Ich habe eine sehr persönliche Beziehung zu Weltausstellungen. Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts arbeitete ich für das Projektbüro, das den deutschen Auftritt während der Weltausstellung 1992 in Sevilla organisiert hat. Das war eine aufregende Zeit und besonders gerne erinnere ich mich an den Wettbewerb für die Architektur des deutschen Pavillons, den wir im damals noch nicht umgebauten Bahnhof Rolandseck veranstalteten. 2008 habe ich dann ein Buch über den Jugendstil geschrieben, in welchem das Thema Weltausstellung ebenfalls ein Kapitel erhalten hat. Und jetzt habe ich hier den wunderbaren Katalog vom Marta Museum liegen, der das Thema Weltausstellung noch einmal neu aufgreift. Die dazugehörige Ausstellung läuft noch bis zum 10. Februar 2019 – in Herford und im Kunstmuseum Ahlen . Brisante Träume, so ist sie überschrieben und kündigt spannende künstlerische Positionen an, die sich um „die beste Weltausstellung der Welt“ drehen. Ich habe durch den Katalog geblättert und in Erinnerungen geschwelgt.
Auf Löschpapier gezeichnet und von einem Erbauer britischer Gewächshäuser geplant, wurde der Kristallpalast, in dem die erste Weltausstellung 1851 ihre Pforten öffnete, ein wahres Weltwunder aus Glas und Metall. Er war unglaubliche 563 Meter lang und 124 Meter breit. Wie ein künstlicher Himmel überwölbte sein Dach mehrere exotische Bäume und eine Kristallfontäne. In seiner lang gestreckten Mittelhalle stand der größte Spiegel der Welt. In jenem Glaspalast, der wie ein riesiger Koloss im Hyde Park lag, präsentierte man einen Jahrmarkt der Erfindungen und huldigte dem technischen Fortschritt. Auch die Dampfmaschine fehlte selbstverständlich nicht in diesem Panoptikum. Die erste Weltausstellung geriet zur Demonstration der Weltmacht Großbritanniens und wurde ein Magnet für den Massentourismus. Sie wurde zum Symbol einer neuen Zeit und präsentierte die Zukunft.
Prinzgemahl Albert hatte die Vision zu der Ausstellung. Sie sollte „ein treues Zeugniß und lebendiges Bild von demjenigen Standpunkte der Entwickelung, zu welchem die ganze Menschheit in diesem großen Werke gelangt ist“ geben. Die Weltausstellungen begleiteten ab dieser Geburtsstunde die Entwicklung der Gesellschaft in die Moderne. Sie waren Spiegel der Möglichkeiten ihrer jeweiligen Zeit und lieferten Beispiele dafür, wie man sich die Welt einzurichten gedachte. Selbstverständlich geriet die Weltausstellung in Paris zum Ende des Jahrhunderts zu einer Art Superschau. Das Ziel war – wie der französische Handelsminister ankündigte – „eine Zusammenfassung des 19. Jahrhunderts“. Sie sollte die „Philosophie“ des Jahrhunderts herausstellen. Zentrale Attraktion war der „Elektrizitätspalast“, der das Publikum zu Tausenden anzog. Das ganze Gelände der Weltausstellung glich einem Lichtermeer mit farbigen Lichtspielen. So stellte man sich die Zukunft vor: auch in der Nacht taghell und alles funktioniert automatisch.
Das schrieb ich damals in meinem Buch. Und natürlich kommt dieser erste Aufschlag auch in „Brisante Träume“ vor. Vor dort aus macht man sich auf die Reise, um zu fragen, welche Rolle eigentlich die künstlerischen Positionen bei den Weltausstellungen einnehmen konnten oder wollten.
Dabei war die Kunst in vielen Zusammenhängen auch ein Seismograf für politische Strömungen und gesellschaftliche Themen.
Roland Nächtigäller und Burkhard Leismann führen in ihrem Editorial aus, worum es bei der Doppelausstellung geht. Wesentlichen Input für die Ausstellungskonzeption kam vom Kölner Kurator Dr. Thomas Schriefers , der einen „unermesslichen historischen Fundus“ an Dokumenten zum Thema gesammelt hat. Das Spannende daran ist, wie viele Schnittstellen das bietet, heutige Fragen und Perspektiven auf das Thema zu nehmen. Ich mag das ja sehr, dass es im Marta eigentlich immer darum geht, solche Verbindungen von Kunst und aktueller Lebenswelt zu schaffen.
Die Aufmachung des Katalogs gefällt mir ausnehmend gut. Weltausstellungen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben (es gab ja bis heute über 100 davon), geben eine chronologische Ordnung vor. Inhaltlich wird das in Essays aufgegliedert, die so grundsätzliche Dinge wie „Aufbruch zu den Sinnen“ (Montreal) behandeln, aber auch auf Einzelaspekte eingehen wie z.B. den Pavillon, den Salvador Dali zur Weltausstellung 19039/40 in New York schuf. Dazu gibt es dann künstlerische Positionen von heute, die zum Beispiel die Bedeutung des Pavillons als „Architektur auf Zeit“ bespielen. Die Objekte von Rob Voerman zeigen solche eine Herangehensweise. Seine Skulpturen deklinieren durch, was dieser architektonische Ansatz strukturell bedeuten kann.
Das Blättern im Katalog macht auch deswegen so einen großen Spaß, weil wirklich viel spannendes und überraschendes Quellenmaterial enthalten ist. Er ist weniger Ausstellungsbegleiter als ein Buch, das man als Erweiterung der Präsentation vor Ort sehen kann. Mit einem Layout, das Spaß macht und einen durch die verschiedenen Weltausstellungen führt.
Tretet ein, tretet ein, Menschen jedweder Herkunft und Rasse, Opfer der Realität! Ihr, die ihr nach Träumen dürstet.“
Allein schon wegen der ausführlichen Dokumentation des Dali-Pavillons muss man diesen Katalog haben. Was hätte ich dafür gegeben, ihn damals live zu erleben. Schön, wenn man hier noch einmal brisante Träume träumen darf.
Ich danke dem Marta-Team, das mir dieses Katalog-Schätzchen zur Verfügung gestellt hat.
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