[Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund]
„So viel Jugend – so viel Stil“, schrieb einst ein Kritiker über Richard Riemerschmid. Als die Bezeichnung „Jugendstil“ erstmals anlässlich einer Ausstellung für das Grafische Kabinett 1897 in Leipzig genutzt wurde, waren die vielfältigen Erscheinungen, unter denen wir heute Jugendstil kennen, längst etabliert. Eine Epoche, die sich grob von 1880 bis 1910 entfaltete und als deren unangefochtener Höhepunkt die Weltausstellung 1900 angesehen wird. Vor unserem geistigen Auge erscheint das Paris der Jahrhundertwende, sicher denken viele jetzt an Wien, Brüssel oder auch Budapest. Aber wer von euch hatte Dortmund auf dem Schirm? Ich muss gestehen, ich nicht unbedingt. Dass ich jetzt einen völlig neuen Blick auf den Jugendstil in Deutschland bekommen habe, hängt auch damit zusammen, dass ich vom Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) in Dortmund eingeladen wurde, eine Bloggerreise zu der Ausstellung „Rausch der Schönheit. Die Kunst des Jugendstils“ zu organisieren. Mit einer Gruppe engagierter Kulturblogger haben wir ein ganzes Wochenende auf den Spuren des Jugendstils in Dortmund verbracht. Und eines kann ich schon mal jetzt sagen: Dortmund überrascht. Das MKK Dortmund aber auch!
Was muss man über die Verbindung von Jugendstil und Dortmund wissen? Ich habe mir eine kleine Liste gemacht, die einzelne Berührungspunkte aufführt
- Museumsdirektor Albert Baum kaufte auf der Weltausstellung 1900 in Paris ein. Auch wenn er nicht so viel Budget hatte, wie manch anderer Direktor aus deutschen Landen, hat er doch einige Objekte mitgebracht, die heute zu den Highlights der Sammlung des Hauses gehören. Mein Lieblingsobjekt dabei ist eine kleine Vase von Emile Gallé, die Baum seiner Tochter mitbrachte. Gallé hatte anscheinend solche Kleinigkeiten als Souvenirs von der Weltausstellung produziert. Das teuerste der angekauften Stücke war ein Teppich mit geometrischem Muster, gefertigt 1899 in der Nordischen Bildweberei in Oslo, Norwegen. Leider ging der Teppich wie manch anderes schöne Stück in den Wirren des Krieges unter.
- 1904 kaufte Baum ein Konvolut Färberschablonen aus Japan. Die Begeisterung für den Japonismus war weit verbreitet. Vorlagen waren damals sehr gewertschätzt und mehr als ein Mittel zum Zweck. Sie feierten auch das Handwerk.
- Die Gestaltungsideen des Deutschen Werkbundes wirkten auch bis Dortmund. Dort veranstaltete man 1909 die„Wohnungskunst-Ausstellung“ und gab ab 1913 die „Dortmunder Monatszeitschrift für das gesamte Bau-, Wohnungs- und Ausstattungsweisen“ heraus.
- Aenne Klönne war die Tochter des Darmstädter Möbelfabrikanten Julius Glückert, der viele Möbelentwürfe von Joseph Maria Olbrich ausführte. Durch Heirat kam sie nach Dortmund und brachte unter anderem einen von Olbrich entworfenen Damensalon und zahlreiche andere wertvolle Stücke mit in ihren Haushalt. 1964 schenkte sie diese dann dem Museum.
- Durch die sich schnell verbreitende Industrialisierung wurde Dortmund um die Jahrhundertwende immer größer und immer wichtiger. Und die Industriebarone dachten auch: warum sollen wir es uns nicht schön machen! Das zeigt sich in vielen selbstbewussten Hausfassaden und natürlich am deutlichsten an solchen Beispielen wie der berühmten Zeche Zollern. Da wird der Fortschritt und das neue Zeitalter tatsächlich in einem Rausch der Schönheit gefeiert. Kathedralen gleich funkeln die Glasfenster, kühn schwingen sich Türöffnungen. Man kann nicht anders, als staunen. (Ihr seht die Truppe der Bloggerinnen und Blogger im Beitragsbild vor der unglaublich schönen Tür zur Maschinenhalle auf Zeche Zollern stehen. Die wurde zwischen 1904 und 1906 von Bruno Möhring entworfen.)
- Nicht Jugendstil, aber gehört in den Zusammenhang: Das Museum befindet sich heute in einem streng-schönen Art-Déco-Bau, der 1924 von Hugo Steinbach für die Sparkasse gebaut wurde. Die ehemalige Schalterhalle ist wunderschön und wir durften dort sogar dinieren!
Prost
Dortmund und Bier – eine unschlagbare Einheit. Und ja, auch der Jugendstil lässt sich mit diesem Thema in Verbindung bringen. Nicht nur, dass in der Ausstellung eine kleine Sammlung interessanter Plakate aus der Zeit zu sehen sind, die für den Alkohlgenuss werben. Ich war auch sehr angetan vom historischen Sudhaus, in dem wir am ersten Abend mit leckeren Bierspezialitäten und einer Einführung in die Besonderheiten einiger Biersorten empfangen wurden. Hier bekam ich schon eine Ahnung, wie allumfassend der Gestaltungswillen in der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Die beeindruckenden Kupferkessel paaren sich mit zierlichen Lampen und einem äußerst dekorativen Mosaik – auch Bierbrauer sollten sich an der Schönheit der Umgebung erfreuen! Übrigens: mir schmeckte der Pfefferpotthast ausgezeichnet! Vielen Dank an das Brauereimuseum für die Einladung zu diesem Abend.
Gesamtkunstwerk
Der Jugendstil feiert ja bekanntermaßen die Einheit von Kunst und Leben. Daraus entstand dann in der Folge auch die Idee des Gesamtkunstwerks. Was mir gut gefällt: in der Ausstellung sehen wir nicht nur einzelne Knaller-Objekte, sondern immer wieder werden Ensembles gezeigt. Auch das Rahmenprogramm spielt eine wichtige Rolle, denn die Ausläufer in die Stadt und an die entsprechenden Jugendstil-Orte runden das Bild erst ab. Aber auch die Erinnerung an den Ort, an dem alles seinen Anfang nahm, empfängt den Besucher. Wenn man die Ausstellung betritt, dann fühlt man sich an den Ort der Weltausstellung 1900 versetzt. Man reiht sich unvermittelt in die Besucher-Schar dieses Mega-Ereignisses ein. (48 Millionen sollen es gewesen sein!!)
Die Idee von einer „harmonischen Grundstimmung“ spielte in den Entwürfen der Jugendstil-Künstler eine große Rolle. Was das bedeutete, das lässt sich in den Recherchen verfolgen, bei denen sich die Restauratorinnen des Hauses um den originalen Stoff für einige Stühle und ein Sofa bemüht haben, das aus dem Nachlass der oben erwähnten Aenne Klönne stammt. (Ob die Möbel tatsächlich ein Entwurf von Richard Riemerschmid waren, muss offen bleiben. Das ist auch der Grund, warum ich hier auf eine Abbildung verzichte, denn Riemerschmid ist nicht gemeinfrei.)
Ich möchte an dieser Stelle aber die Gelegenheit nutzen, auf die Urban Sketchers Dortmund zu verweisen. Ich zeige hier von Birgit Encke eine ganz wundervolle Zeichnung des Möbel-Ensembles von Joseph Maria Olbrich, das aus der Herstellung von Glückert kommen. Olbrich war einer der Haupt-Vertreter der Darmstädter Mathildenhöhe – einer Künstlergemeinschaft, zu der auch Peter Behrens gehörte. Unter der Protektion von Großherzog Ernst Ludwig wollten sie alle künstlerischen Kräfte mobilisieren, um neue Ideen zu gestalten. Glückert erzielte mit den von ihm umgesetzten Entwürfen zahlreiche Medaillen auf Ausstellungen. Die Möbel hier gehören zu einem „Damensalon“ mit Chaiselongue und zierlichen Beistelltischchen. Die drei Damen von Elffeast hätten sich dort bestimmt sehr wohl gefühlt!
Tanzen!
„it’s a butterfly – a butterfly“ sollen die Zuschauer bei einem der ersten Auftritte der amerikanischen Tänzerin Loïe Fuller gerufen haben. Diese spontanen Begeisterungsstürme zeigen, wie geschickt es die Tänzerin verstanden hat, ihre Auftritte so zu inszenieren, dass das Publikum ganz in ihren Bann gezogen wurden. Es gibt zahlreiche Kunstwerke, die sie und ihre Begabung feiern. Überhaupt: der Tanz spielt eine große Rolle in dieser Zeit und wurde interessanterweise von einigen Amerikanerinnen beherrscht. Isadora Duncan beispielsweise, die wir als Vorläuferin des Ausdruckstanzes kennen.
Ich mag persönlich sehr die Tänzerin, die die Dortmunder als ihr zentrales Ausstellungs-Bild gewählt haben. Es ist Ruth St. Denis, wieder eine Amerikanerin, die von Einflüssen aus den Kulturen der Welt geprägt war. Hugo von Hoffmansthal bewunderte sie einst als „unvergleichliche Tänzerin“ und bezeichnete ihren Tanz als „stumme Musik des Leibes“. Die orientalische Verführung, die sie auf die Bühne brachte, leuchtet einem auch in dieser wunderbaren Keramik entgegen. Entworfen hat die Fayence Albert Domninique Rosé und sie stammt aus der Sammlung des MKK. Gezeigt wird Ruth St. Denis während der Aufführung ihres „Tanzes der fünf Sinne“. Es fällt auf, dass die Jugendstil-Künstler den Tanz lieben, aber nie eine typische Ballerina abbilden. Es ging ihnen um den freien Ausdruck und der Tanz wird „zum Inbegriff des Originellen und Neuartigen“ (Eva Wagner in ihrem Katalogbeitrag).
Ehrenfeld!
Ich war übrigens ganz besonders entzückt von der großen Vitrine mit einigen wunderschönen Gläsern. Glas war für die Jugendstil-Künstler ein ganz besonderer Stoff. Mit Glaspaste experimentieren und die schillerndsten Überfänge kreieren – das war ein Fest für Emile Gallé, die Schule von Nancy oder Herrn Tiffany! Für mich aber eine kleine Entdeckung: die Bedeutung der Rheinischen Glashütten-Actien-Gesellschaft in Ehrenfeld bei Cöln, die um die Jahrhundertwende zu den wichtigsten Manufakturen Europas gehörte und für die auch Peter Behrens tätig war. Man merkt seiner dort entworfenen Serie mit rubinroten Füßen (hier der Link zur Wikipedia-Abbildung, Behrens ist anscheinend auch so ein rechteproblematischer Verterter) an, dass hier ein Saatkorn für das Bauhaus-Denken enthalten ist. Aber auch zierliche kleine Blüten-Gläser fanden damals ihre Käufer. Und ich mag es, auch wenn wohl irgendwann solcher Überschwang nicht mehr goutiert wurde. Wenn man an der Vitrine entlang schweift und ein schöneres Exemplar neben dem nächsten sieht – das hebt die Laune! Die schlanke Karaffe mit den grünen Blättern stammt aus der Serie „Excelsior“.
Es gibt noch viel mehr über den Jugendstil in Dortmund zu schreiben. Über die Immanuelkirche zum Beispiel – deren Ausstattung einem die Sprache verschlagen kann. Beeindruckt haben mich auch die Grab-Entwürfe von Benno Elkan auf dem Ostfriedhof! Oder man sollte unbedingt noch über die Zeche Zollern schreiben, wo so viele Details nähere Betrachtung erfordern. Ich beschließe aber meinen Bericht mit einem großen Dank an das Team des Museums für Kunst und Kulturgeschichte. Ich habe selten so ein Engagement erlebt und so viel Offenheit und Bereitschaft zum Gespräch. Das soll an dieser Stelle auch einmal gesagt werden. Ansonsten bleibt mir nur noch, euch den Besuch (noch bis zum 23. Juni) der Ausstellung zu empfehlen (ja, WERBUNG, WERBUNG, WERBUNG) – vielleicht ja mit einem Stadtspaziergang kombiniert. Es lohnt sich!
Und hier sind die anderen Blogbeiträge (wird noch ergänzt, wenn neue eintreffen) dieser wunderbaren Reise. Ich habe mir jeweils einen Satz aus den Blogbeiträgen rausgepickt. Es ist schön, wenn so viele unterschiedliche Perspektiven ein rundes Bild ergeben. Danke euch fürs Mitreisen und Schreiben.
Fabian Tode von Hömma
„Beim abendlichen Dinner im Museum erlangen wir kulinarische Impressionen vom Fin de Siècle bis in die Goldenen Zwanziger – was für ein wahnsinnig spannender Tag!“
Maria Eich von Kind am Tellerrand
„Eine der größten Städte des Reviers jetzt von der Jugendstil-Seite kennenzulernen, schien mir ein spektakulär gutes Projekt.“
Angelika Schoder von Musermeku
„Am meisten beeindruckt in der Immanuel Kirche die flach gewölbte Innenkuppel, deren Mitte ein farbiges rundes Glasfenster bildet.“
Lena Kettner von Die Kulturflüsterin
„Ich war begeistert davon, mit welcher Offenheit die Mitarbeiter des Museums für Kunst und Kulturgeschichte vom ersten Moment an auf uns zugingen und welch großes Interesse sie an unserer Arbeit als Kulturblogger zeigten.“
Wera Wecker von Kunst und Kultur
„Umso mehr habe ich mich gefreut, dass diese Ausstellung wirklich viele Jugendstilobjekte aus der eigenen Sammlung zeigte und ich war sehr überrascht!“
Kai Eric Schwichtenberg von retrospectiven
„Da rauscht eine schier unübersehbare Fülle von Eindrücken heran und führt einen Hexentanz um seinen benommenen Kopf aus.“ Max Osborn“
Olga Harmsen auf About Artnouveau
„In order to fully understand the purpose of the museum though, and this exhibition in particular, I have to tell you about another exhibition first. We need to go back to 1851, and the Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations in London.“
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