Reality Sandwiches. Irgendwie ist mir dieser Begriff in den Kopf gesprungen, als ich mir überlegte, dass ich über einige Ausstellungsbesuche aus der letzten Woche bloggen will. Ich hab ihn von Allen Ginsberg entlehnt (weiter unten erläutere ich den Zusammenhang). Und er passt so schön zu meiner kleinen Collage mit Eindrücken.
Kunst und Küche
Jeder Topf findet auch seinen Deckel. So der Untertitel der Ausstellung in der Villa Zanders. Und es stimmt in diesem Fall auch tatsächlich. Denn als ich vorletzten Sonntag einem Vortrag in der Villa Zanders lauschte, troff jedes Detail in mein Bewusstsein und vermengte sich mit Vorwissen, Neugierde und Wissbegierde. Kochen als Kunst – es ist und bleibt mein Lieblingsthema und es war wirklich ein Genuss, Dieter Froelich zu lauschen. Ein spannender Künstler, der ausgiebig zum Thema Esskultur recherchiert. So machte es mir ein einziges Mal auch nichts aus, dass einer seinen Vortrag zu den Folien ablas. Unsere begeisterten Tweets hat Ute zu einem Storify zusammengefasst.
Dieter Froelich nennt sein Projekt „a.a.O. Restauration“ ein Gedankengebäude. Eine wunderschöne Vorstellung, an wechselnden Orten Menschen an einen Tisch zu bringen. Und dann Speisen als Bilder zu servieren und Nahrungszubereitung als Weltentwurf zu verstehen.
Die Ausstellung in der Villa Zanders brachte einiges Bekanntes und auch schöne neue Entdeckungen. Gefreut hab ich mich über die genialen Wurstplatten von Petra Weifenbach. Ihre Arbeiten sind immer für einen Überraschungsmoment gut. Hier baut sie die kalten Platten mit dreidimensionalen Foto-Objekten nach. Diese entstehen, indem sie reale Wurst-, Schinken- und Gurkenscheiben fotografiert und ihre Abbilder neu arrangiert. Wahrheit oder Lüge? Das sind nun wahre Reality Sandwiches, die man sich damit schmieren könnte!
Bei Dieter Froelichs Fotoprojekt blieben wir sofort hängen. Eine ganze Wand voller Schwarzweiß-Fotos. Das Küchengerät als Objekt. Voller Erinnerungen. Das Kopfkino ratterte unaufhörlich! Ein Ausflug nach Bergisch Gladbach lohnt sich. Wer sich richtig etwas gönnen will, der kann für 120 Euro am von Dieter Froelich inszenierten Gastmahl teilnehmen, das am 8. März stattfindet. Allerdings werden dann auch zusätzlich Spenden für die Villa Zanders erwartet. Könnte also teuer werden.
Die große Illusion
Was für eine Ausstellung! Ich gehe sehr gerne ins Frankfurter Liebieghaus. Und das nicht nur, weil man im dazugehörigen Bistro richtig lecker speisen kann. (Das ist für mich aber auch mitunter ein wichtiger Aspekt eines Museumsbesuches, wenn ich ehrlich bin. Also, wenn ich privat unterwegs bin! Wie ich ja überhaupt der Meinung bin, dass Kunst und Genuss richtig fein zusammen passen.)
Die Definition von Illusion klingt zu negativ für die Faszination, die mit ihr verbunden ist. Ich sehe in ihr nicht die falsche Wahrnehmung von Wirklichkeit, sondern eher etwas Magisches. Nicht von ungefähr nennen sich Zauberer auch gerne Illusionisten. Und in der Ausstellung geht es um nicht weniger als die Faszination der hyperrealistischen Nachbildung. Das Auge bleibt hängen an den bis ins letzte Detail genau nachgebildeten Figuren. Direkt im ersten Raum stockt einem der Atem angesichts des unglaublichen Kriegers, der einem seine prächtige Nacktheit dort überlebensgroß präsentiert. Wow, was für ein Hintern!
Was macht so eine Darstellung mit dem Betrachter? Keine der vorgestellten Skulpturen lässt einen kalt. Äußerst berührt war ich vom wächsernen Erinnerungsbild an Anna Maria Calegari Zucchini, die aus ihrem Glaskasten schaut. Unfassbar, wie lebendig sie aus dem 18. Jahrhundert auf uns blickt. Und ich hatte Tränen in den Augen beim Anblick von Sam Jinks, der seinen verstorbenen Vater im Arm hält – eine moderne Piéta. Aber auch ein persönlicher Erinnerungsmoment.
Ein leichter Gruselschauer ist in der Ausstellung nicht zu vermeiden. Ein Moment, das in vielen der Kunstwerken eingerechnet wurde. Dienten sie nicht zuletzt auch dazu, die Glaubwürdigkeit des Heilsgeschehens zu vermitteln. Aber auch in der zeitgenössischen Plastik spielt der Schock eine Rolle. Dieser kurze Augenblick, in dem der Betrachter denkt: das kann doch nicht … echt sein. Bei John de Andrea passiert das! Denn seine Figuren sind bei aller Detailgenauigkeit irgendwie doch weit von Echtheit und authentischer Situation entfernt. Da passt es auch, dass seine „Ariel II“ in einem kleinen halbrunden Raum wie eine antike Göttin in Szene gesetzt wurde.
Insgesamt fand ich es beim Rundgang fast ein bisschen schade, dass in den ausführlichen Wandtexten kaum auf emotionale Aspekte der Betrachtung eingegangen wird. Die haben für mich einen großen Anteil an der Begeisterung für diese tolle Schau.
Ach ja, anschließend war ich im Städel in den „Fantastischen Welten„. Eine wunderbare Ausstellungs-Idee, die in Teilen als Ergänzung zur großen Illusion funktioniert. Auch wenn der Reiz der vielen Grafiken für mich an mancher Stelle etwas getrübt war. Im Halbdunkel (verstehe ja, dass es aus konservatorischen Gründen sein muss) konnte ich kaum Detail erkennen. Aber genau die Details sind das Spannende. Deswegen spreche ich hier ein deutliches Kompliment für den Filmtrailer zur Ausstellung aus. Von solchen gelenkten Blicken auf die Besonderheiten kann man ruhig mehr haben.
Ludwig goes Pop
Schnell, schnell. Noch bis zum 11. Januar könnt ihr die Pop Art Ausstellung im Museum Ludwig sehen. Eine großartige Versammlung sämtlicher Pop-Ikonen der Kunst. Ich hab mich so über das Wiedersehen mit so manchem sehr vertrauten Kunstwerk gefreut. Klasse, wie die Ausstellung auch als Raumerlebnis funktioniert. Besonders die kreativ eingesetzten Texte steigern das Kunsterlebnis. Das Beitragsbild oben stammt auch aus der Schau!
Und hier kommt auch noch einmal das Reality Sandwich ins Spiel (spielerisch im wahrsten Sinne des Wortes). Wie, das habe ich in diesem Text zu Robert Rauschenberg schon einmal beschrieben. Für einen Dialog der Künste haben wir damals das Gedicht von Allen Ginsberg zu der „Odalisque“ von Rauschenberg rezitiert.
Reality Sandwiches
The method must be purest meat
and no symbolic dressing
actual visions & actual prisons
as seen then and now.
Prisons and visions presented
With rare descriptions
corresponding exactly to those of Alcatraz and Rose.
A naked lunch is natural to us,
we eat reality sandwiches.
Butt allegories are so much lettuce.
Don’t hide the madness.
And seen then and now … das passt wunderbar. Ihr könnt es gerne ausprobieren und mit dem Gedicht vor der Odalisque überprüfen. In der Ausstellung trifft man wieder auf John de Andrea. Und Duane Hanson, George Segal. Die große Illusion auf dem Prüfstand. Wirklichkeit, Wahrheit, Realität, Tatsache, Alltag, Traum, Erscheinung, Illusion, Wunsch. Kunst und Leben. Eine lohnenswerte Reise!
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