Ich war zu Schulzeiten ein regelrechtes Goethe-Fangirl. Konnte den Faust I stellenweise auswendig und fand Mephisto sehr verführerisch. Da flatterte die Einladung zur Blogger-Reise nach Stuttgart ins Haus und ich war äußerst entzückt. Am ersten Abend in die Oper. Aber gerne. Faust! Herrlich! Und die ersten Stimmen zur Castorf-Inszenierung versprachen einen vielversprechenden Abend. Oper kann zu einem komplexen sinnlichen Erlebnis werden und diesen wundervollen Abend in Stuttgart werde ich so schnell nicht vergessen!
Das schlichte Opernhaus von Riphahn verteidige ich gern. Mich überzeugt diese zutiefst demokratische Architektur auch in ihrer zurückgenommenen Eleganz. Aber als ich den Historismus-Bau von Max Littmann betrat, hat mich die Opulenz der Architektur unweigerlich in den Bann gezogen. Man kann sich diesem Gestaltungswillen nicht entziehen. Als Hoftheater für den württembergischen König 1912 erbaut, glänzt er mit vielen zauberhaften Details. Der große Max Reinhardt soll das Haus als schönstes Theater der Welt bezeichnet haben. (Funfact: Max Littmann erbaute auch das Hofbräuhaus in München!)
Mit 1404 Plätzen ist der Zuschauerraum sicher nicht klein – man hat aber von jedem Platz eine fantastische Sicht. Auch über die Köpfe der vorderen Reihen hinweg! Der Innenraum wird beherrscht von einem magischen Sternenhimmel. Mein Blick ging immer wieder zu den königlichen Logen – die Bedeutung als Hoftheater atmet der Bau auch heute noch. Wir konnten das hautnah erleben, als wir zu einem Sekt-Empfang in einen Salon gebeten wurden, der schon dem König und seinem Gefolge als Rückzugsort diente. So etwas befeuert natürlich die Fantasie. Wie großartig, wenn man in geheimste Theater-Ecken vordringen darf. (Nach der Aufführung ging es dann noch zum Kostümfundus, in den Malsaal und auf die Bühne. Die Bilder sprechen für sich!)
Faust. Eine französische Oper
Da wagt sich ein Franzose an das literarische Nationalheiligtum der Deutschen heran. Nachdem Charles Gounod 1859 sein Stück der Öffentlichkeit präsentierte, war die Rezeption nicht nur positiv. Die Bezeichnung „Boulevard-Faust“ machte die Runde. Es ist auch interessant, dass Gounod an dem Stück mehrfach herumgebastelt hat. Zunächst war es nämlich mit gesprochenen Dialogen konzipiert. Erst nach und nach arbeitete er die Fassung entsprechend um. Dass der Faust eher leicht denn als Grand Opera daherkommt – mir gefällt das ausnehmend gut! Musikalisch kann der geübte Operngänger sicher viele Anspielungen zu entdecken. Mir kam es vor, als hörte ich Bach in der Kirchenszene. Und in meinem Kopf machte sich stellenweise die Marseillaise breit. Leider bin ich musikalisch nicht so bewandert, dass ich das einordnen kann. Ich habe es einfach nur genossen!
In Deutschland lief die Oper auch mit dem Titel „Margarethe“, was der Konzentration der auf die Liebesbeziehung zwischen Faust und Gretchen geschuldet ist. Obwohl Goethe in der französischen Romantik einen hohen Stellenwert genoss, zog Gounod das Libretto von Michel Carré in Betracht. Dort gibt es keine Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, sondern es geht nur um das Eine! Das Triebhafte der Protagonisten wird zudem noch betont durch die Figur des Siebel, der Margarethe aufrichtig liebt. Aus dem einstigen Saufkumpan in Auerbachs Keller, ist in der Oper eine sogenannte Hosenrolle geworden. Und Margarethe? Sie ist mitnichten das gottesfürchtige Gretchen, wie wir sie bei Goethe kennenlernen. Was für sie zählt, erfahren wir in der berühmten Juwelenarie! (Funfakt Nr. 2: Mit dieser Arie erscheint die Operndiva aller Operndiven auf der Bildfläche: Bianca Castafiore!)
Castorfs Faust-Inszenierung
Auf dem Hügel kam er ja anscheinend nicht so gut an. Aber das, was Frank Castorf mit seiner Faust-Inszenierung dem Opernpublikum in Stuttgart serviert, ist ganz großes Kino. Der Theatermensch hat sich hier in das musikalische Gerüst hineingedacht und aus der heiteren Oper ein bildstarkes Stück gemacht, aus dem nicht nur die drei Hauptfiguren wie Juwelen glänzend hervorgehoben werden. Nebenfiguren wie Siebel oder auch der Chor tragen bei Castorf ebenfalls viel Verantwortung für die Wirkung. Das Spannendste aber ist der Einsatz von Filmkameras (Regie: Martin Andersson), die den Akteuren immer wieder ziemlich nah kommen und Feinheiten und Nuancen für das Publikum sichtbar machen, für die man eine nicht ganz unstressige Bilderflut gerne in Kauf nimmt.
Mephisto hat mir großes Vergnügen bereitet. Genüsslich zelebriert Adam Palka mit provozierenden Bewegungen und sarkastischer Mimik das Böse. Stimmlich ballert sein höllischer Bass. Dass Castorf ihn im Voodoo-Milieu anlegt, gefällt mir gut. Stellenweise fühlte ich mich an den Film Angel Heart erinnert. Genial, wenn Mephisto im Kostüm (Adrioana Braga Peretzki) mit den Pferdefüßen auftritt. „Ich werde mein Bestes tun, niemanden zu langweilen!“ Das hat er wahrlich eingelöst.
Nun, Mandy Fredrichs Margarethe ist ein Vollweib! Sie kleidet sich modisch und raucht Opiumpfeife. Ja, und leider ist sie sehr anfällig für jegliche Art von Luxus und wird Opfer ihrer eigenen Konsumgeilheit. Am Ende aber ist sie es, die das Heft in die Hand nimmt und sich mit einem Giftcocktail selbst tötet. Fredrich hat einen extra Applaus verdient, da sie aufgrund einer Halsentzündung an diesem Abend nicht singen konnte (vom Bühnenrand wurde stimmlich Ersatz eingebaut, was erstaunlich gut funktioniert hat), aber dennoch die Rolle wunderbar auf die Bühne gebracht hat.
Castorf verlegt die Oper in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Während es in der Entstehungszeit der Oper um die Pariser Commune geht, sind es nun die Algerienkonflikte, die den geschichtlichen Hintergrund für die Story liefern. Frank Castorf bringt das in Bezug zur heutigen Fluchtsituation und macht deutlich, dass es beim Weltenlauf nicht nur um das individuelle Schicksal Einzelner geht, sondern dass alles miteinander verwoben ist. Das Geschehen findet an der Metro-Station Stalingrad statt. (Fabelhaftes Bühnenbild: Aleksandar Denic). Literarische Versatzstücke kommentieren die Geschichte. Castorf erweitert den Denkraum um die Oper beispielsweise mit Versen von Rimbaud. Die vielen Bravo-Rufe und der nicht enden wollende Applaus an dem Abend zeigten, dass er damit den Nerv der Zeit getroffen hat. Bei mir jedenfalls hat die Oper noch länger nachgebrannt!
Oper für alle
Die Oper Stuttgart ist gerade zur Oper des Jahres gewählt worden. Da entscheiden die Musikkritiker. Aber es gibt aus meiner Sicht durchaus auch noch andere Gründe, das Haus zu loben! Mit verschiedenen Aktivitäten ist man dort sehr gut unterwegs in der Vermittlung. Es gibt eine Reihe an Formaten, die sich an das junge Publikum wenden. Richtig toll finde ich den Preview Club, bei dem alle zwischen 16 und 30 Jahren kostenlos eine Generalprobe besuchen und sich danach mit den Künstlern in der Kantine austauschen können. So gewinnt man das Publikum von morgen! Mit dem Programm der Jungen Oper geht man da sicher auch den richtigen Weg.
Und sie haben ein Blog. Eines, in dem ich richtig gerne gestöbert habe. Hier, dieser Artikel über den Applaus, der ist wirklich lesenswert. Das gefällt mir. Das Blog nicht nur als Archiv für die eigene Arbeit nutzen, sondern auch ein paar neue Aspekte beisteuern!
Und Beifall möchte ich auch an dieser Stelle für ein ganz besonders schönes Format spenden, das sich die Oper Stuttgart im Rahmen der Willkommenskultur überlegt hat. Die Oper als Begegnungsraum! Bravo!
Zur bevorstehenden Renovierung wünsche ich allen Beteiligten ein gutes Händchen (für die Ausweichspielstätten vor allem) und Nerven wie Stahlseile! Ansonsten kann man wohl nur sagen: Weiter so!
Der Beitrag entstand im Rahmen der Bloggerreise #kulturherbststuttgart, die von der Stuttgart-Marketing GmbH und ausgewählten Partnern initiiert und finanziert wurde.
Ich liste hier gerne weitere Beiträge über unseren Opern-Abend auf.
Angelika Schoder auf musermeku.org
Voodoo-Zauber und Reality-TV: Frank Castorfs „Faust“ in der Oper Stuttgart.
Michelle van der Veen auf Museumlifestyle
A perfect night in Stuttgart
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