Leider habe ich sie nicht ganz geschafft, die Grand Tour 2007. Wobei es mich schon besonders ärgert, dass ich nicht nach Münster gefahren bin. Oft liegt das Gute doch so nah. Und wie mir Freunde berichteten, eine schöne Ausstellung. Nach Basel zu fahren, hatte ich sowieso nicht vor. Dafür bereue ich es durchaus, nach Kassel gefahren zu sein. Bei all meinen insgesamt 5 Documenten war diese die mit Abstand enttäuschendste. Den krönenden Abschluss lieferte jedoch der Besuch der Biennale, die zugleich auch noch mit ein paar reizenden Tagen Hochzeitsreise einen fantastischen Höhepunkt des Kunstjahres geboten hat.
Die Documenta in Kassel war im September 2007 mein Ziel und ich unternahm den Versuch, meine 15jährige Tochter erneut in die Welt der Kunst einzuführen. Die Documenta 11 hatte sie auch schon besucht und sich damals eigentlich ganz tapfer geschlagen. Jetzt allerdings war sie „not amused“ um es einmal vorsichtig auszudrücken. Während wir in der Schlange zum Fridericianum anstanden sah ich übrigens einen Vater, der seine schluchzende Teenietochter mit unglücklichem Gesicht nach draußen begleitete. Ich machte mir Gedanken, ob es wohl die Ausstellung macht, dass Teenietöchter in Tränen ausbrechen? Meine war übrigens später nicht weit davon entfernt.
Wenigstens das Wetter war gut und die Versorgungsstationen mit Kaffee und Snacks waren auch recht ambitioniert.
Und auch ich wäre gerne in Tränen ausgebrochen. Beim Anblick der schlampigen Kopie von Paul Klees „Engel der Geschichte“, der einen im Treppenhausprovisorium des Fridericianums empfing. Eines der wichtigsten Werke des 20. Jahrhunderts in einer derart lapidaren Form als Auftakt der Documenta zu präsentieren, scheint mir im Nachhinein ein Synonym für die insgesamt flappsige und bisweilen unschöne Präsentation von zum Teil belanglosen Kunstwerken zu sein, die uns auf der diesjährigen Documenta begegneten. Wem ist der „Engel der Geschichte“ eigentlich überhaupt aufgefallen? Ich will gerne zugeben, dass mir die Art der Präsentation, mit der Bürgel und sein Weib diese wichtige Kunstausstellung aufstellten, teilweise den Blick für durchaus interessante Beiträge verstellt hatte.
Ich habe den Termin zur Documenta stets als eine Bereicherung meines Blicks auf die Kunst unserer Tage gesehen und den Fahrten nach Kassel neben dem beruflichen Interesse gleichzeitig auch eine private Begeisterung abgerungen. Was mir die Documenta 12 allerdings brachte, war: schlechte Laune. Ich ärgerte mich über die meisten Kunstwerke (albern, die Performance der durch Strickschnüre kriechenden Tänzerinnen, schrecklich die blutsabbernden Provokationen von Juan Davila oder als Krönung des schlechtesten Kunstwerkes überhaupt der Schwulenturm von Lukas Duwenhögger), ärgerte mich schon im Vorfeld über das populistische Gezerre um Ferran Adriá und ärgerte mich über die unambitionierten Leitfragen (Ist die Moderne unsere Antike? Was ist das bloße Leben? Was tun?).
Aloha!
Wenn man schon so tiefgestapelte Fragen stellt, dann muss man sie wenigstens mit Geisteswitz und Ernsthaftigkeit füllen, sonst funktioniert der V-Effekt nicht. Und die Sache mit der Migration der Form, die hätte man sicher auch intelligent ausführen können. Stattdessen werden in einem Raum bunte Birnchen mit bunten Strippen kombiniert und sollen dem gefälligen Betrachter wohl zeigen, wie durch die Kunstäußerungen hindurch immer wieder ähnliche ästhetische Konzepte auftauchen. Toll! Und was soll man jetzt damit? Überhaupt schienen mir das Ehepaar Bürgel/Noack die Sache nicht wirklich ernst zu nehmen. Vielleicht machten sie aber auch aus der Not eines gestressten berufstätigen Elternpaares eine Tugend und sich selbst einfach keinen zusätzlichen Stress!
Besonders frech fand ich allerdings die Erklärung zum gescheiterten Konzept des Auepavillons, wo erst medienwirksam die Industriedesigner/Architekten Lacaton/Vasall einen zusätzlichen Ausstellungsort entwarfen, der dann den kuratorischen Standards nicht entsprach und mit lichtschützenden Gardinen ausgestattet werden musste. Die neue Gemütlichkeit habe hier Einzug erhalten in die Ausstellungspräsentation, erklärte Ruth Noack! Na ja! Ehrlich!
Es gab jedoch durchaus auch Aspekte der Documenta 12, die ich positiv in Erinnerung habe. Dazu gehörte das Konzept der historischen Stühle von Ei Weiwei, der überhaupt zu einem der erinnerungswürdigsten Vertreter der diesjährigen Documenta zählte. Allerdings auch er sehr medienwirksam und bisweilen etwas effekthascherisch unterwegs. Was mir noch aufgefallen ist? Beispielsweise die oft und gern zitierte Idee mit dem Mohnfeld vor dem Fridericianum (wir haben uns ein paar Mohnsamen eingesteckt und werden später einmal unsere eigene Documenta-Kunst im Garten pflegen, erzählte mir ein befreundetes Ehepaar!). Da wurde mir doch wehmütig ums Herz, als ich sah, wie die Kunst von Sanja Ivekovic´ allerorten als genialer Coup gewertet wurde, aber keiner der in der Schlange vor dem Fridericianum die Eiche und den Basaltstein würdigte, die den Weg säumten. Wer erinnert sich schon an Joseph Beuys‘ Aktion vor 25 Jahren.
So, genug der Documenta Maulerei. Wenden wir uns der weit erfreulicheren Erfahrung zu, die ich Anfang November dann in Venedig machen durfte. Ich muss gestehen, ich habe bisweilen eine berufsbedingte Ermüdungserscheinung, was das Betrachten von Kunst angeht. Manchmal laufe ich durch Ausstellungen und fühle mich matt und uninspiriert. Alles schon gesehen, alles so belanglos. Freunde, die andere Berufe haben und voller Begeisterung Ausstellungen anschauen, die ich mit dem kritischen Kunsthistorikerblick schon wieder abgeurteilt habe, werden von mir schon auch beneidet! Umso begeisterter war ich, als mich die Präsentation in den Giardini der Biennale von Venedig mitten in das Kunsthistorikerherz traf und ich alles wirklich uneingeschränkt genossen habe, was ich dort zu sehen bekam.
Auch Isa Genzken ließ sich zu einem wunderschönen Plakat inspirieren, das die Abendstimmung von Venedig einfängt.
Möglicherweise lag es daran, dass ich zu ersten Mal den historischen Ausstellungspark betrat, den ich seit schon wirklich sehr langer Zeit einmal sehen wollte – gehört hatte ich natürlich jedes Mal von den Ausstellungen in den Länderpavillons. Sicher spielte bei meiner wirklich ausgesprochen gehobenen Laune auch die Tatsache eine Rolle, dass ich mich auf Hochzeitsreise befand und wer wird da wohl nicht gut gelaunt sein. Nachdem wir unser Ticket gelöst hatten, strebten wir als erstes dem deutschen Pavillon zu. Isa Genzkens hoch gelobte Ausstattung des deutschen Pavillons sollte der Start in die Biennale sein. Nachdem ich hier an anderer Stelle bereits über eine Beschäftigung mit der Künstlerin referiert hatte, war ich besonders gespannt.
Und schon draußen vor dem Pavillon empfing uns eine interessante Arbeit der Bildhauerin, die allerdings als solche erst nach mehrmaligem Hinsehen zu erkennen war. Erst an den akribisch genauen Aussparungen an den Seiten der Treppe merkte man, dass es sich bei dem orangenen Netz nicht um eine reelle Baustellenmarkierung handelte, sondern bereits um die erste Arbeit von Genzken. Einmal mehr sensibilisierte die Künstlerin Blickwinkel auf Materialwirkungen – auch und vor allem im Zusammenhang mit Architektur. Die Installation innen führte die Beschäftigung mit unterschiedlichen Materialien und ihren haptischen Effekten weiter. Gleichzeitig lieferte Genzken eine Gesamtkomposition, die sich mit den Anfängen der Pop-Art ebenso auseinanderzusetzen schien, wie mit den Lifestyle-Erlebnissen unserer modernen Gesellschaft (blitzte da nicht „Pirates of the Carribian“ auf und mochte man dort nicht an Harry Potter erinnert sein?) Isa Genzken ist sicher keine einfach zu erfassende Künstlerin, die mit einem Kosmos an Bezügen privater und gesamtgesellschaftlicher Natur jedoch immer wieder eines verfolgt: die Faszination von Farbe, Material und Form, die ästhetischen Grundfragen scheinen ihr stets wichtig genug, sie über alle inhaltlichen Facetten hinaus zu verfolgen.
Weiter ging es durch die Giardini und die unterschiedlichen Länderpavillons, die mit ihren unterschiedlichen Präsentationen neben dem ein oder anderen witzigen Effekt (wir waren begeistert von den Arbeiten des Koreaners Hyung-Koo Lee, der wirklich perfekt die Skelette von Comic-Figuren nachbaute) zu unterhalten wussten. Besonders intensiv beschäftigten wir uns mit der Französin Sophie Calle, die unter dem Motto „Passen Sie auf sich auf“ eine äußerst spannende Präsentation lieferte. Die Auseinandersetzung mit einer durchaus privaten E-Mail, in der ihr Freund mit ihr Schluss macht, bildet den Ausgangspunkt für Interpretationen der unterschiedlichsten Art. Die E-Mail wird analysiert, nachgesprochen, nachgesungen, getanzt und verfilmt. Berühmte und weniger berühmte Frauen interpretieren die E-Mail und so setzt sich ein riesiges Puzzle zwischenmenschlicher Mechanismen zu einem grandiosen Gesamtkunstwerk zusammen.
Rechts tanzte eine Tempeltänzerin den Brief!
Ich hätte mich stundenlang im französischen Pavillon aufhalten können, doch es gab noch mehr zu sehen. Zarte und gleichzeitig verstörende Zeichnungen bzw. Abdrücke der Skandalkünstlerin Tracey Emin.
Oder der kanadische Pavillon, der wie ein Jahrmarktpanoptikum daher kam. Merkwürdige Erkenntnis, wenn man einzelne Objekte Isa Genzkens, die Verwesungsthematik David Altmejd oder gar die Darstellung der letzten Tage ihrer Mutter nimmt, die Sophie Calle in der Ausstellung im Arsenale zeigt: das Thema Tod scheint sich wie ein roter Faden durch die Biennale-Kunstwerke zu ziehen (gruselig drängt sich einem der Ton der Video-Installation von Yang Zhenzhong ins Ohr: „Ich werde sterben“). Zufall oder eine Inspiration durch den morbiden Charme der Serenissima? Oder war es doch der Titel der diesjährigen Biennale, der für solche Themen sensibilisierte? Think with Senses – Feel with the Mind. Aber es gibt auch Künstler, die tapfer gegen die Endzeitmelancholie anzugehen versuchen.
Hier amüsiert man sich an verschiedenen Stellen über die sarkastischen Kritzeleien des Rumänen Dan Perjovschi. Grundsätzlich hielt die Begeisterung, die mich beim Schlendern durch die Giardini erfasste nicht bis zum nächsten Tag. Vieles, was ich in den Ausstellungen des Arsenale gesehen habe, fand ich dann doch wieder beliebig, zu oft gesehen, zu sehr das ewig Gleiche (besonders die Auseinandersetzung mit den Krisengebieten dieser Welt scheint selten über ein dokumentarisches Aufzählen trauriger Fakten hinaus zu gelangen).
Kulturtussi vor Richter
Sicher, die Begegnung mit Altbekannten (Polke, Richter, Kippenberger) ist so mitten in Venedig und in Ferienstimmung ganz nett gewesen. Aber wirklich inspirierend wirkte es nicht nach. Zwei Gesamtinstallationen der Arsenale-Präsentationen fand ich hingegen ganz interessant: zum einen die Volksboutique der Amerikanerin Christine Hill, die sich bereits auf der Documenta 1997 mit dieser narrativen Installation gezeigt hatte, die so ganz dem Charme des Nachkriegsdeutschlands verschrieben zu sein scheint. Bisschen erinnerte mich die Installation an das Musical „Sekretärinnen“. Ob das ein Qualitätsmerkmal für die Kunst ist? Eher nicht, oder? Aber mir gefiel diese poppige Installation inmitten der rohen Hallen des Arsenale.
Die andere Präsentation, die wie keine andere die Magie des Ortes bediente, war insgesamt der chinesische Pavillon, der in einer ausgedienten Benzintank-Anlage eine surrealistische Präsentation durch die Luft fliegender Pulloverpfeile darbot. In kleinen Kojen, die zwischen den stinkenden Tanks Platz für weitere Kunst boten, irritierten verschiedene Videopräsentationen. Insgesamt ein nicht besonders zugängliches aber dennoch beeindruckendes Environment, das die Chinesen als nicht uninteressante Player im globalen Kunstzirkus auswies.
Also, was nehme ich aus dem Kunstjahr 2007 mit? Zum einen, dass ich leider verpasst habe, die kongeniale Möglichkeit der Grand Tour zu nutzen, die man so in dieser Form erst wieder in zehn Jahren erleben kann. Zum anderen, dass es sich auf jeden Fall lohnt, die diversen Großereignisse zu besuchen – schon allein, damit man die vergangenen mit den kommenden Ausstellungen vergleichen kann. Und ganz sicher das: ich werde in zwei Jahren bestimmt nach Venedig fahren. Einmal um die nächste Biennale zu begutachten. Aber auch, weil die Stadt einfach wunderschön ist und ich mir keinen romantischeren Ort vorstellen kann als Venedig im Spätherbst/Winter. In diesem Sinne wünsche ich all meinen Lesern einen guten Rutsch und jede Menge schöner Erlebnisse, romantischer oder kultureller Natur (wobei ich tatsächlich erstere favorisieren würde …) im Jahre 2008!
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