Während der Pressekonferenz machte es alle sieben Minuten: Bäng. Bumm. Klapper. Klirr. Surr. Schepper. Schepper. Bäng. Und wenn sonst ein bisschen Lautstärke im Museum gerne mit strengen Blicken geahndet wird, blickten hier alle mit einem versonnenen Lächeln auf. Der einzige, der im Museum Krach machen darf, das ist Jean Tinguely. Das Museum Kunstpalast zeigt gerade 90 Arbeiten des Schweizers. Eine Ausstellung, die große Freude macht. Aber auch ein bisschen nachdenklich stimmt. Denn nur lustig und bunt war er nicht. Eher ein Anarchist der Kunstszene, der sich allerdings sehr geschmeidig zu präsentieren verstand.
Letzte Woche eröffnete die Ausstellung „Jean Tinguely. Super Meta Maxi“. Bis zum 14. August wird nun im Museum ordentlich Alarm gemacht. Die Schau, die in Düsseldorf und in Kooperation mit dem Amsterdamer Stedelijk Museum und dem Tinguely-Museum in Basel organisiert wurde, ist ein Highlight im rheinischen Museumssommer. Und auch, wer Tinguely schon kennt, entdeckt viele spannende Facetten an diesem Hans Dampf der Kunstgeschichte.
Barbara Til, mit Beat Wismer als Kuratorin für die Ausstellung verantwortlich, weist uns bei der Pressekonferenz noch einmal darauf hin, dass man die Ausstellung doch unbedingt chronologisch angucken müsse. Der Hinweis ist wichtig, weil man sich im Museum Kunstpalast ja schon mal mit der Laufrichtung in Ausstellungen vertun kann. Aber es lohnt sich wirklich.
„Die Bewgung bot einen Ausweg aus dieser Starre, bot einen Endpunkt. Bewegung erlaubte mir zu sagen, ‚OK, jetzt ist fertig‘.“
Die frühen Arbeiten von Tinguely zeigen den Übergang vom Zweidimensionalen in das Dreidimensionale sehr anschaulich. Und sie machen deutlich, zwischen welchen Aspekten sich seine Arbeiten entfalten. Natürlich geht es um Bewegung, auch um Maschinen im Zeitalter der Moderne (manche seiner Objekten lassen übrigens ganz kurz Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ als Assoziation aufblitzen). Aber es geht auch um die Auseinandersetzung mit der bisher dagewesenen Kunst. Die sich seiner Meinung nach in der Nachkriegszeit irgendwie auch festgefahren hatte.
Méta
Beim Betreten der Ausstellungsräume wird sofort augenscheinlich: Tinguely hat sich an den Ikonen der russischen Avantgarde abgearbeitet. Kleine Motorkonstruktionen bringen Rechtecke und Quadrate ins Rotieren. Nachdem er in den Fünfzigern mit ganz zauberhaften filigranen Drahtkonstruktionen auf der Bildfläche erschienen war, stellen seine Méta-Malevichs und Méta-Kandinskys eine Verwandlungen der legendären abstrakten Bilder dar, die durchaus Sinn macht. Hatte nicht gerade Malewitsch den Raum/Weltraum in seinen Bildern mitgedacht?
Einfache Formen vor dunklem Hintergrund bewegen sich ganz langsam aufeinander zu oder stoßen sich plötzlich ab. Wie von Zauberhand rotieren die Elemente. Das ist mehr als bloße Technik. Je länger man zusieht, desto mehr entfaltet sich eine besondere Magie.
Und dann erlebt man eine Steigerung von Méta, mit der man vollends in eine andere Welt entschwinden kann. Mittendrin steht man im Kunstwerk und muss aufpassen, dass es einen mit seinen absurden Phantasien nicht verschluckt und völlig verändert ausspeit. Zirkus, Theater, große Show. Das ist es auch. Aber auch ein Appell, sich allem Erstarrten zu widersetzen. Schönheit im Banalen zu entdecken oder die Absurdität der Realität zu bemerken.
Ein Theatervorhang geht auf und zu, das Zirkuspferd schaukelt auf und ab, eine Puppe grinst einen aus einem Wandschrank an, dessen Türen unvermittelt aufspringen. Man hat schon ein bisschen Herzklopfen, wenn man das Ungetüm besteigt und zwischen riesige Schwungrädern gerät. Von oben sieht man immer mal wieder den ein oder anderen Hinweis auf die ursprüngliche Bestimmung der verbauten Elemente. Aber die ausgeklügelte Maschinerie nimmt einen gefangen und man vergisst die Realität nach kurzer Zeit. Ein unglaubliches Erlebnis.
In dem sehr lesenswerten Katalogbeitrag „COME IN AND HAVE A GOOD TIME! Die spielerische Dimension im Werk von Jean Tinguely“ erwähnt Barbara Til eingangs das Dismaland von Banksy. Da wird das Spiel zur Gesellschaftskritik genutzt. Mit dem Verweis auf die Dadaisten setzt sich Til weiter mit dem Künstler als Spieler auseinander.
„Doch geht Tinguely bei seinen Maschinen noch einen entscheidenden Schritt weiter, indem er zu einem Spiel-Macher im doppelten Sinne wird: Er lockt nicht nur den Betrachter sich spielerisch zu beteiligen, sondern lässt auch seinen Maschinen die Freitheit zum Spiel.“
Do it yourself
Die Malmaschinen von Tinguely sind ein großer Spaß! Wie man so schön auf dem Plakatmotiv sehen kann. Das zeigt eine jauchzende Lady mit Schleierhütchen auf so einer Maschine. Wie auf einem Fahrrad tritt sie in die Pedale und am Ende der Konstruktion ensteht eine Zeichnung. „Kommen Sie und kreieren Sie zusammen mit Tinguelys Méta-Matic ihr eigenes Gemälde“ hatte er auf 1959 auf einen Handzettel für eine Ausstellung in Paris drucken lassen. Seine Zeichenmaschinen, die er zu dieser Zeit konstruierte, sind auch ein Seitenhieb auf den abstrakten Expressionismus. Das war ihm uns seinen Mitstreitern zu sehr verquaste Künstlerpsyche, zu viel Unterbewusstsein, zu wenig Realität.
Solche Kunst liefert einen fantastischen Impuls für die Vermittlungsarbeit. Im Museum Kunstpalast verfügt die Vermittlung über eigene Ausstellungs-Räume. Das ist toll, wenn man mit didaktisch durchdachten Präsentationen parallel zu den Ausstellungen besondere Aspekte der Kunst fokussieren will. Für die Tinguely-Austellung hat hier man auf die Zusammenarbeit mit Künstlern gesetzt (Axel Naß und Carl Hager), die nicht nur fantastische kleine Malmaschinen gebaut haben, sondern auch eine grandiose Kettenreaktion-Kugelbahn, die mich besonders an die Nachfolger Tinguelys erinnert: Künstler wie Fischli/Weiss haben viel von ihm aufgegriffen und in Arbeiten wie „Der Lauf der Dinge“ zitiert.
Silvia Neysters, die im Museum Kunstpalast die Kulturelle Bildung und Pädagogik verantwortet, erläutert mir die verschiedenen Stationen, die sie im Mitmach-Atelier für die Besucher aufgebaut haben. An einer Wand sehe ich verschiedene Konstruktionen, die Bewegungsabläufe demonstrieren. Da man ja in der Ausstellung zwar mittels roter Buttons die Kunstwerke ans Laufen bringen darf, aber sonst nichts berühren kann, macht diese Art „Hands on“ natürlich irre viel Spaß! Auch die kleinen schwarzen Mal-Roboter-Käfer sind klasse. Ganz besonders begeistert haben mich aber die kleinen Méta-Boxen. Hier kann man sich sein eigenes Kunstwerk aus rotierenden Formen herstellen – und auf diese Weise die Konstruktionsprinzipien der Tinguely-Arbeiten in der Praxis ausprobieren.
Eine bewährte Reihe sind kleinen Begleitpublikationen wie die Kunst-Detektive. Die Kinder werden mit kleinen Suchaufgaben durch die Ausstellung geschickt. Sie dürfen sich Namen für die Kunstweke aussuchen, Geräusche malen oder Formen neu sortieren. Sicher eine gute Idee, wenn man die Kids ein bisschen beschäftigen möchte. Die Texte dazu können jede Begleitperson (Mama, Tante, Oma) fit machen, ein bisschen Hintergrundwissen zuzufüttern.
So weit, so laut und lustig
Doch jetzt kommen wir zu einem ganz anderen Thema. Am Ende der Ausstellung gerät man in einen abdunkelten Raum. Dort erwartet einen der Mengele-Totentanz! Allein schon der Name dieser riesigen Installation zieht einen sofort in das Geschehen. Man kann sich der Assoziationen, kollektiven Erinnerungen und Ahnungen nicht entziehen, die damit verbunden sind.
Ich hatte vorher schon ein bisschen etwas über die Arbeit erfahren und so habe ich mir eingebildet, beim Eintritt in den Raum so etwas wie Brandgeruch wahrnehmen zu können. (Jean-Marc Gaillard, der super sympathischen Restaurator des Museum Tinguely musste mich aber enttäuschen. Nach so vielen Jahren wäre das wohl kaum möglich. Übrigens: Unbedingte Emfpehlung für die Expertenführung mit dem Restaurator am 10. und 11. Mai. Weitere tolle Programmpunkte gibt es hier).
So viel ist aber klar: Die Arbeit Mengele-Totentanz spielt auf alle Sinne an. In einem Halbrund aufgereiht begegnet man einem Panoptikum aus furchteinflößenden Gestalten, die laut Objektbeschreibung die folgenden sind: Mengele (Hoch-Altar) mit den vier Ministranten Bischof, Gemütlichkeit, Schnapsflasche, Television. Durch die Beleuchtung scheinen sie wie Schatten aus der Vergangenheit, die einem im Albtraum begegnen.
Wenn man genauer hinschaut, sieht man angebranntes Holz, Spitzenstoff, Eisenteile, Gummirollen, Elektromotoren, eine Motorsäge, einen Gewehrlauf, einen Fleischwolf, ein Grabkreuz, die Achse einer Schubkarre, Klumpen verschmorten Plastiks, Eisenfeder und -teile, das Gehäuse eines Fernsehers u.v.m.
Bei Mengele fällt einem natürlich sofort der Lagerarzt ein, der in Auschwitz für viele Opfer des Holocaust verantwortlich war. Der Name steht hier auf einer Maisschälmaschine, die Teil eines elefantenartigen Wesens geworden ist (mit dem riesigen Schädel eines Nilpferdes). Alles also ganz harmlos, weil hier eine Landmaschinenfirma für den Werktitel hergehalten hat? Da ist doch diese Geschichte mit dem benachbarten Bauernhof, der abgebrannt war. Tinguely, der sich 1985 einer schweren Herz-Op unterziehen musste, erlebt dieses Ereignis besonders intensiv. Im Katalog wird aus einem Gespräch zitiert, das Margrit Hahnloser 1988 mit dem Künstler führte:
„Es hat geschmort, es war die Hölle, teuflisch, wahnsinnig! Und dieser Gestank im Dorf (…) Das war eine schauerliche Atmosphäre. Zwei Tage später ging ich hin. (Ich begann, die ersten Dinge aus diesem dampfenden, noch lauwarmen Brandherd herauszunehmen, Eisen, Dachbalken, Knochen, Landwirtschaftsmaschinen, ohne zu wissen warum. (Plötzlich spürte ich wieder diese ganze grausige Konzentrationslager-Verbrennungs-Katastrophe. (…) Das letzte Stück war ein großes Mais zerfressendes Ungeheuer, wo zweimal Mengele draufstand, der Name dieser Nazi-Arzt-Familie. Di, welche diese Maschinen fabrizieren, haben ihn in Brasilien (…) geschützt und ihm Geld gegeben, damit er sich neu organisideren konnte. Somit war die Idee ja eigentlich schon da: nämlich, dass diese schrecklich aussehnde Maismaschine zur schauerlichsten Fledermaus wird, zugleich Altarfigur, zugleich Schlachthofamosphäre, zugleich Schreckensgebilde, und mittels mühsamen Bewegungen in Gang gesetzt wird.“
Nicht nur, dass Tinguely mit dieser Arbeit der Tradition des Totentanzes in der Kunstgeschichte eine spannende Variante hinzufügt. Der Mengele-Totentanz ist auch ein Beispiel dafür, auf welch besondere Weise Tinguelys Kunst funktioniert. Der Betrachter sieht sich diesen Fundstücken mit einer besonderen Patina gegenüber. Jedes Objekt bringt schon seine eigene Geschichte mit. Der Künstler greift das auf und erweitert es, indem er sie in einer inszenierten Zusammenstellung zu einem besonderen Erlebnis verwebt. Jeder, der diese Arbeit sieht, wird mir zustimmen: Das ist auf keinen Fall nur Eisenschrott und alte verbrannte Dachlatten, was einem hier Gänsehaut verursacht.
Nicht alle Objekte Tinguelys berühren einen derartig tief. Aber ich erlebte beim Rundgang so manche Überraschung. Zum Beispiel auch die, dass ich die Arbeit, die mir aus dem Museum Ludwig vertraut war, nun in ihrer „natürlichen“ Umgebung sehen konnte und mir so der Kontext viel besser klar geworden ist. Vielleicht entdeckt ihr ja auch etwas Neues oder etwas Altbekanntes neu. Meine Empfehlung zum Besuch sei an dieser Stelle ausdrücklich ausgesprochen!
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