habe in Dortmund gelernt, dass man sich um sein Publikum bemühen muss. Meine ersten Jahre in der Stadt waren dafür eine sehr gute Schule. Das heißt aber nicht, dass man seinen eigenen Qualitätsanspruch runterschraubt. Vielmehr geht es mir darum zu zeigen, dass zeitgenössische Kunst nicht im Elfenbeinturm entsteht, sondern dass sich zeitgenössische KünstlerInnen mit Themen auseinandersetzen, die uns alle etwas angehen. Und dass das nicht kryptisch ist. Unsere Infotrainer machen nicht nur Aufsicht, sondern viel mehr. Sie können jederzeit detailliert Auskunft geben zu allen Arbeiten in den Ausstellungen. Ich finde das sehr wichtig! Darüber hinaus machen sie alle unsere regelmäßigen Führungen (Do 18 Uhr, So/Feiertags 16 Uhr).

Anke:
Der HMKV hat das Experiment eines Twitter-Guides gewagt. Ein spannender Ansatz, der sich mit den Kommunikationsmöglichkeiten des Mikroblogging-Dienstes an die Ausstellung „Das Mechanische Corps“ gewagt hat. Sind solche Ansätze die Kunstvermittlung der Zukunft? Oder stehen sie gleichberechtigt neben den klassischen Vermittlungsansätzen? Wie sind eure Erfahrungen mit dem Twitter-Guide?

Inke:
Das war ein Experiment. Der Twitter Guide kam bei unseren BesucherInnen nicht so gut an. Vielen war da zu wenig Inhalt drin. Sie sind ja auch gewissermaßen verwöhnt: Unsere gedruckten Ausstellungsführer mit Kurztexten zu den einzelnen Arbeiten vermitteln immer sehr verdichtet Informationen zu den einzelnen Positionen in der Ausstellung. Und dem wurde der Twitter-Guide nicht gerecht. Da muss man sich also nächstes Mal etwas anderes überlegen, was vielleicht den Besonderheiten von Twitter eher gerecht wird bzw. die Spezifika dieses Mediums besser nutzt. Man muss sich gut überlegen, ob man mit solchen neuen Angeboten einen Mehrwert erzeugt oder nicht.

Anke:
Ihr eröffnet am 24. Juli die Ausstellung „Digitale Folklore“. Darin untersucht ihr die kulturelle Bedeutung der Computertechnologie aus der Perspektive der Nutzer. Was interessiert euch speziell an Catcontent und Co?

Inke:
Da geht’s nicht nur um Katzen! Ich habe zwei KünstlerInnen, Olia Lialina und Dragan Espenschied, eingeladen, eine Auswahl aus einem Archiv mit Überbleibseln des frühen Webhostingdienstes GeoCities zu kuratieren. Olia Lialina und Dragan Espenschied, NetzkünstlerInnen der ersten Stunde und Kuratoren der Ausstellung Digitale Folklore, erforschen bereits seit einem Jahrzehnt die Amateurkultur des World Wide Web. Die Ausstellung zeigt Arbeiten, die aus aufwändig restaurierten und künstlerisch neu interpretierten digitalen Ruinen des kostenlosen Webhosting-Dienstes GeoCities bestehen. 2009 wurde dieser Service durch den Konzern Yahoo! abgeschaltet. Nach fünfzehnjährigem Bestehen wurden so Millionen handgemachter Homepages vernichtet … ein Terabyte der Daten konnte jedoch kurz vorher durch das Archive Team kopiert werden …

Für Olia Lialina und Dragan Espenschied sind genau diese Millionen von handgemachten Homepages ein bis heute unterschätzter und von der Medienarchäologie viel zu wenig erforschter Teil der Netzkultur: „Computer- und Netzkultur werden nur zu einem kleinen Teil von technischen Innovationen geprägt. Es ist unwichtig, wer den Mikroprozessor, die Maus, TCP/IP oder das World Wide Web erfand und welche Ideen dahinter steckten. Ausschlaggebend ist, wer sie wie benutzt. Allein durch die User gewinnt Computertechnologie überhaupt an kultureller Bedeutung. Viele Bemühungen der User, seien es glitzernde Sternenhintergründe, Fotos süßer Kätzchen oder Regenbogenfarbverläufe, werden als Kitsch verlacht oder gar als allgemeiner kultureller Verfall bezeichnet. Dabei ist dieser scheinbare ästhetische Wirrwarr, geschaffen von Usern für User, die wichtigste, schönste und am meisten missverstandene Sprache der Neuen Medien.“  Das ist Material für Ge-ne-ra-tio-nen zukünftiger Medienarchäologen!

Anke:
Aus meiner Sicht kann die Kunst ruhig noch viel mehr Raum im Netz beanspruchen und sich auch selbstbewusster in die Gestaltung einbringen. Wie siehst du das?

Inke:
Es gibt seit den 1990er Jahren sehr viel Kunst im Netz – die sogenannte „Netzkunst“. Aber Kunst ist nicht nur Gestaltung. (Gute) Kunst stellt Fragen, sie schafft Situationen – sie gibt keine Antworten. Und sie kräht halt nicht immer raus: „Hallo, hier bin ich und ich bin mega-wichtig!“, sondern arbeitet oft im Verborgenen. Beispiele sind www.antworten.de (1997) von Holger Friese & Max Kossatz oder „insert coin“ (2001) von Alvar Freude & Dragan Espenschied.

www.antworten.de (1997) von Friese und Kossatz begrüßte einen Nutzer z.B. mit der Nachricht »We are now serving 94«. Dazu setzte eine Endlosschleife mit geloopter Dudelmusik ein, ähnlich einer firmeneigenen Telefonmusikwarteschleife. Nach 100 Sekunden erschien die Frage »Möchten Sie etwas schreiben oder etwas lesen während Sie warten?« Klickte man auf ›lesen‹, wurden detaillierte Zugriffsstatistiken für »www.antworten.de« aufgerufen. Nach drei Minuten wurde die nächsthöhere Wartenummer aufgerufen. Man konnte nun die Zeit überschlagen, zu der man drankommt, und sich anderen Tätigkeiten zuwenden, z.B. zu anderen Webseiten surfen. Kam man jedoch nach ca. 20 Minuten zurück, wurde man grundsätzlich immer mit der Antwort »Sie sind leider zu spät, Ihre alte Nummer war 99, Ihre neue Nummer ist 106« abgespeist. Das vielversprechende Angebot entpuppte sich als Maschinenskript – das Hoffen auf Antworten war vergeblich.

Dragan Espenschied und Alvar Freude manipulierten während ihres Projektes »insert_coin« (2000–2001) den Proxy-Server der Merz-Akademie in Stuttgart und konnten so den gesamten Web- und Mailverkehr unter ihre Kontrolle bringen und mit eigenen Inhalten versehen. Die Tatsache, dass das Experiment trotz auffälliger Manipulationen vollkommen unbemerkt blieb, ließ auf ein nur gering entwickeltes Problembewusstsein auf Seiten der Nutzer schließen.

Anke:
Das Thema „Utopie“ ist in vielen eurer Ausstellungsprojekten präsent. Heute sprechen wir davon, dass wir im digitalen Zeitalter angekommen sind. Wie sieht die Zukunft der Medienkunst aus? Und was hat der HMKV für Pläne?

Inke:
Das Digitale war ja auch mal Utopie. Heute gibt es das nicht mehr – also einen ungebrochenen Glauben daran, dass durch „neue Medien“ oder das Netz sich alles zum Besseren wenden werde. Es gibt keine Utopie mehr, die uneingeschränkt und ungetrübt positiv und optimistisch wäre. Ich halte das nicht für einen Verlust.

Für Ende Oktober 2015 planen wir im HMKV ein sehr großes Projekt mit dem Titel „A Better Version of You. Eine Technologiemesse“. Das wird eine Ausstellung sein, die im Kleid einer Technologiemesse daherkommt. Uns (Christian von Borries, Nina Franz und mich) interessiert die Frage, inwieweit Technologie heute bereits zum handelnden Subjekt geworden ist, bzw. dies zunehmend wird. Und inwieweit menschliches Handeln von technologischer Agency ersetzt wird – indem sie in z.B. Technologien eingebaut wird, die uns täglich umgeben –, und was das für unsere Gesellschaft bedeutet.

Wieso das Format einer Technologiemesse? Wir wollen Firmen und ihre „Produkte“ einladen als auch KünstlerInnen, die interessante Dinge mit Technologien machen oder gar bessere Technologien imaginieren. (Künstlerische) Projekte werden als Produkte präsentiert, (reale) Produkte erscheinen als fiktive (teils unheimliche) SF-Phantasien und die Grenze zwischen (realen) High-Tech-Produkten und künstlerischen Projekten wird diffus. Wir wollen mit diesem Format einen ambivalenten (also einen nicht von vorhinein technologiekritischen) Raum schaffen, einen Raum, der diese schöne neue Welt skizziert und der gleichzeitig die Grenze zwischen (noch) Fiktion und (schon) Realität verwischt. Kurz: ein Raum, in dem der Besucher / die Besucherin über die präsentierten Objekte / Entwürfe / Produkte / Projekte nachdenken muss.

 

Vielen Dank, Inke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir meine Fragen zu beantworten. Ich gebe gerne zu, dass für mich die Medienkunst ein weitgehend unbeackertes Feld war. Deine Antworten haben mich aber definitiv mehr für die Sache interessiert. Da will ich gerne dranbleiben. Dortmund ist ja in diesem Falle immer eine gute Adresse:-) Ich wünsche allen Teilnehmern heute Abend ein tolles Tweetup und werde auf jeden Fall sehen, dass ich die Ausstellung noch besuche.

Und ich hoffe, es ergeben sich noch weitere Gespräche mit euch. Anregungen dazu habe ich in diesem Interview zu Hauf bekommen. Besonders das Thema „Vermittlung“ bietet hier noch jede Menge Stoff! Ich fand es super, dass ihr euch mit dem Twitter-Guide zumindest an ein Experiment neuer Kunstvermittlung gewagt habt. Wir Herbergsmütter zumindest –  und ich glaube auch die Teilnehmer am Workshop –  haben die Herausforderung gerne angenommen, die Kunst aus verschiedenen Perspektiven zu befragen. Experimente sind auch dazu da, Formate mal zu testen und im besten Falle daraus zu lernen. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass so ein Format auch Zukunft hat. Vielleicht muss man aber das Publikum in diesem Falle einfach noch etwas fester bei der Hand nehmen. Es ist auch für die meisten ein Prozess, sich auf andere Herangehensweisen einzulassen. Der partizipatorische Gedanke hinter dem Twitter-Guide ist auf jeden Fall ein richtiger Weg gewesen, den man sicher noch mehr begleiten muss.

 

 

 

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2 Antworten zu “Medienkunst und Netzkultur – Einblicke mit Inke Arns”

  1. Liebe Anke,

    sehr spannend zu lesen. Besonders die ehrliche Einschätzung des Twitter-Guide von Inke finde ich gut. Ich hatte die Berichte darüber mitverfolgt und fand es hörte sich sehr gut an – ohne den Guide vor Ort aber selbst getestet zu haben. Schade zu hören, dass er bei Besuchern nicht gut ankam.
    Aber es heißt ja: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“ – man muss also ein gewisses Maß an Experimentierfreude an den Tag legen und Innovationen testen. Das bringt auch Rückschläge mit sich – vorher weiss man leider nie, wie etwas Neues angenommen wird. Gerade negative Erfahrungen sollte aber dazu anstacheln, es weiter zu versuchen. Vielleicht kommt das nächste Angebot bei den Besuchern dafür umso besser an.

    Viele Grüße
    Angelika

    • Liebe Angelika,

      absolut, man muss unbedingt rumprobieren dürfen. Wie gesagt: ich glaube auch, dass das Publikum erst lernen muss, andere und kreativere Vermittlungsmöglichkeiten zu erproben. So etwas wie der Twitter-Guide war ja auf Interaktion aufgebaut. Und es sollten im Grunde nach einer ersten Runde mit ausgewählten Twitterati weitere Besucher animiert werden, eigene Tweets zu schreiben. Da muss man dann als Veranstalter auch dran bleiben und das immer schön begleiten, anregen und natürlich auch entsprechend promoten. Da hätte man vielleicht ein bisschen mehr investieren müssen. Gerade das Spielerische und sprachlich Herausfordernde sehe ich als interessanten Aspekt, wenn man Twitter als Vermittlungsinstrument nutzen wollte.

      Viele Grüße
      Anke

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