Letzte Woche eröffnete im Museum Ludwig die „Joan Mitchell Retrospective. Her Life and Paintings“ und ich war schon zweimal dort! Die Ausstellung bietet so viel Material, sich mit einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Ja, ich benutze hier bewusst den generischen Begriff „Künstler“. Denn irgendwie geht es auch darum, welche Rolle Frauen in der Kunst spielen. Dass sie ihren Platz nicht einfach so zugewiesen bekommen, sondern ihn mit viel Energie „erkämpfen“ müssen. Dafür ist auch Joan Mitchell ein Beispiel. Die Ausstellung, die sich bewusst auch dem Leben der Künstlerin zuwendet, wartet mit einigem Archivmaterial auf und zeigt neben einem interessanten Interview auch einen sehenswerten Film über sie. Da Mitchell in keinem deutschen Museum vertreten ist, sollte man die Chance einer Begegnung mit ihr nicht verpassen! Ich kann nur sagen: ihre Bilder sind das reinste sinnliche Vergnügen!
Mit allen Sinnen
Schon beim Betreten der großzügig gehängten Räume ist es mir aufgefallen: es riecht nach Ölfarbe. Kann das sein? Nach so vielen Jahren? Das früheste Bild ist aus dem Jahre 1951, das letzte aus dem Jahr 1992 – ihrem Sterbejahr. Na ja, vielleicht ist auch schon mit der Restaurierung begonnen worden. Ihre „verschwenderischer“ Farbauftrag macht die Bilder recht anfällig.
Joan Mitchell hört oft Musik, während sie malt. Eines ihrer Lieblingslieder ist „Autumn in New York“, gesungen von Billy Holiday. Hört mal rein – es ist wunderschön und man meint fast, man könnte für jeden Ton einen Pinselstrich in Joan Mitchells Bild „Ladybug“ wiederfinden.
Das Bild, das den Besucher im Eingang zur Ausstellung empfängt ist eine Hommage an die Sängerin. Und macht auf den ersten Blick deutlich, mit wem wir es hier zu tun haben. Auf keinen Fall ist Joan Mitchell eine „Ladypainter“. Sie ist eine selbstbewusste Größe in der Zeit, in der sich die amerikanische Kunst zu einer eigenen Identität aufmachte. Sie vertritt den Abstrakten Expressionismus. Steht gleichberechtigt neben Willem de Kooning und Jackson Pollock. Mit einer unverwechselbaren malerischen Handschrift, die man durch die Ausstellung verfolgen kann.
Der Club
Wie schon oft in der Kunstgeschichte, spielen auch im Falle des Abstrakten Expressionismus mehrere Bars und Cafés eine wichtige Rolle. Die Cedar Tavern am University Place und später der „Eighth Street Club“ sind Orte, an denen sich die Protagonisten treffen, um hitzig über die Kunst und die Welt zu diskutieren. Dass dabei ordentlich gebechert wird, ist auch schon wieder so ein Künstler-Klischee. Stimmt aber wohl. Und es scheint so, als wäre eine gewisse Trinkfestigkeit auch eine Vorraussetzung für die Aufnahme in diesen illustren Club von Vorteil. Die soll Joan Mitchell gehabt haben.
Die Truppe, die sich im New York der späten vierziger Jahre dort trifft, wird als New York School in die Geschichte eingehen. Die Wohnungen und Ateliers von de Kooning und Barnett Newman sind weiter Fixpunkte in dieser Ecke Manhattans, um die sich die Ereignisse drehten.
Joan Mitchell zieht 1947 von Chicago, wo sie am Art Insititue studiert, nach Brooklyn und sucht die Nähe zu den Kollegen. Sie besucht sie in den Ateliers und mischt bei den Treffen mit, bei denen leidenschaftlich über die Kunst diskutiert wird. Schnell wird sie Teil der Szene, in der auch die Literaten eine wichtige Rolle spielen.
Vor diesem biographischen Hintergrund kann die Ausstellung im Museum auch als äußerst interessante Ergänzung der ständigen Sammlung des Museum Ludwig gesehen werden. Dort hängen sie ja alle, die Pollocks, Klines, de Koonings. Es ist noch einmal eine weitere Entdeckung, Joan Mitchell in Beziehung zu ihren männlichen Kollegen zu betrachten. Hier wird mir ihre besondere „Handschrift“ deutlich, die sich eben nicht komplett ins Abstrakte verliert. „Abstract is not a style“ ist ihre Überzeugung!
Monet und Cézanne
Der Höhepunkt der Ausstellung ist die Inszenierung der wundervollen Quadriptychen im sogenannten Heldensaal des Museums. Museumschef Yilmaz Dziewior hat sich anstecken lassen von der impressionistischen Atmosphäre, die viele Bilder der Mitchell ganz offensichtlich haben. Und ein Panorama erzeugt, das einen nicht von ungefähr an Claude Monet erinnert. Die über mehrere Meter gehenden Arbeiten sind aus mehreren Einzelbildern komponiert. Jedes auch als Einzelbild bedeutsam. Aber im Zusammenspiel erzeugen sie einen Farbenrausch mit vielen Assoziationen – eine der stärksten ist die an Van Gogh.
Mit dem Kauf eines Hauses in Vétheuil nahe Paris gewinnt die Beschäftigung mit der Natur eine besondere Bedeutung in Mitchells Werk. In den siebziger Jahren entstehen Bilder, die Landschaften und Gärten vor dem geistigen Auge entstehen lassen. Natürlich kommt einem sofort Claude Monet in den Sinn, zumal Giverny nicht so weit entfernt liegt und Mitchell sogar ein ehemaliges Gartenhaus des Malers ersteht. Auf die Nähe zu Monet angesprochen, weist die Künstlerin darauf hin, dass sie sich eher Cézanne verpflichtet fühle. Das ist ein wichtiger Hinweis und zeigt: es nicht nur die sinnliche Gestaltung der Oberfläche ist, die sie interessiert. „I want to paint the feeling of a space.“ Cézanne empfindet: „Die Natur ist nicht an der Oberfläche, sie ist in der Tiefe.“
Für den nächsten Besuch
Es gibt noch viele Bezüge in den Arbeiten von Joan Mitchell, die man im Hinterkopf haben kann, wenn man durch die wunderschöne Ausstellung geht. Zum Beispiel ihre Nähe zur Literatur. Frank O’Hara ist ein guter Freund gewesen und hat mit seiner Literatur viele Anregungen gegeben. Spannend fand ich auch, dass sie durch ihren Kunstlehrer auf Oskar Kokoschka aufmerksam wurde und sich sehr für ihn interesseirte.
Ich werde mir sicher das Interview mit ihr noch einmal genauer ansehen. Und besonders gelungen ist die kleine Lounge-Ecke im Museum, in der man sich durch ihre Lieblingsmusik hören und dabei in Büchern blättern kann. Solche Kontemplations-Inseln wünsche ich mir in Zukunft für jede Ausstellung!
An den Wochenenden gibt es ein offenes Atelier! Auch Erwachsene dürfen hier malen und die Farbimpulse aus Mitchells Bildern aufgreifen. Eine ganze Reihe von Vorträgen ergänzt die Ausstellung. Ein besonderes Highlight dürfte aber der Lange Donnerstag am 3.12. werden. Da kommt das Schauspiel Köln ab 20 Uhr zu einer Intervention. Ich weiß zwar nicht genau, was dann passiert. Aber ich kann mir vorstellen, dass es gut wird!
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