Aus aktuellem Anlass kommen wir nun zu etwas völlig anderem. Nämlich zum Kriegsende. Also, dem Ende des Krieges in Deutschland. Erinnert ihr euch? Natürlich nicht. Denn, wie ich, wart ihr wahrscheinlich noch nicht geboren. Aber es geht einem trotzdem nahe, oder? Ich erinnere mich an die Geschichten, die meine Großeltern erzählten. Auch meine Eltern erlebten das Kriegsende als Kinder. Meine Großeltern leben nicht mehr, mein Vater auch schon nicht mehr. Das wird mir immer dann besonders schmerzlich bewusst, wenn ich etwas fragen will, was mit damals zu tun hat. Gleichzeitig denke ich viel über die Situation der vielen Kriegsflüchtlinge nach, die bei uns ankommen. Es gibt also Gründe genug, über das Kriegsende vor 70 Jahren nachzudenken. Gestern nahm ich an einem wunderbaren Tweetup teil, der vom Haus der Geschichte organisiert wurde. Ich möchte euch gerne davon erzählen. Und dazu gibt es noch einen parallelen Erzählstrang!
Wie schnell passiert es, dass etwas aus unserem Aufmerksamkeits-Radar verschwindet? Ihr werdet mir doch alle zustimmen, dass das heute noch um ein Vielfaches schneller geht, wo wir ständig verfolgen müssen, welcher Hashtag gerade aktuell ist. Auch wenn ich mich zu den Menschen zähle, die des Multitaskings fähig sind: manchmal ist mir alles zu viel. Dann rutschen mir Themen durch, zu denen ich gar keinen persönlichen Verbindungspfad herstellen kann.
Aber wenn mir diese Verbindung geboten wird, dann bleibe ich dabei. Mag sein, dass andere Typen eher durch Zahlen oder rationale oder gar intellektuelle Gedankenspiele angeregt werden. Ich brauche es persönlich. Und am liebsten emotional. Und so habe ich gestern einige wundervolle Impulse erhalten, das Thema Kriegsende wieder in mein Bewusstsein zu holen. Heute morgen habe ich dann direkt die Serie im Kölner Stadtanzeiger ganz anders gelesen, bei der „Kriegskinder“ zu Wort kommen (Link habe ich leider trotz intensiver Suche nicht gefunden).
Digital Past
Dieses formidable Projekt ist mir schon oft aufgefallen. Mit Tweets in Echtzeit ermöglichen die Macher eine Zeitreise und ein individuelles Nacherleben zum Teil dramatischer bis drastischer Situtaionen in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Aktuell twittern sie die letzten zwei Monate des Krieges, dessen Ende wir mit dem 8. Mai nun zum 70 Mal feiern können. Die Tweets werden aus persönlicher Sicht unterschiedlicher Protagonisten verfasst. Ein beeindruckender Ansatz, hinter dem nicht nur eine Menge Recherchearbeit steckt, sondern auch eine – wie ich meine – besondere Einstellung zur Geschichtsvermittlung.
Aktuell sind es fünf Historikerinnen und Historiker, die das Projekt betreiben. Charlotte Jahnz und Moritz Hoffmann haben gestern im Haus der Geschichte ihr Buch vorgestellt, das aus dem Kriegsende-Projekt entstanden ist. Ein Buch, das eine breite Kontextualisierung ermöglichte. Das aber vor allem auch entstanden ist, weil sich das Social Media Projekt nicht monetarisieren ließ. Die schlechte Nachricht: Leider liegt es immer noch in weiter Ferne, mit Blogs im Kulturbereich Geld zu verdienen. (Nein, ich verkneife mir jetzt einen kulturpessimistischen Seitenhieb auf andere Branchen). Die gute Nachricht ist aber, dass man eine unglaubliche Reichweite erzielen kann mit dieser Art der Geschichtsvermittlung. Und zwar außerhalb der Filterblase. Mit fast 12.000 Followern ist der Twitter-Kanal @digitalpast wirklich äußerst erfolgreich unterwegs.
Die Tweets kommen wie eine zeitliche Taktung daher. In sich schon mit einer gewissen Dramaturgie. Ich fand es spannend, zu erfahren, dass zeitweise bis zu 8 Tweets pro Minute rausgehen. Da ensteht dann auch eine Art dramatisches Stakkato. Fast meint man, einen menschlichen Herzschlag dahinter zu vernehmen. Hier zeigt sich aus meiner Sicht die besondere Qualität von Twitter. Und wehe, mir kommt noch mal einer mit Banalisierung! Ich bastele mir noch mal einen Klopstock, mit dem ich dann auf die Finger haue! Meine vollste Bewunderung gilt der Ausdauer, mit dem die Projektbeteiligten dranbleiben. Ich hoffe, die Interaktion mit allen Followern, das wirklich große Interesse, das auch gestern beim Tweetup deutlich wurde, beflügelt euch weiterhin!
Haus der Geschichte
Ich habe mir vorgenommen, wiederzukommen. Ich mag dieses haptische Gefühl, das ich bei der Inszenierung der Sammlung bekomme. Die vielen kleinen Details, die einen immer wieder mit Einzelschicksalen verbinden und die emotionale Momente hervorrufen. Ich bin keine Expertin für Geschichtsvermittlung. Aber mir scheint das Konzept des Hauses gut. Die einzelnen Themen können schon mal wie eine Film-Kulisse wirken. Aber ich bin überzeugt, dass dies unseren heutigen Sehgewohnheiten entgegenkommt.
Vom Objekt zur Story
Und jetzt kommen wir zur eingangs schon erwähnten Nebengeschichte. Denn es ergab sich folgender Dialog über Twitter
Die kölsch-katholische Seele ist ja etwas ganz besonderes. Und eine der bekanntesten Nachkriegs-Anekdoten kam mir beim Anblick des Rucksacks in der Ausstellung in den Sinn. Michael hat gar nicht sooo weit daneben gelegen mit dem Vergleich zum Hamstern. Aber das Fringsen war natürlich etwas Besonderes. Es hat etwas mit dem bei den Kölnern äußerst beliebten Kardinal Frings (die Kölner pflegen sonst ein eher distanziertes Verhältnis zu ihrem Erzbischof) zzu tun. Der hat nämlich den Kölnern in der Neujahrsnacht ’46 eine berührende Predigt im Kölner Dom gehalten. Und ihnen in diesem entbehrungsreichen und eiskalten Winter eine Absolution erteilt. Denn der Kathole an sich quälte sich, weil er aus purer Not schon mal das ein oder andere klauen musste. Lebensmittel. Und auch die Kohlenstücke, die man von den langsam fahrenden Zügen stahl. Klauen ist Sünde. Und dieser den Menschen zugewandte oberste Hirte der Stadt sprach die Kölner von dieser Sünde frei. Sie durften sich das nehmen, was sie zum Überleben (!) brauchten!
„Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“ Die Predigt wurde nicht im Kölner Dom gehalten, sondern in einem der modernsten Kirchenbauten der Stadt. St. Engelbert, ein aufregendes Architekturstück von Domenikus Böhm. Das Volk war erleichtert, Mundraub ging also in Ordnung. Der Kardinal gewann noch mehr Sympathie bei den Kölnern und so entstand das Wort „fringsen“. Wahrscheinlich direkt wieder vergessen haben wohl die meisten den Nachsatz, den der Kardinal wohlweislich noch einflocht: „Aber ich glaube, dass in vielen Fällen weit darüber hinausgegangen worden ist. Und da gibt es nur einen Weg: unverzüglich unrechtes Gut zurückgeben, sonst gibt es keine Verzeihung bei Gott.“ Jo doch, schon jut! Es waren eben harte Zeiten.
Einmal im Thema, finden ich immer neue Anregungen. Julian machte mich auf einen fantastischen Film aufmerksam. Schaut mal rein. Es wird einem ein Einblick in die unmittelbare Nachkriegssitutation in Berlin geboten. Tolle Bilder in HD Qualität. Und einfach so, ohne Kommentar. Man sieht in die Gesichter, entdeckt die Trümmerfrau, die die Zunge rausstreckt oder den Beau auf dem Fahrrad, der lässig an der Zigarette zieht. Und ist den Menschen so nah. Die Bilder von der Wucht Zerstörung gehen einem direkt ins Herz.
Sensationelles Filmmaterial! Berlin nach der Apokalypse in Farbe und HD from Konstantin von zur Mühlen on Vimeo.
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