Der Kreis hat sich geschlossen. Auf dem Zenit seiner Karriere spielte David Bowie 1976 in Nicolas Roegs „Der Mann, der vom Himmel fiel“ den Außerirdischen Thomas Jerome Newton, welcher an den Widrigkeiten unserer Welt zerbricht und sein Dasein damit fristet, sich im Alkoholnebel von unzähligen Fernsehern beflimmern zu lassen. Das Musical „Lazarus“ im Düsseldorfer Schauspielhaus stellt Bowies Alter Ego Thomas Newton in den Mittelpunkt einer orphischen, schrillen und betörenden Rock-Revue.
Der effektvolle Bühnenaufbau wird dominiert von einer Raumkapsel, links und rechts flankiert von Showtreppen, die in ihrer Ei-Form und mit ihren Metallstreben gleichzeitig die Regression und das innere Gefängnis des Protagonisten symbolisiert. Newton wird von Hans Petter Melø Dahl gespielt, der dem späten, eleganten Bowie der 90er Jahre frappierend ähnelt. Und schnell wird dem Publikum klar: Abgesehen von seiner Assistentin Elly, die sich in ihrer wachsenden Zuneigung zu Newton in einem interessanten Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Stalking bewegt, sind fast alle weiteren Akteure Ausgeburten von Newtons fiebriger Fantasie – allen voran der dämonische Valentine, von André Kaczmarczyk mit Federkostüm und orangenen Haaren als weitere Bowie-Persona in der Transitionsphase zwischen Glamrock und Thin White Duke kongenial in Szene gesetzt.
Driftend zwischen Leben und Tod, zwischen Erdkreis und Kosmos – das delirierende Dasein Newtons wird nicht nur durch die glänzend aufspielende Schauspielerriege emphatisch zum Leben erweckt, auch die Bühne selbst trägt ihren Teil bei mit auf Video-Leinwänden in Echtzeit verfremdeten Visualisierungen des Bühnengeschehens. Newton lässt sich von einem imaginierten Geistermädchen (ätherisch: Lieke Hoppe) beim Bau seiner Rakete helfen, und drei „Teenage Girls“ beleben die Bühne mal als Backgroundsängerinnen und Go-go-Girls, mal als satanische Gehilfinnen, während Valentine messermordend nach und nach die Darstellerschar dezimiert.
Kann, will man das alles verstehen? Man muss es nicht, was spätestens bei der ersten Gesangseinlage, dem Titelstück „Lazarus“, klar wird. „Look up here, I’m in heaven. I’ve got scars that can’t be seen. I’ve got drama, can’t be stolen. Everybody knows me now.“ Mit grazilen, reduzierten Bewegungen und zurückgenommener Noblesse mimt Dahl nicht nur Bowie – nein, für diesen Moment ist er Bowie, da ist sich das Publikum völlig einig, wie der anschließende Szenenapplaus beweist. Eindeutig stehen Bowies Songs, in opulenten Arrangements live von einer Band gespielt und von den Darstellenden seelenvoll interpretiert, im Mittelpunkt. Während die Dialogszenen manchmal arg bodenständig wirken, reißt die musikalische Darbietung das Spektakel immer wieder in lichte Höhen. Neben vier eigens für das Musical komponierten Stücken (die man auf der EP „No Plan“ von 2017 findet) fügen sich auch Klassiker wie „Life on Mars?“ oder „Changes“ perfekt ein. Noch hypnotischere Wirkung entfalten allerdings die avantgardistischen Kompositionen der 70er Jahre: „It’s No Game“ mit Stakkato-Sprechgesang, „Always Crashing in the Same Car“ mit klagendem Gitarrensolo oder das scheppernde Instrumental „Speed of Life“, welches eine Mordszene untermalt. Die Songs sind Herz und Seele der Aufführung; in ihnen kulminieren die gespielten Szenen, oder sie finden in ihnen Auflösung und Erlösung – wie schließlich auch im Finale, als Thomas Newton mit seiner reinkarnierten Liebe zu den Klängen einer effektvoll reduzierten Version von „Heroes“ gen Himmel entschwebt.
So viel Bowie war noch nie im Theater. Der tosende Applaus, die Standing Ovations, so hatte man den Eindruck, galten an diesem Düsseldorfer Abend nicht nur den fantastischen Mitwirkenden, sondern – einmal mehr – auch dem unvergessenen Thin White Duke selbst.
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