Auf den Spuren der Preußen in Westfalen Teil II


Nachdem wir in unserem ersten Beitrag zum Netzwerk „Preußen in Westfalen“ im Siegerlandmuseum und im Geschichtsmuseum Lüdenscheid zu Besuch waren, geht es heute zu den Museen Burg Altena (das Beitragsbild zeigt die Burg und wurde von Stephan Sensen gemacht), ins Stadtmuseum Iserlohn und ins Sauerland-Museum.

Burg Altena

Nur einen Katzensprung von Lüdenscheid entfernt befindet sich die Burg Altena. Eine mittelalterliche Burg, die allerdings in ihrer heutigen Erscheinung ein heiß umstrittener Wiederaufbau-Akt gewesen ist, der symbolisch aufgeladen war und beinahe zu einem Duell geführt hätte.

Auf dem Weg zur Burg zeigte sich die besondere Landschaft der Region mit den engen Tälern und den darin plätschernden Flüssen und Bachläufen noch einmal von ihrer schönsten Seite. Ich konnte unmittelbar sehen, wie die Wasserkraft zur industriellen Entwicklung der Gegend beigetragen hatte, allerdings bemerkte ich auch ihre Tücken in den Überresten, die vom tragischen Hochwasser vom 14. Juli 2021 noch zu sehen waren.

Den Weg zur Burg kann man auf zweierlei Weise nehmen. Einmal mit einem Spaziergang von ca. 15 Minuten ab dem Parkplatz an der Lenne, bei dem man die Burganlage durch die schöne Vorburg erreicht. Oder über einen sehr spannenden Erlebnisaufzug, der Besucher*innen durch einen kleinen Parcours mit multimedialen Präsentationen schon historisch passend einstimmt. Eine kleine Überraschung folgt dann in der ca. 15 Sekunden dauernden Aufzugfahrt. Deswegen und wegen mehrerer Mitmach-Stationen ist dieser auf dem Weg zur Burg besonders für Familien mit Kindern sehr empfehlenswert.

Ein Bild von einer Burg

Bereits im 12. Jahrhundert errichteten die Grafen von Berg hier auf dem Klusenberg eine mittelalterliche Burg, die allerdings schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts wegen des Verlusts an wehrtechnischer Bedeutung immer mehr verfiel. Wie ich bereits gelernt hatte, kam die Grafschaft Mark im frühen 17. Jahrhundert in die Hände Brandenburgs und ab 1609 stationierten diese auf der Burg eine Garnison, die aber insgesamt nicht viel zu tun hatte. Die Hauptgeschäfte wurden schon längst nicht mehr von hier aus getätigt. So erlebte die Burganlage eine wechselvolle Geschichte – unter anderem auch als Gefängnis (das scheint sich durchzuziehen, wir erinnern uns an das Alte Schloss in Siegen).

Als Teile der Burg im 18. Jahrhundert an die Stadt Altena verkauft wurde, nutzte man ihre Mauern sogar für den Häuserbau. Mit anderen Worten: die Burg war eigentlich dem Untergang geweiht. Allerdings gab es schon im frühen 19. Jahrhundert Ideen für einen Wiederaufbau – man hatte die Romantik im Sinne und dachte an eine Art Tudor-Castle. Allein es fehlte das Geld zur Umsetzung. Die Stadt Altena schenkte 1842 ihren Anteil an der verfallenen Burg dem preußischen König. Friedrich Wilhelm IV.  Der König  verfolgte den Plan einer englischen Landschaftsgarten-Gestaltung, die Gartenbaumeister Maximilian Friedrich Weyhe umsetzen sollte. Noch heute lassen sich seine Gestaltungsideen bei einem Spaziergang um die Burg nachvollziehen.

Als Kaiser Wilhelm II. sich 1907 in Münster aufhielt, nutzen die Befürworter des Wiederaufbaus die Chance und stellten dem Monarchen ihre Pläne zum Wiederaufbau vor. Er willigte ein und sah wohl auch in der Rekonstruktion eine Chance den Ort zu einem nationalstaatlichen Symbol zu machen – ähnlich wie vor Jahren noch beim Bau des Kölner Doms. Die Burg wurde in der Folgezeit zu einer Attraktion in der Region und schon 1915 wurde dort das Museum der Grafschaft Mark eröffnet.

Erlebnisorientierte Vermittlung von Geschichte

Die heutige Dauerausstellung stammt aus dem Jahre 2000 und hat mich an vielen Stellen durch eine überzeugende Szenografie begeistert. Mein absolutes Highlight war die Präsentation einer Reihe von Sprichworten und deren Bedeutungen. Selten sind mir so viele Aha-Erlebnisse beschert worden. Allen voran die Erklärung des Spruchs „über die Wupper gehen“, der mit der ehemaligen Grenze zwischen der Grafschaft Mark und dem Herzogtum Berg zu tun hat. Man konnte sich nämlich dem preußischen Wehrdienst entziehen, wann man den zwischen beiden Gebieten fließenden Fluss überschritt. Eine friderizianische Grendadiermütze aus dem 18. Jahrhundert ist im Museum Burg Altena stellvertretend für diesen Spruch ausgestellt. Auf ihr entdeckte ich prominent den preußischen Adler und die verschlungenen Buchstaben F und R (Fridericus Rex).

Von der Burg ging es dann weiter entlang der Lenne in Richtung Iserlohn, wo wir das Iserlohn als vierte Station unserer Reise auf den Spuren der Preußen besuchten.

Stadtmuseum Iserlohn

Die Grenadiermütze der Burg Altena bietet übrigens eine schöne Verbindung zum Stadtmuseum Iserlohn. Denn in Iserlohn nimmt die Verarbeitung von Messing eine ganz besondere Stellung ein. In der Region gab es ein Vorkommen des sogenannten Galmei – einer speziellen Form von Zinkerzen, die eine entscheidende Rolle in der Messingherstellung spielte. Ohne jetzt auf Produktionsdetails eingehen zu wollen – das Wichtigste war die Formbarkeit des Messings und in deren Folge auch die Möglichkeit einer Gestaltung mittels einer Druckmatritze.

Tabakdosen als Kommunikationsanlass

Das führte dazu, dass schon im 18. Jahrhundert eine Art Massenproduktion der damals sehr beliebten Iserlohner Tabaksdosen in Gang gesetzt wurde. Diese wurden dann von Iserlohn aus in alle Welt versandt. Eine ikonografische Besonderheit dieser Tabaksdosen war, dass sie Teil einer gezielten Inszenierung vor allem Friedrichs des Großen als großem Feldherrn waren. Man konnte eine regelrechte Sammelleidenschaft entwickeln und zu jeder entscheidenden Schlacht, die gewonnen wurde, eine passende Dose erwerben. Gezielte Marketingstrategien verfolgten also auch schon die Preußen! Denn schließlich galt es besonders in den Provinzen, sich als mächtige Herrscher zu präsentieren. Die österreichische Kaiserin Maria Theresia ist ja eigentlich eher wegen der berühmten Goldtaler mit ihrem Konterfei ein Begriff. Aber auch sie wurde auf Iserlohner Tabaksdosen dargestellt, obwohl sie Preußens Gegnerin war.

Ich muss gestehen, ich habe mich ein bisschen in die historischen Nadelbriefchen verguckt.

Mittlerweile weiß ich, dass hier in Westfalen die Drahtproduktion eine zentrale Rolle spielte und man in der Region ein interessantes Gefälle unterschiedlicher Drahtstärken festmachen kann. Den feinen Draht stellte man demnach in Iserlohn her und damit in Zusammenhang stand auch die Nähnadelproduktion. Was die Produktion dieses unscheinbaren, aber ungemein nützlichen Gegenstandes angeht, das ist eine eigene Sozialgeschichte wert. Denn zum Beispiel hing die bis weit ins 19. Jahrhundert übliche Kinderarbeit damit zusammen, da Kinder aufgrund ihrer feinen Hände gerne dafür eingesetzt wurden – oft war aber auch die gesamte Familie in Heimarbeit tätig. Ein Verdienst der Preußen war später übrigens ein Erlass gegen die Kinderarbeit. Im Museum finden sich einige spannende Präsentationen, die einen mitnehmen in den Alltag der Menschen im frühen 19. Jahrhundert. Da ist zum Beispiel eine Kneipe aus Iserlohn zu sehen. Mit einer typischen Stammtisch-Situation, die mit vielen Original-Details nachempfunden wurde. Auch da lässt sich wunderbar wieder das Preußenthema anknüpfen. Denn so manche Vereinsgründung fällt in diese Zeit – die Zeit, in der unter den Preußen ein erstarktes Bürgertum auch so etwas wie Freizeit bewusst zu gestalten begann.

Iserlohner Held im Vormärz

Das Stadtmuseum Iserlohn verlassen wir natürlich nicht, ohne einen Blick auf das Porträt Carl August Michael Schucharts zu werfen und seine Geschichte zu erzählen. Schuchart war von der Obrigkeit verdächtigt worden, 1849 einen Aufstand gegen die preußische Regierung angezettelt zu haben. Da man seiner nicht habhaft werden konnte, stachen die Soldaten wütend auf sein Bildnis ein, das dann wohl über die Jahre von der Familie mit einem gewissen Stolz aufbewahrt und erst jüngst dem Stadtmuseum vermacht worden war.

Von einem Ort des Aufbegehrens gegen die Preußen machen wir uns allerdings auf, um am Ende unserer Tour nach Arnsberg zu fahren. Die Stadt ist einer der Orte, an denen die Preußen ihre Regierung in Westfalen manifestiert haben. Doch vorher noch …

Einen Ausflug wert – Die Historische Fabrikanlage Maste-Barendorf

Ein absolutes Muss ist der Besuch der historischen Fabrikanlage Maste-Barendorf, die mit dem Nadelmuseum ebenfalls der Stadt Iserlohn gehört. Dort wandelt man zwischen historischen Fachwerkhäusern und kann wunderbar Kunst und Kulinarisches genießen.

Sauerlandmuseum in Arnsberg

Fast hat es den Anschein, als wären wir einer gezielten Dramaturgie gefolgt: Den Abschluss unserer Tour erleben wir im Sauerlandmuseum in der Stadt, die die Preußen als als wichtigen regionalen Verwaltungsstandort in Westfalen auserkoren hatte. Nachdem weite Teile der Region durch die Aufteilung Europas im Verlauf des Wiener Kongresses an Preußen gegangen war, zogen immer mehr Beamte in die westfälische Stadt. Und dem Umstand, dass diese dringend eigenen Wohnraum benötigten, haben wir es zu verdanken, dass heute ein weitestgehend erhalten gebliebenes Ensemble klassizistischer Bauten in der historischen Altstadt zu bestaunen ist.

Klein-Berlin an einem schönen Fleckchen Erde

Man geht davon aus, dass diese im Umfeld des Baumeisters Friedrich Schinkel geplant und gebaut worden sind. Das Zentrum des Neuen Marktes dominiert eine protestantische Kirche und neben dem sogenannten Casino ziehen auch heute noch die Gartenhäuser Architekturliebhaber an. Besondere Kleinode sind zwei entzückende kleine Pavillons, die in den rückwärtigen Grundstücken dieser Häuser damals üblich waren und für kleine Empfänge oder als Wohnungen für den Gärtner genutzt wurden.

Im Sauerland-Museum gibt ein historischer Rundgang viel Anlass, über den sogenannten Preußen-Staat zu sinnieren. Hier in Arnsberg entwickelte sich die Gerichtsbarkeit und eine sehr durchdachte Verwaltungsordnung, die mit zu den Errungenschaften der Preußen gezählt werden kann. Eine besondere Entwicklung nahm auch die Fokussierung auf die Regionalgeschichte ein – und nicht zuletzt resultierte daraus auch das zunehmende Westfalen-Bewusstsein im Bürgertum.

Vincke und das Westfalen-Bewusstsein

Ich war hier einmal mehr angetan von den tollen Original-Objekten mit ihrer ganz besonderen Aura. Wenn man sich das Bild eines typischen preußischen Beamten vor Augen führen wollte, dann wäre dies wohl Ludwig Freiherr von Vincke. Er trat unermüdlich für ein Westfalen ein, das sich  selbstbewusst nicht nur als Anhängsel der Berliner sah. Und wenn man diesen Sessel ansieht, auf dem von Vincke wohl so manches Mal ungeduldig und tatkräftig herumgerutscht sein mag, dann wird für mich auch eine gewisse Aufbruchsstimmung deutlich. Chancen für eine neue Gesellschaft ergreifen und sie gestalten: Potzblitz.

Und im Museum fand ich dann auch eine spannende Verbindung der Vergangenheit ins Heute. Aus dem erstarkten Selbstbewusstsein und dem wirtschaftlichen Aufschwung der Region sind viele Firmen – gerade hier in Arnsberg – hervorgegangen, die bis heute zum Teil Global Player sind. Sogar die Walther PPK von James Bond himself stammt aus Arnsberg. Ich gebe zu, ich war beeindruckt!

Wie in einem schönen Resümee fand ich im Sauerlandmuseum auch noch eine passende Infografik mit Fokus auf die Nationalstaat-Symbolik. Was verbinden wir heute zum Beispiel mit dem Preußenadler? Wo treffen wir überall auf ihn? Was sagt er uns? Wenn man einmal anfängt, das genauer zu betrachten, kommt man auf viele neue Perspektiven und natürlich auch Fragestellungen.

Denn die Geschichte hat ja nicht einfach Halt gemacht, nachdem der preußische Staat Geschichte war. Wie in einem schönen Mosaik finde ich daher im Netzwerk „Preußen in Westfalen“ lauter Puzzlesteine, an denen ich mich entlang in neue Geschichten begeben kann. Mir ist es nach der Reise schon öfter passiert, dass ich meine Erlebnisse auch zum Beispiel in Köln und Umgebung reflektieren konnte wie jüngst bei der Besichtigung eines historischen Bahnhofs! Preußen in Westfalen wirkt!!!

Ein schönes Fleckchen Erde

Und ich beende meinen Reisebericht mit einem kleinen Schmankerl. Denn ihr dürft euch nicht entgehen lassen, zum Ehmsendenkmal in Arnsberg zu laufen. Dieser schöne Pavillon ist über den neugestalteten Hof des Klosters Wedinghausen und entlang des Seniorenheims links in den Wald zu erreichen. Errichtet wurde es 1887 zu Ehren des Forstrats Ehmsen. Unweit von dieser Stelle aus soll 1817 der damalige Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV. ausgerufen haben: „Hier ist ein schönes Fleckchen Erde“.

Damit endet meine Rundreise und ich freue mich, wenn ihr euch vielleicht auch mal auf den Weg macht, die Stationen zu besuchen. Es lohnt sich, versprochen!!

Und auch dieser Blogbeitrag entstand im Auftrag des “ Netzwerk „Preußen in Westfalen“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), gefördert durch: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen

Ich möchte mich bei allen Museumsmitarbeiter*innen und -leitungen für den freundlichen Empfang in ihren Häusern bedanken. Und natürlich auch bei den Kolleg*innen des LWL-Preußenmuseums für den Austausch im Rahmen dieses Projektes.

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