Käthe Kollwitz kennenlernen


Eigentlich dachte ich ja, ich kenne Käthe Kollwitz recht gut. Seit vielen Jahren pflege ich engen Kontakt zum wunderbaren Käthe Kollwitz Museum in Köln. 2006 hab ich dort sogar einen Kinderführer veröffentlicht. Als ich hörte, dass Sonya und Yuri Winterberg nicht nur eine neue Biografie der Kollwitz verfasst haben, sondern auch eine Sonderausstellung im Museum einrichten würden, war ich super gespannt. Und freute mich sehr darauf, Sonya persönlich kennenzulernen, mit der ich seit einiger Zeit auch auf Twitter verbandelt bin. Was soll ich euch sagen: die Ausstellung lege ich euch Kölnern sehr ans Herz. „Wie war mein Leben stark in Leidenschaft“. Käthe Kollwitz in Photographien und Selbstzeugnissen ist noch bis zum 28. Juni zu sehen. Warum ihr auch unbedingt die Biografie lesen müsst, das beschreibe ich euch hier.

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Yury und Sonya Winterberg mit Hannelore Fischer bei der Pressekonferenz zur Ausstellung.

Eine Menge Überraschungen

Seit 2010 recherchieren wir die Lebensgeschichte von Käthe Kollwitz; wir sind auf viele unbekannte Details gestoßen, haben Korrespondenzen in Archiven im In- und Ausland entdeckt, die dort gehütet, aber seit Jahrzehnten nicht mehr gelesen wurden.“ Dass sie dabei auf das früheste Selbstbildnis der Kollwitz stoßen würden, damit hatten die Winterbergs sicher nicht gerechnet. Was für eine tolle Belohnung ihrer Arbeit!

Doch das Verdienst der beiden Journalisten liegt für mich auf einer ganz anderen Ebene. Käthe Kollwitz. Wer war diese Frau, die um 1900 zu einer der ersten ernst zu nehmenden Künstlerinnen Deutschlands aufstieg? Ihre Kunst kenne ich gut. Dank Yury und Sonya habe ich Käthe jetzt noch näher kennengelernt. Ich erfuhr von ihrer unbändigen Lebenslust und von sehr intimen Dingen wie zum Beispiel ihrer Bisexualität. Zwei Aspekte, die niemand hinter den oft „schweren“ Themen ihrer Kunst vermuten wird. Nicht alles stand in ihrem Tagebuch. Da hat sie emotional schwierige Dinge oft nicht thematisiert. Und ihre Autobiographie ist bewusst für die Auswertung hinsichtlich ihrer Kunst geschrieben worden. So ist es die Leistung der Winterbergs, ein Gesamtbild aus vielen unterschiedlichen Quellen erschaffen zu haben.

Dass es da nicht nur um Anekdotisches geht, sondern auch um neue Bewertungen ihrer künstlerischen Ambitionen, verdeutlicht diese Stelle in der Biografie:

Die traditionelle Kollwitz-Biografik sieht in den Erlebnissen Käthes als Arztgattin den frühesten Anstoß zur sozial engagierten Kunst. Wir glauben, das Gegenteil ist richtig: Erst durch den Anstoß der Hauptmann-Aufführung sah sie die vom Leben gezeichneten Gestalten, die im Flur der Wohnung auf die Arzkonsultation warteten, in einem anderen Licht.

Eine Erkenntnis, die aus der Lektüre zahlreicher Briefe und anderer Zeugnisse von Zeitgenossen entstammt und Käthes Rezeption der „Weber“ nachvollziehbar einordnet. Die Recherchen in vielen Archiven waren anscheinend unglaublich ergiebig. An anderer Stelle identifizieren die Winterbergs zum Beispiel die Häuserzeile auf dem Blatt „Die Carmagnole“ als eine Gasse im Hamburger Gängeviertel. Im Anhang zur Biografie findet sich eine lange Liste der unterschiedlichen Quellen – ein schöner Einblick in die Arbeitsphase der beiden.

Wie Dokumentation das Herz berührt

Es breiten sich auf 379 Seiten ingesamt 78 Lebensjahre aus. Von der Jahrtausendwende über zwei Weltkriege enthalten sie fast zu viel Erlebtes, als dass man es mit einem Mal erfassen könnte. Ich bin immer sofort ausgestiegen, wenn es in Biografien zu sehr ums Aufzählen und weniger um das Erzählen geht. Die Kollwitz-Biografie mochte ich aber kaum aus den Händen legen, so sehr hat mich das berührt, was ich zu lesen bekam. Vielleicht liegt es daran, dass die Winterbergs auch erfahrene Drehbuchschreiber sind. Mir hat auf jeden Fall die „Inszenierung“ der Biografie außerordentlich gut gefallen. Richtig spannend ist die Idee der Einschübe, die immer wieder die späten Jahre der Kollwitz als eine Art Rückschau auf das gelebte Leben einblenden. Die klassische „Rückblende“, die einen ganz nah an die Person heranträgt, um die es hier geht. Fast scheint es so, als blicke man aus ihrer Perspektive auf die Biografie.

Und so eingestimmt folgt man den Schilderungen einer unbeschwerten Jugend in der Kindertraumstadt Königsberg. Sieht sie auf den Maskenbällen der künstlerischen Avantgarde wild und hemmungslos tanzen. Sieht sie Ehefrau und Mutter werden. Und erlebt ihren ersten Ruhm in Berlin. Dann stockt einem der Atem.

Der letzte Eintrag im Tagebuch der Kollwitz liegt Wochen zurück. Da schrieb sie noch: „Was für gute Ausdrücke das sind: jemandem einen Menschen oder eine Sache auf die Seele binden, und: einem etwas ans Herz legen.“ Jetzt folgt nur der lakonische Eintrag: „August 1914/Krieg“. Der Rest des Blattes bleibt leer. Drei Jahrzehnte braucht sie, um am Ende ihres Lebens 1943 in einer autobiografischen Schrift zu ergänzen: „Die Welt stürzte für mich zusammen.

Selbstzeugnisse, genaue Durchsicht der Original-Quellen und ein feines Gespür für die Zusammenstellung der einzelnen Fakten. Das macht die besondere Qualität dieser Kollwitz-Biografie aus. Dazu kommt ein Sprachstil, der den Leser klug und emotional wohl dosiert an die Hand nimmt und durch dieses faszinierende Künstlerleben zu führen versteht.

#TwitterInterview

Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass Twitter ein famoses Netzwerk für Kulturvermittlung sein kann! Dort ist Sonya Winterberg als @experimentdays zu finden. Und da wir uns schon seit einiger Zeit folgen, drängte sich eine Idee auf. Warum nicht einfach ein Interview auf Twitter miteinander führen!? Was dabei herausgekommen ist, könnt ihr hier lesen.

 

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