Der Kunsthallensommer beschäftigt mich weiterhin! In dieser Woche heißt es dort: Paris! Paris! Spontan dachte ich, dass mein Forschungsinteresse am Kaffeehaus prima zu diesem Motto passen könnte. Denn bereits in meiner Magister-Arbeit habe ich mich mit den Pariser Cafés intensiver beschäftigt. (Das liegt so ewig zurück. Aber ich bin ganz beglückt, dass dieses Thema immer wieder in mein Bewusstsein zurückkehrt.)
Die Impressionisten sind die ersten Künstler, die sich des Cafés annehmen und es als eigenständiges Bildmotiv etablieren. Mit ihrer Kunst fangen sie die Atmosphäre des Augenblicks dort ein. Das Kaffeehaus ist ein ganz spezieller Erlebnisraum in der modernen Großstadt. Und im Paris des 19. Jahrhunderts lassen sich hier spannende Knotenpunkte der Kunstgeschichte identifizieren. Cafés spielt eine gewichtige Rolle bei der Entstehung des Impressionismus. Ohne die zahlreichen Diskussionen und hitzigen Gespräche über Kunst, die in den entsprechenden Stammcafés geführt wurden, wären die Künstler sicher nicht so entschieden im Sinne einer neuen Kunst vorgegangen. Auf ins Kaffeehaus. Auf nach Paris!
Das Kaffeehaus-Motiv
Die Tradition der Wirtshausszenen erlebte im späten 19. Jahrhundert eine Renaissance, die jedoch bald gegenüber moderneren Themen zurückfiel. Im Zusammenhang illustrierter Reiseberichte des 18. Jahrhunderts tauchten erstmals Kaffeehausdarstellungen als Schilderungen berühmter Örtlichkeiten auf. In der Malerei des Realismus kam das Motiv des Kaffeehauses als Milieustudie auf. Beispiele hierfür sind Courbets „Brasserie Andler“ oder die Karikaturen Honoré Daumiers aus dem Pariser Leben.
Diese Darstellungen sind jedoch nicht in erster Linie am Motiv des Kaffeehauses interessiert, sondern wählen es hier nur willkürlich als beliebigen Ort. Eine Bildwürdigkeit des Kaffeehauses entwickelte sich in den späten 60er Jahre des 19. Jahrhunderts. Dies hängt nicht nur mit einem Wandel der künstlerischen Auffassung zusammen, sondern vor allem mit einer veränderten sozialen Situation, in der sich die seit dem späten 17. Jahrhundert in Paris existierenden Kaffeehäuser als kultureller und gesellschaftlicher Mittelpunkt herausgebildet hatten. Das Kaffeehaus war ein Aspekt jener Form von Großstadt, in der die technischen Errungenschaften Einfluss auf das gesellschaftliche Leben nahmen. Die Folgen der industriellen Revolution waren weitreichend.
Künstler-Cafés
So entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderst vor allem in der französischen Malerei zahlreiche Kaffeehausszenen. Natürlich spiegelte sich dort auch das eigene Nutzungsverhalten wider. In einer Zeichnung hält Eduard Manet die spezifische Atmosphäre eines Künstlercafés fest. So stellt er das Interieur des „Café Guerbois“ dar, in dem er seit 1866 verkehrte und einen Kreis Geleichgesinnter um sich scharte. Das in der Avenue de Clichy Nr. 9 gelegene Kaffeehaus war ihr Stammlokal, zu dem außer Manet auch Degas, Renoir, Pissarro, Sisley und der Schriftsteller Zola gehörten. Monet, der sonst das gesellschaftliche Leben in Paris nicht besonders schätzte, stieß hin und wieder zu der Runde.
„Über ihren Getränken begannen sie eine lebhafte Diskussion. (…) sie ließen sich in aller Ausführlichkeit über die der Vergangenheit verpflichtete Jury des Salons aus und wie man es wohl bewerkstelligen könne, von ihr akzeptiert zu werden (…). Einer schlug vor, das Beaux-Arts-Gebäude während einer Vollversammlung der Akademie in die Luft zu sprengen. Ein anderer mutmaßte, dass man den Louvre abbrennen müsse. (…) Es wurde viel gelacht.“ In ihrem Buch zum Impressionismus zitiert Martina Padberg eine fiktive Szene aus Irving Stones Roman „Die Tiefen des Ruhms“, die schön beschreibt, wie es bei der Künstlergruppe im Café hätte zugehen können. Ohne diesen freien Raum, den sie für ihre Auseinandersetzungen brauchten, wäre die Entwicklung einer neuen Kunst gar nicht vorstellbar gewesen. Für die erste Ausstellung bemühte man dann die Räume eines Fotografen. Es hätte aber vielleicht auch ein Café sein können!
Café-Concert
Das Kaffeehaus ist auch eines der bekanntesten städtischen Sujets bei Degas. In seiner Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex der modernen Gesellschaft beschäftigte er sich besonders mit der Form der „café-concerts“. Das kam seinem ausgeprägten Interesse am Bühnengeschehen entgegen. Ein außergewöhnliches Beispiel ist dieser japanische Fächer, den er 1880 mit einer „Sängerin in einem Pariser Gartencafé“ bemalte. Er stammt aus der Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe.
Die Idee, Fächer zu bemalen kam Degas infolge der damals weit verbreiteten Japan-Begeisterung, die in den sogenannten Japonismus überschwappte. Solche Fächer waren damals der letzte Schrei in der Pariser Gesellschaft. Und wenn sie bemalt waren, wurden sie begehrte Sammelobjekte.
Die café-concerts zogen die Menschen an, die Spaß an derben Späßen und exzentrischen Tanzdarbietungen hatten. Sie fanden zumeist in Gartenlokalen statt. Degas stellt hier vermutlich die Tänzerin Emilie Bécat dar. Die war für ihren „style epileptique“ bekannt, den sie im Café des Ambassadeurs vorzuführen pflegte. Wie Degas es hier versteht, den exklusiven Blick des Betrachters einzufangen, ist meisterhaft. Am rechten Bildrand sehen wir die Bécat, wie sie den Zipfel ihres Kleides schwingt – umrahmt von den typischen Gartenlaternen des Cafés. Nach links hin verliert sich der Blick im Gartengrün, das Degas in einer fantastischen Nass-in-Nass-Technik abstrakt wiedergibt. Das lässt den Einfluss japanischer Malerei erahnen, die der Künstler intensiv studiert hatte.
Ein berühmtes Bild von Degas aus dem Musée d’Orsay zeigt Absinth-Trinker im Café de la Nouvelle Athènes . Er malte es 1875/76 nach Skizzen, die er im Lokal anfertigte. Als Protagonisten fungieren hier die Schauspielerin Ellen Andrée und der Maler und Drucker Marcellin Desboutin. Eine Sozialstudie par excellence, die damals natürlich als schockierend empfunden wurde. Absinth, das Teufelszeug, das blind und wahnsinnig machen soll und der leere Blick der Trinkerin. Derart ungeschönte Motive waren neue für die Kunst.
Auch Zola ließ sich von diesem Bild anregen, in seinem „Totschläger“ einen kleinen Abschnitt über den Absinth zu schreiben. In der Gestalt des tagträumenden Mädchens mit dem selbstvergessenen Lächeln könnte eine Reminiszenz an die Romanheldin Gervaise (Nanas Mutter) enthalten sein. Das Kaffeehaus ist Schauplatz zufälliger Begegnungen in der Großstadt. Degas gestaltet die optischen Reize und stellt die malerischen Qualitäten des Sujets in den Vordergrund.
Paris’ – die Metropole des Jahrhunderts – lieferte unablässig neue Inspirationen, denen sich die Impressionisten nicht entziehen konnten. Die Pariser Kaffeehausszenen nehmen einen breiten Raum in ihrer Malerei ein. Zählt man noch die Kompositionen der sonstigen „Vergnügungsstätten“ hinzu, dann erhalten wir ein adäquates Erscheinungsbild der bürgerlichen Gesellschaft des „fin de siècle“. Dies ist für mich untrennbar mit dem Bild vom Paris jener Jahre verbunden.
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