Zwischen Poesie und Waterloo

Die zweite Etappe meiner Kultour Wallonie war sehr spannend (die erste lest ihr hier nach) . Ich hatte die absolut poetischste Inszenierung in der Fondation Folon. Ein tolles Museum vom Künstler selbst als eine Art begehbares Buch geplant. Inmitten eines wunderschönen Schlossparks. Und nachmittags dann der Besuch in Waterloo. Krieg, Schlachtfeld, Kanonendonner. Bizarr. Aber ich muss euch zunächst noch das Loblied der belgischen B&Bs singen. Kommt mit auf die zweite Etappe der wunderbaren Reise, auf die wir Herbergsmütter von Belgien Tourismus geschickt wurden.

Große Gastfreundschaft

Als ich im kleinen Städtchen Corbais ankomme, fühlt sich alles so vertraut an. Ich erinnere mich an meine Aufenthalte in im ca. 12 Kilometer entfernten Ceroux-Mousty. Eingebettet in eine sanfte Landschaft der Region Wallonisch-Brabant mit Feldern und satten kleinen Wäldchen liegt das Örtchen im Abendlicht. Von der Vorabbesichtigung der Website wusste ich, dass mich bei meiner Unterkunft keines der typischen alten Landhäuschen erwarten würde, sondern etwas, was ich als Architektenhaus bezeichnen würde. Dimensions M ist ein klarer Design-Entwurf und von den beiden Besitzern Roland und Michèle gezielt für das Betreiben eines B&B-Angebotes geplant worden. Das Haus ist großzügig mit unglaublich viel Licht gebaut. Von überall her gibt es einen tollen Blick in den großen Garten. Der Trakt mit vier Zimmern für Gäste ist von dem Privatbereich der beiden Gastgeber getrennt und nur durch die Küche verbunden. Dort wird nicht nur das fantastische Frühstück vorbereitet, sondern auch Leckeres für den Table d’hôtes. Das kann ich jedem nur empfehlen. Selten aß ich leckerer! Und ein nettes Pläuschchen mit den anderen Gästen war auch sehr angenehm.

Roland erzählte mir später auch noch vom Projekt Green Key, für das sie zertifiziert wurden. Dass man mit regionalen Produkten versorgt wird, ist großartig. Aber auch die Energiebilanz des gesamten Hauses ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet – im Garten stehen versteckt mehrere Solarpanels und auch sonst gibt es viele Details im Haus, die auf neue energieeffiziente Methoden setzen.

Es war wirklich ein sehr angenehmer Aufenthalt im Dimension M und unsere Gespräche drehten sich auch um Themen wie Slow Tourism und Genuss. Am Schluss gab es noch einen kurzen Ausflug zur geographischen Mitte Belgiens. Mehr angekommen in diesem kleinen Land kann man sich fast gar nicht fühlen.

Die Fondation Folon

Ich schrieb es ja schon: das Erlebnis mit der Fondation Folon kann man wirklich mit einem Wort zusammenfassen: Poesie. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Jean-Michel Folon nicht kannte. Er war ein wirklich weltweit bekannter Künstler, Illustrator und Bildhauer. Er schuf zum Beispiel unvergleichliche Cover für den New Yorker. Und seine zarten Aquarelle sind wirklich hinreißend. Folon, geboren in Brüssel, verbrachte einige Kindheitsjahre nicht weit entfernt von der Ferme in La Hulpe, in der sich heute die Fondation befindet. Und als man mit dem Gedanken an ihn herantrat, hier ein Museum für seine Werke zu bauen, war er sofort begeistert und plante alles von Anfang an mit. 2000 eröffnete die Fondation Folon als wahrhaft immersives Erlebnis. Ein Besuch ist jedem ans Herz gelegt, der sich für Aquarellmalerei, Buchillustrationen und ungewöhnliche Museumsszenografie interessiert. Ich sage das so deutlich, weil ich weiß, dass es viele in meinem Umfeld gibt 🙂 Zum Besuchserlebnis zählt übrigens auch noch das: Um das Schloss La Hulpe befindet sich ein fantastischer Landschaftspark mit einem Baumbestand, den auch schon Jean-Michel Folon als bemerkenswert empfand. Es gibt kleine Seen und schöne Wanderwege!!! Auf geht’s!

Ende der achtziger Jahre entdeckte Jean-Michel Folon die Bildhauerei und mit dem Mann mit Hut und zu weitem Mantel schuf er eine ikonische Figur, die natürlich auch eine Reminiszenz an den berühmten belgischen Künstler René Magritte ist. Diese Figur thematisiert das Menschsein an sich und ist gleichzeitig ein Alter Ego des Künstlers, der besonders auch für sein humanitäres Engagement geschätzt wurde. Tanja von Vielweib hat übrigens zeitgleich einen Artikel über Knokke veröffentlicht, in welchem sie auch über Folon berichtet. Seine Figur im Meer ist zwar gerade nicht zu sehen, aber ich plane einen Besuch dort auf jeden Fall bald mal ein – vielleicht sitzt er dann auch wieder da!!!

Der Gang durch die Fondation Folon ist wirklich besonders. Das Staunen über die Magie der Bilder, die sorgfältig inszenierten Räume – das ist ein unvergleichliches Erlebnis. Die Ausstellung ist in zwei unterschiedlichen Gebäudeteilen untergebracht und es empfiehlt sich, zwischendurch ein Päuschen im Café Restaurant einzulegen. Man hat von der Terrasse einen fantastischen Blick in den Landschaftspark, in dem auch ein paar Kühe friedlich grasen.

Neben den immersiven Räumen haben mich vor allem die Ausstellungsfilme begeistert, auf denen man Folon beim Aquarellmalen zusehen konnte. Normalerweise sind mir solche Filme in Ausstellungen zu viel und ich will mich lieber mit den Originalen beschäftigen. Aber ich konnte mich hier der Faszination des Malprozesses nicht entziehen. Gebannt schaute ich bei der Entstehung der zarten Malereien zu.

Da die Kunstwerke hauptsächlich empfindliche Papierarbeiten sind, ist es nur verständlich, dass man sich durch abgedunkelte Räume bewegt. Nachdem man zunächst das Gefühl hat, durch ein begehbares Buch zu wandern, kam später die Assoziation hinzu, im Bauch einer eleganten holzgetäfelten Jacht zu sein. Oder empfand ich das nur, weil man an den zahlreichen Schiffsobjekten vorbei lief? Folon hat sie aus allen möglichen Fundstücken hergestellt – mal aus einem Stück Strandholz, mal aus einem Zollstock. Hier winken auch die Surrealisten und ein bisschen Dada fröhlich aus der Ferne. Folon hat zwar einen eigenen und ganz unverwechselbaren Stil entwickelt, aber Einflüsse der Klassischen Moderne (ich dachte ganz viel an Paul Klee) sind an vielen Stellen merkbar.

Ich habe übrigens bewusst darauf verzichtet, euch den schönsten Raum am Ende des Rundgangs zu zeigen. Weil es unbedingt eine Überraschung sein muss. Ich mache es genauso, wie die freundliche Kollegin, die mich am Beginn meines Besuchs mit ein paar einführenden Informationen bedacht hatte und mir diese Erfahrung am Ende der Ausstellung schon so geheimnisvoll angekündigt hatte. Und ja: es ist wirklich zauberhaft!! Danke!!!

Ich war sehr glücklich über die Entdeckung dieses wunderbaren Künstlers und habe mich dann im netten kleinen Artshop noch mit jeder Menge Memorabilia eingedeckt. Auch den Wallonie-Büggel erstand ich dort! Kleiner Wink!!! Drüben bei den Herbergsmüttern erfahrt ihr noch alles über die Verlosung.

Auf der Website der Fondation stehen übrigens die Antworten, die Jean-Michel Folon im berühmten Proust-Fragebogen gegeben hat. Und da erwähnt er die historische Figur, die er nicht mag: Napoleon! Was für eine Überleitung zu meinem nächsten Kapitel!!!!

Weltgeschichte mit Beigeschmack

My, my
At Waterloo, Napoleon did surrender
Oh yeah
And I have met my destiny in quite a similar way
The history book on the shelf
Is always repeating itself

Ich muss gestehen, mein Besuch in Waterloo war das krasse Gegenteil der poetischen Reise, die ich am Vormittag unternommen hatte. Vom Parkplatz aus sah ich schon den berühmten Hügel mit dem Löwen obenauf und mir ploppte im Kopf gleich mal die Abba-Melodie auf. Als ich weiter lief, um nach einem schönen Plätzchen für ein Insta-Live mit den Herbergsmüttern zu suchen, wurde mir plötzlich schwummerig. Mit Macht kam die Erkenntnis: Die Felder hier, der Acker da – das war der Schauplatz des wohl berühmtesten Kriegsgeschehens der Weltgeschichte. Und plötzlich konnte ich nichts anderes mehr denken als: hier starben 50.000 Soldaten.

Nachdem ich mit den Herbergsmüttern hinter einer Hecke live gesprochen hatte, ging ich zum Eingang des Waterloo Museums, das Teil des großen Komplexes Waterloo Memorial ist. Dazu gehören der Löwen-Hügel, das historische Panorama (aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, beeindruckend aber auch hier: Schlacht, Kampf, Tod) und die Ferme d’Hougoumont. Zu letzterer machte ich mich auch noch auf, aber irgendwie habe ich mich verlaufen und bin nicht zum Ziel gelangt. Dafür habe ich dann in einer anderen Ferme abends ein leckeres Waterloo-Bierchen getrunken und einen Veggie-Burger verdrückt. Aber zurück zum Museum.

Die Anlage ist ein weitläufiger Komplex, komplett unterirdisch gebaut und man bekommt einiges geboten. Einerseits eine besondere Szenografie mit vielen nachgebildeten Truppenzügen. Als Besucherin war ich plötzlich Teil der Soldatenzüge, lief gemeinsam mit ihnen, ihren Pferden, Trommeln und Gewehren. Dann gibt es einen Part im Museum, der sich intensiv mit den historischen Konstellationen der Länder im 19. Jahrhundert auseinandersetzt und letztendlich auch die Entstehung Europas thematisiert. Ich fühlte mich sehr an meinen Geschichtsunterricht erinnert, mit all den Karten und jeweils neu vergebenen Landesgrenzen. Gefallen hat mir aber auch der Einstieg in das Thema über die Darstellung der französischen Revolution – der Kontext, in dem man Napoleon und die Schlacht von Waterloo sehen muss, ist ja eben auch ein wichtiges Thema.

Ich habe mich dann auch überwunden und bin in die 4-D-Film-Vorführung gegangen, wo ich mittels 3-D-Brille sehr nah in das Schlachtgeschehen hineingezogen wurde. Es wurde sehr deutlich erfahrbar, was für eine Diskrepanz zwischen der Perspektive der Feldherren (von weiter weg das Geschehen beobachtend) und der der Soldaten lag. Erstere nahmen das Ganze als strategisches Kräftemessen, letztere rannten aufeinander los – wohlwissend, dass sie sterben werden.

Man kann wirklich sagen, dass man in der gesamten Inszenierung auf dem Areal das historisch bedeutsames Geschehen unmittelbar nachempfinden konnte. Geschichte wird lebendig und wenn sie sich an so einem schicksalhaften Tag verdichtet, dann ist das wirklich erschütternd und beeindruckend.

Für den Rundgang gibt sehr viele Medienstationen und man erhält eine Chip-Karte, auf der man individuelle Dinge speichern kann, um unter anderem bei Spielen und Quizzen Punkte zu sammeln und mehr. Ich muss gestehen: ich habe es ein paar Mal probiert, aber für mich hat sich der Mehrwert der digitalen Erweiterung nicht ganz erschlossen.

Es gab aber auch einige Dinge, die mich irritiert haben. Unter all den ausgestellten Objekten befand sich auch das Skelett eines Soldaten – gefunden auf dem Schlachtfeld, ebenso einige Schädel. Ich hätte mir in diesen Kontexten – aber auch generell – eine etwas achtsamere Herangehensweise an das Thema Krieg gewünscht. Vielleicht haben mich die aktuellen Ereignisse beeinflusst und ich spürte den Bedarf eines kritischen Diskurses. Insgesamt waren mir die Kriegsführung als solche, die Truppenbewegungen, die Waffen (im Shop gibt es Pistolen-Attrappen zu kaufen, draußen war das Kanonenabfeuern die Attraktion) für meinen Geschmack zu stark im Vordergrund. Ich hatte aber den Eindruck, dass die meisten Besucher:innen (viele Familien) genau das richtig klasse fanden.

Als ich noch eine kleine Wanderung durch die Felder unternahm, kam ich an dem ein oder anderen Erinnerungsstein vorbei. Wäre es nicht eine Chance, hier auch mit ein zwei Stelen eine andere Perspektive der Erinnerung mit einzubauen? Das könnte ich mir super vorstellen, dass man so die Gedanken anregt, die man beim Spazierengehen weiter verfertigen kann.

Zwei interessante Dinge habe ich übrigens im Nachhinein noch gelernt: Die Felder (bis heute landwirtschaftlich genutzt) gehören immer noch den Nachfahren von Wellington. Und es gibt wohl anscheinend keine gesicherten Erkenntnisse, was mit den vielen Toten geschehen ist, die hier auf den Feldern lagen.

Was ich zusammenfassend feststellen muss: Es gibt eine solche Fülle an unterschiedlichen Erlebnissen in der Wallonie. Die ja auch nicht unbedingt immer nur heiter sein müssen und auch Widersprüche können inspirierend sein. Diese Kultour Wallonie war es absolut und ich zehre noch lange davon. Es gibt noch viel zu berichten aus Mons, diesem außergewöhnlichen Städtchen, in welchem wir Herbergsmütter uns zum Finale trafen. Das lest ihr dann drüben. Ich sage an dieser Stelle: À bientôt.


Transparenzhinweis: Die Reisekosten wurden vom Tourismusverband Belgien-Tourismus Wallonie übernommen, inklusive Anreise und Auslagen. Herzlichen Dank für die schöne Vorbereitung und Betreuung während der Reise. In den Museen hatte ich freien Eintritt. Vielen Dank dafür!

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Kommentare

9 Antworten zu „Zwischen Poesie und Waterloo“

  1. Avatar von Tanja Neumann

    Was für ein schöner Zufall, dass wir am selben Tag über einen besonderen Künstler schreiben und ihn an ganz unterschiedlichen Orten entdecken!
    Auch ich kannte Jean-Michel Folon vor meiner Reise nach Knokke-Heist nicht.
    Wie Du in meinem Artikel lesen konntest, hat mich die Kunst in KH begeistert und durch das fehlende Kunstwerk von Jean-Michel Folon steht KH wieder ganz oben auf meiner Reiseliste.
    Danke für Deinen tollen Artikel. Ich werde ihn gleich in meinem Blog als Special mit Link veröffentlichen! Toll geschrieben (wie immer) und schöne Fotos. Die Wallonie muss auch wieder auf meine Reiseliste, wie ich begeistert lese.

    1. Avatar von Kulturtussi
      Kulturtussi

      So soll das sein, dass wir uns gegenseitig über die Blogs inspirieren. Fühlt sich glatt an wie früher, als die Blogosphäre noch gut funktionierte!!! Danke auch für deinen tollen Bericht zu Knokke. Ich war noch nie da, hab aber immer mal wieder rübergeschielt. Was für eine Fülle an Kunstwerken. Must see!

  2. Avatar von Tanja Neumann

    PS Ich hoffe, er sitzt dann wieder da 🙂 Und wer weiß, vielleicht entdecken wir ihn gemeinsam beim Art Festival?
    Danke Dir für Deine Erwähnung und Verlinkung, liebe Anke.

    1. Avatar von Kulturtussi
      Kulturtussi

      Art Festival ist im August, richtig? Wahrscheinlich bin ich dann in der Schweiz. Aber es kommt wieder eine Gelegenheit!!! Und ja, wäre super, wir wären mal zusammen wo unterwegs! Würde mich auch freuen

  3. Avatar von Ute

    Wie schön, deinen Teil unserer #KultourWallonie nachzuerleben.
    Waterloo ist bestimmt schwere Kost. Ich bin nicht sicher, ob ich Lust gehabt hätte, mich darauf einzulassen. Aber wie du schreibst – Geschichte wird an diesem bedeutungsschweren Ort lebendig.

    1. Avatar von Kulturtussi
      Kulturtussi

      Ja, schwere Kost trifft es. Aber ich habe es schon auch interessant gefunden, was da in meinem Kopf passiert ist. Und wie so ein Ort aufgeladen sein kann.

  4. […] – ihr auf allen Kanälen zu folgen lohnt sich! Heute hat Anke auch einen Artikel über den Künstler Jean-Michel Folon. Sie hat die Statue gefunden, die ich am Strand vermisst habe – ein schöner […]

  5. Avatar von sinnundverstand
    sinnundverstand

    Ein Ort, der von Tod und Leid zeugt, als Ziel für gut aufgelegte Familienausflüge – ich habe mit so etwas auch meine Schwierigkeiten, wo auch immer ich dem begegne. Ich wünsche mir da auch eine andere Aufbereitung als eine, die eher der Faszination von Militärnerds huldigt. Aber was für ein Tag reich an Kontrasten! Gerade die finde ich wie Du auffällig in der Wallonie. Vielleicht weil man die Vergangenheit und die Gegenwart so gleichberechtigt nebeneinander stellt? Ich denke darüber nach …

    1. Avatar von Anke von Heyl
      Anke von Heyl

      Ja, es regt definitiv zum Nachdenken an. Waterloo ist ja nicht der einzige Ort, wo das Thema ist. Und es könnte doch auch spannend sein, wenn man das mal anders framen würde

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