Wer hier öfter mal mitliest, weiß, dass mein Herz für den Jugendstil schlägt. Und es war für mich eine große Ehre, dass ich gemeinsam mit dem Museum Wiesbaden ein Community Event organisieren durfte, bei dem dieses Lieblingsthema im Fokus stand. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: zum einen gab es die sensationelle Schau zu Oskar Zwintscher zu bewundern, zum anderen schwelgte ich erneut in der außergewöhnlichen Sammlung von Ferdinand Wolfgang Neess. Warum ihr es aber nicht versäumen solltet noch bis zum 23. Juli ins Museum zu kommen, das erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Es ist schon spannend, wie unsere Wahrnehmung von Künstler:innen der Vergangenheit geprägt ist durch die Forschung und ihrer spezifischen Perspektiven. Im wirklich toll geschriebenen Katalog wird die deutsche Teilung als ein Faktor genannt, weswegen der seinerzeit durchaus berühmte und geschätzte Künstler Oskar Zwintscher im Bewusstsein der Kunstgeschichte nicht zu den ganz Großen und Bekannten zählte. Da hätte man wohl mal intensiver in die ostdeutschen Museen schauen sollen. Umso lauter sind die Lobgesänge, die man diesem Meister heute singt. Und immer noch gibt es Bilder, die in Privatsammlungen auf das Licht der Öffentlichkeit warten. Was für ein Fest also, diesen Künstler im Museum Wiesbaden in einer Einzelschau bewundern zu können. But hurry up – das geht noch bis zum 23. Juli!!
Oskar Zwintscher
Selbstporträt, 1900
© Kunsthalle Bremen — Der Kunstverein in Bremen Foto: Marcus Meyer
Was für ein intensiver Blick! Die Ausstellung trägt den Titel „Weltflucht und Moderne“ und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das Widerstreitende zwischen zwei Polen genau das Ding von Zwintscher gewesen ist. Einerseits ist er ein Maler des Jugendstils, der Moderne. An manchen Stellen spürt man die Nähe zur Neuen Sachlichkeit, die er nicht mehr erlebte – er starb 1916. Tragisch, weil er noch so viel hätte malen können. Andererseits musste er so die dramatischen Entwicklungen der zwei Weltkriege nicht mehr miterleben!
Betrachtet man sein Selbstbildnis, so sieht einen hier nicht nur ein Mensch des Fin de Siècle an, der mit all den Mysterien der durchgreifenden Zeitenwende konfrontiert wird. Sondern man blickt auch tief in die Seele eines Künstlers, der auf den Traditionen der alten Meister fußt. Eines seiner Bilder in der Ausstellung hätte ebenso gut im 16. Jahrhundert gemalt sein können. Beim Selbstporträt denkt man doch auch sofort an den typischen Goldgrund mittelalterlicher Heiligenbilder. Gleichzeitig altdeutsch und proto-neusachlich wird er im Katalog beschrieben. Das klingt sehr passend.
Diese Hände
Die Ausstellung ist wirklich ein unglaublicher Genuss und man kann gar nicht genug bekommen von den Details und auch der speziellen Malweise, der Haptik seiner Gemälde. Die Begeisterung, mit der uns Valerie Ucke und Peter Forster die Ausstellung in ihren Kurzführungen näher brachten, schwappt sofort auf die Gruppe interessierter und zum Teil auch auf den Jugendstil spezialisierter Instagramer:innen über. Die Entdeckerfreude steckt einfach an. Ich beispielsweise konnte mich gar nicht sattsehen an den wirklich unglaublich lebensecht und gleichzeitig ätherisch und außergewöhnlich gestalteten Händen.
Oskar Zwintscher wird 1870 in Leipzig geboren, wo er auch als 17-Jähriger die Königliche Kunstakademie besucht. Ab 1890 studiert er Malerei an der Königlich Sächsischen Akademie der Bildenden Künste in Dresden. Im Jahr 1893 zieht es ihn nach Meißen, die Stadt mit den roten Dächern taucht häufig in seinen frühen Gemälden auf. Hier trifft er auch auf Adele, seine spätere Frau. In den folgenden Jahren baut er deutschlandweite Kontakte auf, nimmt u.a. an den Ausstellungen der Münchener Secession teil und arbeitet für verschiedene Zeitschriften wie z.B. die PAN. Als die Kölner Firma Stollwerck 1898 die Illustration von Sammelbildchen ausschreibt, bewirbt sich Zwintscher und holt mehrmals die vorderen Preise. Im selben Jahr wird auch Adele seine Frau. Ein enger Kontakt zum Fotografen Hugo Erfurth entsteht, dem wir einige authentische Porträtfotos des Künstlers sowie seiner Frau verdanken. Über Heinrich Vogeler ergeben sich Begegnungen mit der Künstlergemeinschaft in Worpswede. 1901 erhält er von Rilke gar den Auftrag, dessen Gattin Clara Westhoff zu porträtieren. Es entsteht eines dieser magischen Zwintscher-Porträts. Allerdings scheint es später zum Zerwürfnis mit Rilke gekommen zu sein, da dieser mit dem Bildnis, das Zwintscher von ihm anfertigte, so gar nicht einverstanden war.
Mittlerweile lehrt Zwintscher in Dresden und erhält sogar wegen des großen Zulaufs einen zweiten Malsaal. 1913 hält er sich in Köln auf und schwärmt von den alten Meistern im Wallraf-Richartz-Museum! Am 11. Februar 1916 stirbt Oskar Zwintscher. An einer Erkältung?!! Kurz vorher hat er für einen seiner Schüler noch ein Schreiben verfasst, um ihn vor einem Kriegseinsatz zu schützen.
Auch das ist Zwintscher: ein vergleichsweise kurzes Leben dicht gedrängt mit Gemälden voller Details. Ich war allerdings sehr erstaunt zu erfahren, dass er – nicht wie man bei seiner Feinmalerei vielleicht vermuten könnte – sich mit aufwendigen Untermalungen aufgehalten hat. Er schien sich relativ frei und mutig ans Malen zu begeben. Ich bin wirklich froh, diese spannende Künstlerpersönlichkeit kennengelernt zu haben. Er verdient es, dass sein Schaffen, seine Bedeutung für die Kunst um 1900 bekannter werden.
Sensationelle Frauenporträts
In Wiesbaden ist Adele Zwintscher ein ganzer Saal gewidmet und es wirklich faszinierend zu sehen, wie der Künstler seine Frau in immer wieder neuen Rollen porträtiert. Wir erinnern uns: die Zeit, in der Zwintscher lebt, feierte die Femme fatale ebenso wie die Femme fragile. Es ist aber auch die Zeit der ersten Frauenbewegungen, das Reformkleid ist nicht nur eine modische Erscheinung. Viel ist in Bewegung, man merkt, dass sich auch Zwintscher fasziniert vom neuen Selbstbewusstsein zeigt. Und Adele ist in ihrer ätherischen und geheimnisvollen Erscheinung die perfekte Folie für all diese Rollen.
Das unglaublich tolle Porträt seiner Frau mit dem Spiegel macht deutlich, dass sie eben nicht nur ein praktisch rund um die Uhr verfügbares Modell gewesen ist. Ihre Persönlichkeit springt einem in diesem Bild förmlich entgegen. Treu liebende Ehefrau und Tochter aus gutem Hause. Aber geheimnisvoll lockt das ewig Weibliche. An einigen stellen erinnert mich Zwintscher auch an den von mir immer schon sehr verehrten Ferdinand Khnopff, der seine Frau Marguerite 1887 in einem ganzfigurigen Bild darstellt, wie sie sich bei Zwintscher dann später auch malt. Inspiration für solche außergewöhnlichen Formate lassen sich auf den in dieser Zeit aufkommenden Japonismus zurückführen.
Zum Schluss muss ich euch aber noch ein Bild besonders ans Herz legen, das für mich das absolute Highlight der gesamten Ausstellung ist. Die Unbekannte mit Zigarette ist ein so unglaublich modernes Bild, dass man kaum glauben kann, dass es aus dem Jahr 1904 stammt. Und hier kann man erneut diese unglaubliche Stofflichkeit feiern, die die Bilder Zwintschers auszeichnen. Selten habe ich so ein aufregendes Schwarz gesehen. Die feinen Biesen der Bluse aber auch das Muster der Stofftapete im Hintergrund – man kann stundenlang vor diesem Bild stehen und das Schwarz wird zunehmend lebendiger. Und dann dieser intensive Blick, so selbstbewusst auf den Betrachter gerichtet. Schade, dass wir heute nicht mehr wissen, wer diese Frau war. Sie hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Aber möglicherweise finden wir bald heraus, wer sie war? Das Buch „Symphonie in Schwarz. Eine Spurensuche zwischen Lebensreform, Frauenbewegung und Bohème“ lässt dies zumindest hoffen. Am 20.7. gibt es im Museum Wiesbaden eine Buchvorstellung mit den beiden Autor:innen.
Ihr solltet die einmalige Gelegenheit nicht versäumen, so viele Bilder von Oskar Zwintscher an einem Ort versammelt zu sehen. Die Ausstellung „Weltflucht und Moderne. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900″ läuft noch bis zum 23. Juli. Zur Finissage am 22. Juli gibt es ein Sommerfest – wenn das kein schöner Anlass ist! Also: es gibt noch reichlich Gelegenheit für einen sommerlichen Ausflug nach Wiesbaden.
Ich lege euch übrigens auch den erkenntnisreichen Katalog mit vielen wunderbaren Abbildungen und zahlreichen Hintergrundinformationen sehr ans Herz.
Sammlung Ferdinand Wolfgang Neess
Wenn ihr dann in Wiesbaden seid, führt natürlich kein Weg an der sagenhaften Sammlung Neess vorbei. Der Kunsthändler und Sammler besaß zwei Zwintscher-Gemälde (Frauenbildnisse mit Narzissen), die so in das Museum gelangten und mit einem bereits 1909 erworbenen Porträt die Verbindung zwischen Zwintscher und dem Haus festigen. Tatsächlich ist das Museum Wiesbaden eines der wenigen westdeutschen Häuser, das Bilder von Zwintscher in seiner Sammlung hat.
Aber zurück zur Sammlung Neess. 2019 gelangte die wohl größte Privatsammlung des Jugendstils durch Schenkung an das Haus und wird dort seitdem in Anlehnung an die Idee des Gesamtkunstwerks präsentiert. Besonders hervorzuheben ist die Illuminierung der zahlreichen typischen Jugendstil-Lampen, die oft in den Museen dunkel bleiben. Elektrizität als die bahnbrechende Errungenschaft der Zeit soll so wieder ins Bewusstsein geholt werden. Kurator Peter Forster hatte die gute Eingebung, die Lampen mit LED-Licht zu versehen, was ihnen dauerhafte Illumination bescherte. Kleine Nebenbemerkung: Ich bleibe jedes Mal verzückt vor dem historischen Film stehen, der vor den Ausstellungsräumen in Dauerschleife läuft und die Fée électricité beim Tanz zeigt.
Und so wandelt man heute durch die Ausstellung und fühlt sich in den einzelnen Räumen zurückversetzt in die Zeit, in der Künstler eine neue Zeit feierten. Möbel, Lampen, Keramik, Glas, Bilder – alles wird hier zu einer Einheit. Mit begleitenden Vermittlungsangeboten kann man tiefer eintauchen in den Zeitgeist und sich beispielsweise auch mit einem Jugendstilizer dem für diesen Stil so zentralen Ornament widmen.
Nachfolgend könnt ihr euch durch ein paar Impressionen aus der Präsentation der Sammlung Neess im Museum Wiesbaden klicken. Inklusive der einzigartigen Pilzlampe von Emil Gallé, von der es weltweit nur noch ganz wenige Exemplare gibt.
Transparenzhinweis: Dieser Blogbeitrag entstand im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit dem Museum Wiesbaden. Ich danke für die wunderbare Zusammenarbeit!
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