Variationen der Kaffeehausthematik – Teil II


Fortsetzung von Teil 1

Grosz hat in seinen Kaffeehausszenen trotz einer durch Kinderzeichnungen und Kritzeleien an öffentlichen Pissoirs orientierten Einfachheit der Formen großen Wert auf scheinbar unwichtige Einzelheiten gelegt, die er aus seiner konzentrierten Beobachtung der Umwelt entwickelte. „Ich begann damals mit dem einfachen Skizzieren nach der Natur (…) dass heißt, ich machte mir in kleinen Taschenbüchern flüchtige Notizen über gehende Menschen, Zeitungsleser oder Esser im Café und über alle möglichen Dinge, die mich umgaben.“

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Eine weitere Kaffeehausszene hat Grosz 1915 für seine „Erste Grosz-Mappe“ geschaffen. Sie ist auf einige wenige Figuren reduziert, zeigt aber eine ähnliche Gestaltung wie das „Caféhaus“ von 1914. Der Schriftsteller Salomon Friedländer hat diese Lithographie in seinem Buch über Grosz beschrieben:

„Allons! Machen wir einen Abstecher ins Billard-Kaffee mit Grammophon: Lampen, eine Palme, „Nur für Herren“. Drei Hauptfiguren – der Kellner devot glatt, frech zusammen, Auge, Schnauze, Figur mit Mindestaufwand an Strich zart und scharf getroffen. Der verkniffene Börsenmakler, auf dessen schnuppernder Geldnase sich je ein gerissener Klemmer geschaukelt; und ein breiter, schlafender, klobig-eleganter Lümmel vorm Likörglas, Arm aufgestemmt, Hand an Ballonbacke, Hut schief im Nacken, andere Pranke unzüchtig und schwer auf dem mastigen Schenkel. Am Rand Tische; man sieht nur ein paar Hände, in denen Rauch aus Zigaretten sich ringelt. Hinten Tisch, an dem drei Kerle um eine brütende Dirne bemüht sind. Feuerzeuge auf Tischen sind nicht vergessen und das Queue träumt verlassen bei drei Kugeln. Spielt niemand? Siesta liegt im Raum, verruchte Trägheit, Fäulnis, Lüsternheit, einem Dackel hängt die Zunge närrisch aus dem Maul.“

Charakteristisch an den Kaffeehausszenen von Grosz ist das pointierte Herausarbeiten der einzelnen Details, die er in einer manchmal grotesken Weise kombiniert. Besonders auffällig ist dies in der Zeichnung „Nachtkaffeehaus“ von 1917. In der Darstellung hat Grosz das Mobiliar in seiner Zierlichkeit überzeichnet und zerbrechlich wirkende Stühle mit verschnörkelten Lehnen geschaffen, auf denen klobige, derb sich räkelnde Männer Platz genommen haben. Auch hier charakterisiert Grosz wieder verschiedene Typen und inszeniert an jedem der Tische eine eigene Handlung. Der Ober ist zu einer der Hauptfiguren geworden und im Mittelgang ist auch der Hund nicht zu übersehen. Dieses Kaffeehaus ist Treffpunkt für Stammtischrunden und Kartenspieler, aber auch ein ort, an dem Geschäfte abgewickelt werden. Hier kann man auch einen älteren Herrn vor seinem Bier beobachten. Die Szene birgt mehrere Geschichten.

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Neben Kirchner und Grosz ist Ludwig Meidner ein weiterer expressionistischer Künstler, der sich mit dem Kaffeehausmotiv beschäftigt hat. für ihn ist das Kaffeehaus eine Art „erregendes Bienenhaus“, „ein Mekka, Paradies des Lebendigen, Schauplatz für entfesseltes und gesteigertes Leben, Ort der Erleuchtung und glückhafter Begegnungen“. Vor allem in den Jahren 1913 und 1914 fertigte Meidner eine große Anzahl von Grafiken mit diesem Motiv an. 1905 kam er von Breslau nach Berlin. Er ging 1906 mit einem Stipendium nach Paris, um blad darauf wieder nach Berlin zurückzukehren. Von 1909 an sah man ihn allabendlich im „Café des Westens“. Eine seiner ersten Kaffeehausszenen ist die Tuschzeichnung des „Grand-Café Schöneberg“ aus dem Jahr 1913. Meidner hat das Interieur dieses Lokals mittels wiederholter Perspektivenverschiebung in Schwingungen versetzt die durch den bewegten Schraffurstil und die hin- und herpendelnden Lampen optisch verstärkt werden. Diese Bewegung ist der Ausdruck von Meidners persönlichem Empfinden des Kaffeehauses. Die formale Auffassung seines Stils war von der Kunst des italienischen Futurismus beeinflusst. 1912 hatte Walden in seiner „Sturm“-Galerie eine Futuristen-Ausstellung organisiert, die auch Meidner gesehen hat. Der Künstler, der mit Jakob Steinhardt und Richard Janthur die Vereinigung der „Pathetiker“ gründete, hat in all seinen Darstellungen des Kaffeehauses die subjektive Empfindung der hier herrschenden Atmosphäre unmittelbar ausgedrückt.

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In einer Grafik von 1913 stellt er sich am rechten Bildrand sitzend selbst dar. Hinter ihm, der starr aus dem Bild blickt, öffnet sich der Raum zu einer von unausgesetzter Bewegung beherrschten Szene. Man meint fast, den „Summton elektrischer Aufladungen“ zu hören, der auf die aufgeregten Menschen einwirkt und schließlich auch auf die ganze Raumarchitektur überzugreifen scheint. In der Mitte des Bildes sind zwei Gesichter in der von den Guturisten bekannten Darstellung einzelner Bewegungsschnitte wiedergegeben. Dahinter verlieren sich die Einzelheiten im Gewirr der Masse; man erkennt nur links oben eine Galerie und den explosionsartigen Widerschein einiger Lampen. Die Gesamtkomposition verbindet Menschen und Raum zu einem musterreichen Bildteppich. Eine in der Gestaltung ähnliche Kaffeehausszene aus demselben Jahr verwandelt den Raum in ein Tollhaus, das von Tierköpfen und Fratzen bevölkert ist. Hier hat Meidner jedoch das bewegte Gesamtbild zugunsten einer konkreteren Einzelform wieder etwas zurückgenommen und versucht, „die Gebärden des Spleens“ zu gestalten, die er in der Kaffeehausatmosphäre enthalten sieht. In einer dritten Szene ist das gleiche Kaffeehaus dargestellt. Sie illustriert eine heftige Diskussion von Besuchern des „Café Wolkenbruch“. Meidner hat hier die Erfahrungen der nicht enden wollenden Abende im „Café des Westens“ verarbeitet. „Caféhaus und Stammtischrunde noch in den Knochen, griff Meidner vor dem Zubettgehen so manches Mal zu Tusche und Feder, um die überhitzten Gemüter (…) in Zeichnungen festzuhalten.“ (Grochowiak)

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Diese Erlebnisse setzte er dann in die alle Gestaltung beherrschende Bewegung um. Im „Café Wolkenbruch“ geht sie vom Mittelpunkt der im Vordergrund leidenschaftlich Disputierenden aus, wird im Hintergrund von der Treppe aufgefangen und in die Höhe gerissen. Aus der Konfrontation der Figuren entsteht eine Art „Spannungswind“, der alle umliegenden Formen ergreift und durcheinander wirbelt. Meidner versucht mit seiner Formensprache die psychologische Erfahrbarkeit solcher Kaffeehausdiskussionen in Bilder umzusetzen. Seiner Auffassung vom Kaffeehaus als einem „Mekka der Lebendigen“ folgend, arbeitet er in seiner Darstellung die Wesenszüge von Bewegung und Dynamik als die wichtigsten Aspekte der Gestaltung heraus.

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Bis 1915 lebte Max Beckmann in Berlin. In den dortigen Kneipen und Kaffeehäusern hat er in dieser Zeit intensive Studien betrieben, die auch für später Darstellungen noch bestimmend waren. Aus diesen Beobachtungen entwickelte er in seinen Bildern Reflexionen zur Situation des Großstadtmenschen. In der 1920 entstandenen Radierung „Königin-Bar“ „vermittelt er den Rausch, dem die Gesellschaft des 1. Weltkrieges verfallen war, als sie danach drängt, die Schrecken der zeitgenössischen Wirklichkeit in einer Orgie von Geselligkeit und Tanz zu vergessen (…). Er war fasziniert von der Traurigkeit, die von der illusionistischen Tünche der Fröhlichkeit nur unzureichend kaschiert wurde.“ (Grochowiak)

Im Vordergrund des dichtgedrängten Raumes der „Königin-Bar“ hat Beckmann sich selbst dargestellt. Seine zu einem visionären Blick aus dem Bild weit geöffneten Augen bilden den Kontrast zur „blinden“ Brille eines Tänzers. Am linken Bildrand sitzt eine in sich zusammengesunkene Frau mit traurigem Gesichtsausdruck, der auf der rechten Seite neugierige Gestalten mit lustigen Karnevalshüten gegenüberstehen. Eine ähnliche Frau taucht auch in der Radierung „Cafémusik“ auf, die Beckmann für sein Mappenwerk „Gesichter“ geschaffen hat. Für Max Beckmann, in dessen Werk seit 1911/12 immer häufiger großstädtische Themen auftauchen, sind die im Kaffeehaus beobachteten Szenen „das durch die Sensibilität zu formende Rohmaterial“. Vor allem in seinen Grafik-Zyklen verarbeitet er städtische Motive. Beckmann hat in den Kneipen und Kaffeehäusern viele Skizzen angefertigt – meist auf irgendwelchen Fetzen Papier spontan hingeworfene Zeichnungen, die er dann später zu einem Bild erweiterte. Die Radierung „Patriotisches Lied“ geht auf eine solche Zeichnung zurück, die Beckmann auf der Rückseite eines Briefumschlages notierte.

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Die Radierung „Im Café“ von 1918 ist den Grafiken aus dem Zyklus „Gesichter“ stilistisch eng verbunden. Die um einen Tisch sitzenden Personen gehören offensichtlich zu einer Familie. Die alte Dame und die junge Frau mit dem Kind lassen sich als Porträts von Beckmanns Schwiegermutter, seiner ersten Frau und seines Sohnes Peter identifizieren, die der Künstler in dem Zyklus auch darstellte. In der vorliegenden Grafik stellt Beckmann seine persönliche Situation mit dem Familienbildnis in den Vordergrund, wobei er die Aspekte des gesellschaftlichen Lebens im Motiv des Kaffeehauses mit in die Darstellung einbezieht.

Emil Nolde ist, wie Max Beckmann, ein Künstler, der der expressionistischen Bewegung nicht eindeutig zuzurechnen ist. Als Außenseiter bezieht er vor allem im Hinblick auf die Thematik der Großstadt eine andere Position. Seine hier eher ablehnende Haltung drückt sich auch in einer Reihe von Kaffeehausszenen aus. In ihnen thematisiert er vor allem das Nachtleben und dessen Protagonistin, die Kokotte. Die Tuschezeichnung „Im Café“ von 1911 zeigt einen Mann im Abendanzug, der mit zwei Frauen an einem Tisch sitzt. Mit ihren ausladenden Hüten wirken die Frauen übermächtig groß und scheinen ihren Begleiter beinahe zu erdrücken.

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Nolde, dessen Werk nachhaltig von der Malerei Ensors beeinflusst wurde, charakterisiert die Besucher des Kaffeehauses als dämonische Wesen. Besonders deutlich ist dies in einem Gemälde, das eine Kokotte am „Weintisch“ zeigt. In forscher Selbstbewusstheit zeigt sich die grell geschminkte Prostituierte und repräsentiert einen Ort, „wo fahl wie Puder und Leichgeruch impotente Asphaltlöwen und hektische Halbweltdamen in ihren elegant verwegenen Roben saßen, getragen, wie von Königinnen.“ Das Gemälde „Nachtcafé“ führt den „Asphaltlöwen“ mit seiner „Halbweltdame“ wie zwei Figuren aus einem modernen „Inferno“ vor. Ihre Gesichter sind zu grotesken Fratzen verzogen. Trotz einer gewissen Faszination, der er sich nicht entziehen konnte, lehnte Nolde das Leben in der Großstadt als eine ihm fremde Welt ab. Seine Bilder aus diesem Milieu wirken wie Versuchen, sich malend von Dämonen zu befreien.

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Von der enthusiastischen Begeisterung eines Meidner bis zur Betonung des Mobiden bei Nolde zeigt die expressionistische Auseinandersetzung mit dem Kaffeehausmotiv die unterschiedlichsten Facetten der Motivation. In den jeweiligen einzelnen Darstellungen manifestiert sich die Beziehung des Künstlers zu den Erlebnissen der Großstadt. Inwieweit die Kaffeehausszenen das Spezifische des Großtstadtlebens und damit auch die Zeit des Expressionismus repräsentiert, soll im letzten Kapitel dieser Untersuchung eingehend besprochen werden.

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3 Antworten zu “Variationen der Kaffeehausthematik – Teil II”

  1. Hey,
    ich schreibe im Rahmen einer „Subkultur“-Veranstaltung eine Hausarbeit. Ich würd ganz gern über Kaffeehauskultur schreiben. Diese Texte sind klasse, aber kann mir jemand evtl. weiterführende Literatur empfehlen?
    Liebe Grüße

  2. Hey Caro,
    der Text über die Kaffeehäuser ist meine Magister-Arbeit, die ich 1987 geschrieben habe (ich kann es kaum glauben – so lange ist das schon her!). Damals gab es sehr wenig zu diesem Thema. Ich glaube, da ist in der Zwischenzeit ein bisschen mehr geschrieben worden. Eine Recherche in den einschlägigen Bibliotheken bringt das bestimmt zutage?
    Vielleicht liest hier aber auch jemand mit,der mehr weiß, als ich.
    Danke auf jeden Fall für das Kompliment zu meinen Texten.
    Gruß von Anke, der Kulturtussi

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