Provokant und sehr berührend – Danh Vô im Museum Ludwig

„Behaltet, o alte Lande, euren sagenumwobenen Prunk“, ruft sie
Mit stummen Lippen. „Gebt mir eure Müden, eure Armen,
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,

(…)
Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Hoch halt‘ ich mein Licht am gold’nen Tore!“

Diese Zeilen enstammen einem Sonett, welches Emma Lazarus 1883 für eine Geldsammelaktion zur Herstellung der Freiheitsstatue dichtete. Es zierte einst den Sockel des berühmten Figur, die ich erst einmal von weitem gesehen habe. Am Mittwoch stand ich unter einer Nachbildung ihrer Achselhöhle. Ein komisches Gefühl. Irgendwie geborgen. Aber dann fiel mir auf, dass sie  fragmentiert war. Und sogar gestützt werden musste. In ihrem Innern konnte ich ein Gerüst erkennen. Sieht so etwas aus, was Schutz bietet? Die Freiheit verheißt?

Meine erste Exkursion von 10×10 führte mich ins Museum Ludwig zur aktuellen Danh Vô Ausstellung. Warum mich diese gerade jetzt so besonders berührt hat, lest ihr hier.

We The People

Manchmal ist mir der Kunstbetrieb so fern! Dann, wenn sich plötzlich ein Hype auftut, den ich nicht nachvollziehen kann. Aber genauso, wenn plötzlich jemand kritisiert wird, weil ein Hype um ihn entstand. Da wird mir wieder bewusst, wie viel Subtext zur Wahrnehmung von Kunst dazukommen kann. Ich mache mich aber frei davon und bin völlig unvoreingenommen in die Danh Vô Ausstellung im Museum Ludwig gekommen. Natürlich wollte ich die viel besprochene Arbeit „We The People“ des dänisch-vietnamesischen Künstlers sehen.

Zwischen 2010 und 2012 ließ Danh Vô eine 1:1 Kopie der Freiheitsstatue fertigen. Aus Kupfer, wie das Original. Ich war total erstaunt, als ich die hauchdünnen Bleche sah. Die Statue wurde jedoch nicht zusammengesetzt, sondern existiert verteilt über die ganze Welt in Einzelstücken. Im Museum Ludwig kann man nun das größte Teil sehen.

Museum Ludwig, Danh Võ, Ydob eht ni mraw si ti, Ausstellungszeitraum 1. August - 25. Oktober, ML, Köln
Danh Võ We The People, Armpit, 2011–13 Kupfer 2220 kg Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln/ Britta Schlier © Danh Võ

Welchen Symbolwert die Freiheitsstatue hat, kann vielleicht das eingangs von mir zitierte Sonett verdeutlichen. Angesichts der Flüchtlingsdramen, die sich derzeit in unserem Lande und anderswo abspielen, gewinnt das natürlich extrem an Bedeutung. Wobei ich das Gefühl habe, dass sich Danh Vô immer auch ein bisschen schwer damit tut, direkte Bezüge zu tatsächlichen Ereignissen zu unterstützen. Er will ja auch nicht auf seine Vergangenheit als Flüchtling aus Vietnam festgelegt werden. Für ihn als Konzeptkünstler spielen da eher Gedankenmodelle eine Rolle. Die haben selbstverständlich auch mit grundsätzlichen Themen wie Identität und Zugehörigkeit zu tun. Und auch die Fragmentierung, die Zerrissenheit und das Verteilen auf unterschiedliche Orte könnte zu einem Kontext verdichtet werden. Bei mir hat das angesichts der erschütternden Geschichten, die ich tagtäglich aus den Nachrichten erfahre, zu einer besonderen Sensibilität beim Betrachten der Ausstellung geführt. Diese Berührtheit ist sicher auch im Sinne des Künstlers.

 

Ydob eht ni mraw si ti

 

Museum Ludwig, Danh Võ, Ydob eht ni mraw si ti, Ausstellungszeitraum 1. August - 25. Oktober, ML, Köln
You’re gonna die up there/ Keep away! The sow is mine/Fuck me, fuck me, fuck me/ Let Jesus fuck you, let Jesus fuck you! Let him fuck you/ Lick me, lick me/ Do you know what she did, your cunting daughter?/ You might loosen the straps then/ I’m not Regan/ And I’m the Devil! Now kindly undo these straps/ That’s much too vulgar a display of power, Karras/ In here. With us/ Can you help an old altar boy Father?/ Your mother’s in here with us Karras, would you like to leave a message? I’ll see that she gets it/ What an excellent day for an exorcism/ Intensely/ It would bring us together/ You and us/ Uh Huh/ In time/ In time/ Mirabile dictu, don’t you agree?/ Ego te absolvo/ Bon Jour/ La plume de ma tante/ Until she rots and lie stinking in the earth/ What’s that?/ You keep it away/ Ahhhhhhhhhhh/ Ahhhhhhh/ It burns, it burns/ Emit su evig/ Ydob eht ni mraw si ti/ Uoy ees I/ Tseirp a si eh/ Emit su evig/ Nirrem, Nirrem/ Tseirp a si eh/ Eno on ma I/ Eno on ma I/ Ahhhhhhhhhhh/ Stick your cock up her ass, you mother-fucking, worthless cocksucker/ Your mother sucks cocks in Hell, Karras, you faithless slime/ Bastards, stop/ Shove it up your ass, you faggot/ Fuck him, Karras/ You killed your mother/ You left her alone to die/ She’ll never forgive you/ Bastard/ Dimmy, why you did this to me?/ Please Dimmy, I’m afraid/ Dimmy please!/ Dimmy, είσαι πολύ κουρασμένος να πας στο κρεβάτι/ Ο Θεός μαύρο/ Why, Dimmy?, 2015 Holz, polychrom gefasst 114 x 27 x 22 cm Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln/ Britta Schlier © Danh Võ

 

Der Torso eines mittelalterlichen Kruzifixes zeigt sich in dieser Installation mit einer Fotografie von Peter Hujar. Diese Kombination zieht sich durch die gesamte Ausstellung und man kann an verschiedenen Stellen der Idee nachspüren, dass sich Danh Vô auf den vor allem von der künstlerischen Avantgarde sehr geschätzen Fotografen bezieht. In dem Raum mit dem Kruzifix zeigt die Fotografie die Hand Paul Theks. Schon bevor ich die Beschriftung las, war mir dieser Künstler in den Sinn gekommen. Das Fragmentarische war auch sein Thema. Langsam entsteht eine Komplexität der Inhalte, die den Rahmen dieses Blogbeitrags auf jeden Fall sprengen würden. Aber es ist ungeheuer spannend. Jeder kann sehen, wie tief er da hineintauchen möchte.

Die Arbeit trägt einen ausufernden Titel, der als komplexes Zitat aus einem Horrorfilm entlehnt ist. Hier gibt es einen direkten Link zum Ausstellungstitel. Wie das alles zu einem schlüssigen Ganzen zusammengefügt werden kann? Ich gestehe, ich bin da auch noch nicht bis zum letzten Schluss vorgedrungen. Das ist alles nicht so einfach zu entschlüsseln.

Der Exorzist

Es ist vielleicht kein einfacher Zugang zu den Werken, die hier präsentiert werden. Und auch der Titel der Schau „Ydob eht ni mraw si ti“ bringt erst einmal ein bisschen Verwirrung. Fremdheit vielleicht. Man möchte zunächst daran denken, dass es vielleicht vietnamesisch sein könnte. Aber als ich einem Facebook-Posting des Museums folgte, in welchem gefragt wurde, ob jemand weiß, was sich hinter dem Titel  verbirgt, verschob sich meine Perspektive und ich konnte es lesen (ihr jetzt vielleicht auch). Ich mag das, wenn man durch solche Entdeckungen langsam hereingezogen wird in eine Story. Und ein Storyteller ist Danh Vô allemal. Allerdings handelt es sich um äußerst komplexe Wege, die selbst ich noch nicht ganz zuende gegangen bin. Es traf sich super, dass ich einer Kollegin im Museum begegnete. Und wir haben sofort angefangen, uns angeregt zu unterhalten. Uns unsere gegenseitigen Assoziationen zu erzählen. Und gemerkt, dass sich da ein Puzzle auftut. Danke Julia, für diesen netten Austausch übrigens. Und auch dafür, dass du mir von Karins Recherchen berichtet hast. So kam ich auch auf die Sache mit dem Gedicht auf der Freiheitsstatue.

Ich habe den Film „Der Exorzist“ nicht gesehen (Danh Vô gezwungenermaßen mit 7 Jahren…). Ich kann solche Horrorfilme nicht aushalten. Aber mittlerweile gehört der Film ja zu den Klassikern und auch irgendwie zu einem kollektiven Kulturgedächtnis. Ich weiß schon, worum es geht. Dass zum Beispiel ein Dämon von einem niedlichen, brav katholischen Mädchen Besitz ergreift. Und dieses Kind dann plötzlich die widerlichsten Dinge von sich gibt. Sexualisierte Gewaltphantasien sprechen zum Teil in Gestalt anderer verstorbener Personen aus ihr.

Ich gebe mal die Begriffe Körper, Religion, Besitz ergreifen, Fremdheit, Versehrtheit, Zerrissenheit vor. Was tut sich da bei euch auf? Mein Kopfkino rattert und ich kann auch die einzelnen Objekte der Ausstellung langsam zusammenbringen. Allerdings bin ich weit entfernt davon, hier eine schlüssige und einzig gültige Interpretation zu liefern.

Aschenputtel

„In meinen Augen bezieht sich vor allem die Arbeit ‚Aschenputtel‘ auf Immigration. Der Text in Gold, den mein Vater geschrieben hat. Die Schwester von Aschenputtel schneidet ihre Ferse weg, um Prinzessin zu werden.“ So äußerte sich Danh Vô in einem Interview mit dem Deutschlandradio. An anderer Stelle habe ich davon gehört, dass er lieber mit der bösen Stiefschwester identifiziert werden möchte. Nicht mit dem armen geknechteten Aschenputtel. Schön, wie sich der Künstler auch mit einem gewissen Sprachwitz aus der Festlegung zu ziehen weiß.

Braucht die Kunst Märchen? Vielleicht funktioniert die Idee der Katharsis auch hier. Wie sie eben in den Märchen dazu diente, durch das Erzählen von Grausamkeiten der eigenen Angst zu begegnen. Sich anzupassen, passend zu machen. An dieser Stelle kann man natürlich nicht umhin, die Biographie des Künstlers wieder in den Fokus zu nehmen. Natürlich beeinflusst sie sein kübnstlerisches Tun. Aber es gelingt ihm sehr gut, das aus der einsamen individuellen Geschichte herauszuheben.

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Pantoffel, 2013, Aschenputtel der Gebrüder Grimm (Ausgabe von 1812), geschrieben von Phùng Võ / Aschenputtel by Grimm Brothers (1812 Edition) written by Phùng Võ. Blattgold auf Kohledurchschlagpapier / Gold carbon copy paper, 95,5 x 165 cm. © Danh Võ

 

Nachdenken

Ich muss noch auf den Eindrücken, die ich von der Ausstellung mitgebracht habe, herumdenken. Es kommen mir nach und nach immer neue Versatzstücke in den Sinn, die um das Thema Migration drehen. Ein Beispiel möchte ich hier zum Schluss noch kurz streifen, bevor ich euch sehr empfehle, selber mal hinzugehen. Und eure eigenen Eindrücke mitzubringen. (Und mir am besten hier in den Kommentaren zu schreiben!!)

Als ich die Treppe zur Ausstellung hochkam, fiel mein Blick als erstes auf zwei leere Flaschen. Eine Cola und eine Whiskey. Beide übrigens sehr charakteristisch in ihrem Äußern. Sehr hoher Wiedererkennungswert!! Nach einer kurzen Schrecksekunde (wer hat denn hier …) merkte ich, dass es zu der Installation gehört. Whiskeyflaschen lagen dann im angrenzenden Raum auf und neben mehreren Pappkartons, auf den gülden das Malboro-Logo prangte.

Come to where the flavor is, 2015 Blattgold und Tinte auf Karton Maße variabel Foto: Anke von Heyl © Danh Võ

Andy lässt grüßen!!! Ja, über die Kartons mache ich mir ein anderes Mal Gedanken. Aber ich hatte eine komische Assoziation bei Whiskey. Mir kam Paul Gauguin in den Sinn. Und seine Vorstellung vom Paradies, das er ja in der Südsee zu finden glaubte. Wie man ja weiß, war es dort alles andere als paradiesisch. Und dass daran auch der Alkohol einen nicht erheblichen Anteil hatte, ist zwar eine andere Geschichte. Aber vielleicht kann hier auch etwas davon erzählt werden. Das Stichwort wäre hier Kolonialismus. Heute vermischt sich das mit Konsumterror und der Globalisierung. Was für Kreise das alles ziehen kann. Man fühlt sich hier gerne so machtlos.

 

Offtopic

Ich möchte gerne auf die Aktkion Blogger für Flüchtlinge verweisen. Dort gibt es viele Möglichkeiten, zu helfen, sich einzubringen.

 

 

 

 

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