Backsteinliebe oder Ziegel-Architektur im Ruhrgebiet

Anscheinend hat es sich schon rumgesprochen, dass ich Ultra-Fan der Backsteinarchitektur bin. Und so konnte ich mich sehr über eine Einladung zur Ausstellung „Gut gebaut. Ziegelarchitektur im Ruhrgebiet“ freuen, die noch bis Ende Oktober in der Zeche Hannover stattfindet. Ein Besuch lohnt sich in mehrfacher Hinsicht. Warum, lest ihr hier.

In letzter Zeit zieht es mich ja häufiger ins Ruhrgebiet. Und wenn man mich bislang nach einem typischen Bild für den Pott gefragt hätte, dann hätte ich ohne zu zögern geantwortet: die stählernen Fördergerüste, die wie eine Art Skelett an die Kohle-Vergangenheit dieser Region erinnern. Aber eigentlich ist der heimliche regionale Star die Ziegelarchitektur – was mir auch schon früher hätte klar sein können, denn ich war schon ganz euphorisch auf den Spuren des Backsteinexpressionismus hier unterwegs. Doch dazu später mehr. Als ich bei der Zeche Hannover eintreffe, begrüßt mich neben Museumsleiter Dietmar Osses (danke für die tolle Führung) auch ein Malakoff-Turm. Stark, belastbar, mächtig. Diese Eigenschaften nimmt man sofort wahr. Und das war auch der Grund, warum der Name für diese bis zur Mitte der 1870er Jahre bestehenden Fördertürme von einer russischen Militäranlage übernommen wurde. Bevor man nämlich genügend Stahl zur Verfügung hatte, um die schlankeren Fördertürme zu bauen, taten diese Ziegelbauten den verlässlichen Dienst, sämtliche Zuglasten der Fördermaschinen zu übernehmen.

Kathedralen der Arbeit und Demonstration von Macht und Wohlstand

Wenn man einmal draufgestoßen wird, dann kann man eigentlich gar nicht mehr anders, als die Ziegelarchitektur als den regionalen Baustil für das Ruhrgebiet wahrzunehmen. Und in der Zeche Hannover – übrigens 1853 erbaut – wird man in der überaus gut gelungenen Präsentation durch die drei wesentlichen Epochen geführt: Historismus – Expressionismus – Neue Sachlichkeit. Normalerweise wird mir schnell fad in Ausstellungen ohne Objekte, aber ich bin hier von Stellwand zu Stellwand gegangen und habe jedes Mal große Augen gemacht. Denn die Vergleiche und auch die klug aber verständlich geschriebenen Texte (nie mehr als notwendig, zielführend) haben mich wirklich abgeholt. Eigentlich braucht man auch gar nicht viele Worte, um deutlich zu zeigen, wo die Entwicklung angefangen hat und durch welche Weltanschauungen sie vorangetrieben wurde.

Backstein oder Ziegel – ich glaube, die Unterschiede sind nicht ganz banal, aber minimal beziehungsweise sehr spezifisch. Ich habe auf jeden Fall mitgenommen, dass ein ganz wesentlicher Aspekt für diesen Werkstoff sprach: Ziegel konnten bei relativ niedrigen Temperaturen gebacken werden und waren ein kostengünstiges Material. Weswegen einerseits oftmals Ziegeleien an den Zechen angesiedelt waren. Andererseits – und da sind wir schon mitten im Historismus – manchmal gerne die Ziegelarchitektur verputzt wurde, wenn man zum Beispiel bei Direktors Villa ein bisschen mehr hermachen wollte.

Bei anderen Bauten zählte aber die Assoziation mit ehrlicher Arbeit. Wenngleich diese auch nicht ohne dekorativen Gestaltungswillen die Zechengebäude spannend wirken ließen. Der Begriff der Kathedrale der Arbeit hat sich mir noch von meinem Besuch in der Zeche Zollern eingeprägt. Zinnen wie bei mittelalterlichen Burgen waren durchaus beliebt. Und der spielerische Umgang mit den Farben und Formen der Backsteine zeigt sich an vielen Details. Das sind Dinge, die man wunderbar in der Ausstellung lernen und verfolgen kann.

In der Präsentation werden einige Vermittlungsansätze genutzt, die mir gut gefallen haben. Vor allem der Bezug zum Heute, zu unserer aktuellen Lebenswelt hat mir gut gefallen. Eine Befragung von Passanten zu Assoziationen im Kontext Ziegel fand ich besonders gelungen.

Und es lohnt sich, die Videos zu schauen, die auf YouTube zur Ausstellung gemacht wurden. Ich mag die lockere und trotzdem höchst informative Art!

Ein Besuch der Zeche Hannover würde ich aber auch empfehlen, weil dort mit tollen künstlerischen Interventionen gearbeitet wird. Der Ort und seine Vergangenheit, aber auch die besondere Atmosphäre mit all den optischen und haptischen Reizen wird grandios inszeniert. Sensationell gut fand ich die Klang-Installation „Singing Machine“ der polnischen Künstlerin Zorka Wollny, die mit verschiedenen Communities aus der Region zusammenarbeitete. Besser kann Strukturwandel nicht gehen, denke ich.

Dynamik und ordnende Kraft

Ich sagte es ja schon, ich finde den Backsteinexpressionismus sensationell gut. Da ist im wahrsten Sinne Leben in (oder an) der Bude! Fehlbrand? Hurra, nehmen wir! Alles, was die Fassade interessanter und aufregender gestalten kann, wurde eingesetzt. Großartig, wie mit der Quaderform gespielt wurde, spitze Versprünge herausgearbeitet oder raue und schillernde Oberflächen gegeneinander gesetzt wurden. Bauten wie die Heilig-Kreuz-Kirche von Josef Franke feiern diesen Stil – ich bin schon so oft um dieses Haus geschlichen und habe Details festgehalten. In Hamburg musste ich natürlich dringend das Chilehaus von Fritz Höger aufsuchen (ja, man könnte hier nochmal einen Exkurs zum Thema Kolonialismus einfügen – dazu werde ich vielleicht bei meinem nächsten Hamburg-Trip mal mehr recherchieren).

Als ich mein Fotoarchiv durchgegangen bin, war ich total überrascht, wie viele Bauten aus der Zeit zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit ich schon besucht habe. Da mich meine Wege in letzter Zeit öfter nach Gelsenkirchen geführt haben, kenne ich natürlich das großartige Hans-Sachs-Haus, das ein architektonisches Highlight ist. Es wurde zwischen 1924 und 1927 von Alfred Fischer erbaut. Ursprünglich war es ein Kulturort mit einem Konzertsaal (in einem partizipativen Verfahren entschieden die Bürger:innen damals über den Namen). Heute sitzt hier die Stadtverwaltung. Ich bin immer wieder begeistert vom Farbleitsystem im Treppenhaus, was es damals nach guter alter Bauhaus-Manier gab und das man glücklicherweise reaktiviert hat. Es gab wohl mal Überlegungen, das Haus abzureißen. Wie gut, dass man sich dagegen entschied und es nach einer Sanierung in neuem Glanz erstrahlen ließ.

Auch in Oberhausen war ich schon im Rathaus und konnte mich nicht sattsehen an den grandiosen Fassaden. Toll, dass im Innern noch etwas von der ursprünglichen Ausstattung zu sehen ist. Es gibt so viele Gesichter der Backstein-Architektur. Nicht unerwähnt lassen möchte ich das tolle expressionistische Kaffee Verrückt in Worpswede und die Böttcherstraße in Bremen. Was für eine Pracht und künstlerische Qualität. An beiden Orten wirkte Universalkünstler und Architekt Bernhard Hoetger maßgeblich. Ach, ich könnte noch so viel schwelgen. Und wenn ich erst mit den Böhms anfange oder den Blick auf weitere grandiose Ziegelarchitekturen lenke, dann höre ich nicht mehr auf. Deswegen habe ich euch einige in die Galerie zum Durchklicken gepackt. Enjoy!!!


Transparenz-Hinweis: Dieser Blogbeitrag entstand im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit den LWL-Museen für Industriekultur. Ich wurde zur Führung eingeladen und habe ein kleines Honorar erhalten.

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Kommentare

Eine Antwort zu „Backsteinliebe oder Ziegel-Architektur im Ruhrgebiet“

  1. Avatar von Ute

    Wow, die Bildergalerie!!!!

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