Schwierige Entscheidung


Nach langem Hin und Her ist gestern das Gemälde „Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahre 1913 bei Christie’s in New York versteigert worden. Es hat den stolzen Preis von 30 Millionen Dollar erbracht – selbstverständlich weit über dem Schätzwert! Das Gemälde gehörte einst dem jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess aus Erfurt. Der Berliner Senat hatte dieses Gemälde nun den Erben der Familie zurückgegeben. Man war der Meinung, dass es sich hier um einen klaren Fall innerhalb der Restitutionspolitik Deutschlands handelt. Da vor kurzem auch ein Picasso-Gemälde von einer Auktion zurückgezogen wurde, scheint die Diskussion um Notwendigkeiten dieser Art der Wiedergutmachung neu aufgeflammt. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die wichtige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Deutschland immer noch von einer tabubelasteten Warte aus geschieht.
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Das Kirchner-Gemälde jedenfalls befand sich ursprünglich im Besitz des Erfurter Schuhfabrikanten Alfred Hess. Hess war ein bedeutender Kunstsammler der vor allem wichtige Werke des deutschen Expressionismus sammelte: Pechstein, Heckel, Schmidt-Rottluff und Kirchner. Hess starb 1931.
Zwei Jahre später, 1933, stellte seine Familie die Sammlung in der Schweiz in der Kunsthalle Basel aus.1936 wechselten dann sieben Gemälde der Kollektion, darunter Kirchners Straßenbild, nach Köln zum Kölnischen Kunstverein. Von diesem erwarb Anfang 1937 der Frankfurter Sammler Carl Hagemann die „Straßenszene, Berlin“ für 3000 Reichsmark.
Carl Hagemann starb 1940 und aus Dankbarkeit, dass er die bei den Nazis als entartet eingestufte Sammlung in Holzkisten vor der Vernichtung rettete, übergaben die Erben die Bilder dem damaligen Städel-Direktor Ernst Holzinger.
Im Jahr 1980 verkaufte Holzingers Witwe das Bild „Straßenszene, Berlin“ von Kirchner für 1,9 Millionen Mark an das Brücke-Museum . In einer beispiellosen Unterstützungsaktion hatten damals die Berliner Museen auf ihren eigenen Ankaufsetat verzichtet. Vielleicht ist gerade aus dieser Sicht nun die Rückgabe besonders schmerzlich aufgenommen worden.
Was in diesem Falle wirklich richtig ist, scheint nicht so ganz einfach zu bewerten. Natürlich kann man aus historischer Sicht sagen, dass 3.000 Reichsmark nicht wenig Geld waren damals und wahrscheinlich auch in gewissem Maße dem Verkehrswert des Bildes entsprochen haben. Allerdings ist der Verkauf mit Sicherheit in einer Notlage abgewickelt worden. Hess war als Jude massiv unter Druck gesetzt und dass die expressionistischen Bilder zu der Zeit außerdem noch als äußerst negativ besetzte Kunst galten, dürfte ein wichtiger Aspekt in den Verhandlungen um den Verkauf gewesen sein.
Es macht einen schon stutzig, wenn man hört, wer sich nun alles in diese Rückgabe-Politik einmischt. Ein Münchener Kunstsammler erstattete gar Anzeige gegen den Berliner Senat. Hat dieser Kunstsammler rein kunstpolitische Gründe dafür? Man hört auch hin und wieder davon, dass es vor allem in den USA spezialisierte Anwälte gibt, die sich in ihrer terrierartigen Manier auf solche Zwangsverkaufsgeschichten stürzen – sie vielleicht auch ein bisschen geschichtsklittern??? Andererseits hält sich hartnäckig das Gerücht, dass unter dem Züricher Flughafen ein riesiger Bunker voller wertvollster Gemälde befindet, die dort von verfolgten Sammlern in ihrer Verzweiflung deponiert worden sind. Keiner weiß, wem die Bilder gehören, viele Nachfahren der ehemaligen Kunstbesitzer wissen noch nicht einmal davon.
Ich auf jeden Fall halte trotz allem die Restitutionspolitik der Bundesregierung für genau richtig. Es ist eine Art der Wiedergutmachung, die in Köln zumindest zu einem schönen Ende geführt hat. Dort wurde ein Gemälde von Otto Müller den Erben des ehemaligen Besitzers zurückgegeben und die Mittel der Kulturstiftung der Länder konnten dieses dann wieder für das Museum Ludwig ankaufen. So dass es also bis heute in der Sammlung Haubrich der Öffentlichkeit zugänglich ist. Das gefällt mir allemal besser, als wenn sich sofort wieder der schwindelerregende Hype bei Christie’s oder anderen Auktionshäusern in Gang gesetzt wird und möglicherweise ein reicher Sammler sich dann das Bild ins Wohnzimmer hängt, wo niemand außer ihm es betrachten kann.
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Otto Müller, Zwei weibliche Halbakte, 1919

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