Rache. Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt


Als die Einladung vom Jüdischen Museum Frankfurt zu einem Community-Abend kam, war meine Neugier schon ziemlich groß. Denn das Thema der Ausstellung könnte emotionaler nicht sein. Es geht um nichts weniger als um die Kulturgeschichte jüdischer Rache. Unter anderem auch um Racheakte von Juden an Nationalsozialisten. Ein mutiger Wurf, sich diesem Thema zu nähern und ich fand die Ausstellung grandios. Sie regt sehr zum Nachdenken an und in mir arbeitet es seitdem. Meine Einstellung verbietet mir eigentlich, Rache als gute Lösung anzusehen. Ich verbinde sie mit Gewalt, die ich grundsätzlich ablehne. Aber ich kann die Argumentation im Sinne einer Herstellung von Gerechtigkeit absolut nachvollziehen. Und fühle mich solidarisch bei Aktionen wider die Ohnmacht bei erlittenem Unrecht. Auf jeden Fall finde ich es richtig, auch hier seine eigenen Positionen immer zu hinterfragen. Tatsächlich ist dies die erste Museums-Ausstellung überhaupt, die sich mit diesem doch sehr ambivalenten Thema Rache beschäftigt. Gerade in der heutigen Zeit scheint sie genau zum richtigen Zeitpunkt zu kommen. Der Lyriker und Publizist Max Czollek war Ideengeber für die vom Jüdischen Museum Frankfurt großartig umgesetzte Schau, aus der ich einige Eindrücke hier aufgeschrieben habe.

Rache „evoziert Gefühle, Assoziationen und Erinnerungen, Rachehandlungen folgen einer Logik von Gerechtigkeit, die außerhalb der heute geltenden Rechtsordnung liegt. Das war nicht immer so. In der Antike galt gemeinhin das Rechtsprinzip, dass Gleiches mit Gleichem zu vergelten sei. Dieses Prinzip liegt auch der Wendung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ in der der Tora zugrunde. Sie beinhaltet die Aufforderungen, Schadensersatz zu zahlen.“ So heißt es im Begleitflyer zur Ausstellung und ich denke, dieser Blick in die Historie des Begriffes ist wichtig. Mit einer eher abstrakten Perspektive auf die Kulturgeschichte nähert man sich einer Bewertung von Rache an. In der Ausstellung wird anhand einzelner Exponate der Bogen zu kulturgeschichtlich bedeutsamen Rache-Erzählungen geschlagen.

Da spielt zum Beispiel die Figur der Judith eine zentrale Rolle. Wir kennen Darstellungen in der Kunstgeschichte, die sie bei der Enthauptung des Angreifers Holofernes zeigen (immer wieder atemberaubend ist Artemisia Gentileschis Bild!!!). In der Frankfurter Ausstellung sieht man Judith als „Krönung“ eines siebenarmigen Leuchters triumphierend mit dem Haupt als Trophäe – es wird klar, welche Bedeutung diesem Befreiungsakt Judiths in der jüdischen Kultur zukommt. Geniale Vermittlungsidee übrigens, in der Ausstellung Gespräche zwischen Direktorin und Kurator einzubauen, die Anregungen für eigene Gedanken sein können.

Kurator „Wir wollten auch deshalb auf die Geschichte eingehen, weil sie so ein starkes Bild für eine unter anderem weibliche Rache ist. „

Direktorin: “ In dieser Ausstellung überwiegen allerdings männliche Rachehandlungen und männliche Rachefantasien.“

Ein besonders spannendes Bild ergänzt in Frankfurt die Judith-Darstellungen. Mit Kehinde Wileys Neu-Interpretation wird das Thema Wut, Rache und Selbstermächtigung noch einmal auf eine andere Ebene gebracht. Wir sehen nämlich eine schwarze Frau, die lebensgroß vor einem floralen Hintergrund stehend den abgetrennten Kopf einer weißen Frau präsentiert. Wiley, der als Porträtist von Barack Obama berühmt wurde, hat sich der Judith-Ikonographie angenommen und eine Serie von eigenen Interpretationen mit schwarzen Protagonistinnen gemalt. Und schon ist man drin in einem emotionalen Strudel, der auch die eigenen Maßstäbe ins Wanken bringt.

Überhaupt ging es mir an vielen Stellen in der Ausstellung so, dass ich zunächst interessiert die vielen für mich neuen Hintergründe und Erzählungen aufgenommen habe, diese aber beim tieferen Eintauchen schnell eine besondere Berührtheit bei mir auslösten. Zum Beispiel erfuhr ich, dass viele Superhelden aus dem Marvel-Universum von jüdischen Immigranten ersonnen wurden. Auch Figuren wie Adams erste Frau Lilith oder der mächtige Golem sind in ihren populärkulturellen Übersetzungen in der Ausstellung thematisiert worden. Solche anschlussfähigen Verbindungen – zum Beispiel auch zum Computerspiel oder zum Film – sind die große Stärke dieser Ausstellung. Ikonisch und wegweisend ist gleich das erste Exponat: Der Baseballschläger des Bear Jew aus Inglourious Basterds von Tarantino.

Museumsdirektorin Mirjam Menzel und Ausstellungskurator Max Czollek
während des Rundgangs im Raum mit dem Baseballschläger aus Inglourious Basterds

Die Ausstellung widmet sich den Gefühlen und Rachefantasien, die eine jahrhundertelange Gewalterfahrung der Juden erzeugt haben. Die Aussage ist klar: man will nicht die Opferrolle thematisieren, sondern auch Handlungen starker Selbstermächtigung zeigen. Diese Vorstellung von Rache als Herstellung von Gerechtigkeit kommt im Kontext der Schoa eine besondere Rolle zu. In der Ausstellung lerne ich die Kosher Nostra kennen, eine mafiaähnliche Organisation, die in Amerika gegen nationalsozialistische Bewegungen antrat. Auch von vagabundierenden Betteljuden und Piraten wird hier erzählt. Wir erfahren von den Racheakten unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Mit der Organisation Nakam, deren Kopf der jüdisch-litauische Schriftsteller Abba Kovner war, wurden damals ganz konkrete Anschläge geplant und teilweise auch umgesetzt.

Am Ende der Ausstellung stehen wir vor Zeugnissen der ermordeten Jüdinnen und Juden und die Frage nach der bis heute ausbleibenden Gerechtigkeit für dieses Leid bleibt schwer auf uns lastend im Raum hängen. Auch hier hat mich die durchgängig gut gemachte Ausstellungs-Szenographie gepackt. Auf großen Ausdrucken hängen diese letzten Worte an der Wand. Es gibt aber auch Original-Schriftstücke wie den Abschiedsbrief von Salomea Ochs aus dem Jahr 1943, in dem sie schreibt: „wenn ihr könnt, nehmt Rache“! (siehe Beitragsbild)

Zur Ausstellung gibt es ein großartiges Programm und viele digitale Vermittlungsformate. Zum Beispiel ein hörenswerter Podcast, der einzelne Themen der Ausstellung durchgeht. Die Playlist auf Spotify ist grandios. Zudem ist ein Artist in Residence Programm geplant. Auch für Details wie Rache-Kulinaria bin ich sofort zu haben.

Alles zusammengenommen ein wirkliches Ausstellungshighlight, das einen definitiv nach dem Museumsbesuch verändert wieder entlässt. Geht hin!


TRANSPARENZ

Ich bedanke mich ganz herzlich beim Jüdischen Museum Frankfurt für die Einladung zur Ausstellungsbesichtigung und die Übernahme meiner Reisekosten.

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