Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst


Die Natur muss gefühlt werden, wusste schon Alexander von Humboldt. Sie ist mehr als Flora und Fauna und auch im 21. Jahrhundert steht der Mensch ihr staunend gegenüber, erkennt ihre Schönheit und weiß hoffentlich um ihre Macht und die inneren Kräfte, die in ihr walten. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe lässt mich mit der Erkenntnis zurück, dass es noch so viele Geheimnisse gibt, die wir wahrscheinlich nie enträtseln werden. Inventing Nature. Allein die Kunst scheint am ehesten in der Lage, sich ihrer anzunähern. Deswegen war es mehr als ein Besuch in der Ausstellung Inventing Nature – Pflanzen in der Kunst. Vielmehr arbeiten seitdem Gedanken in mir zum Verhältnis von Kunst, Mensch und Natur.

Das Beitragsbild zeigt den brasilianischen Urwald, wie ihn sich Adolf Schroedter um 1868 vorgestellt hatte. Er selber war nie dort – anders als einige mutige Forschungsreisende im 19. Jahrhundert. Schroedter musste sich auf seine Fantasie und die detailgetreuen Reiseberichte seiner Zeitgenossen verlassen. Aber wir erkennen schon, dass es bei der Ikonografie von Pflanzen in der Kunst mitnichten um genaue Schilderung des Sichtbaren geht. Es sind bemerkenswerte Kunstwerke, die einen in der Ausstellung mitnehmen in einen Kreislauf von Werden und Vergehen hin zu den unglaublichsten Erfahrungen. Bisweilen hat man fast den Eindruck, hier einer Art Wettstreit beizuwohnen, wessen Erfindungen die besseren sind: die der Natur oder die der Kunst.

Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, Pflanzen dichten, 2021

Wie faszinierend ist es doch, was die Natur zustande bringt. Am schönsten erlebbar, wenn man den Wechsel der Jahreszeiten verfolgen kann! Was ist das für ein Wunder, wenn im Frühling wieder alles neu entsteht, das im Herbst verblühte. Diese Farben, dieses Fest der Sinne. Wenn ich dann vor der Arbeit von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger stehe, dann stellt sich bei mir eine ganz ähnliche Faszination ein. Was für eine Formen- und Artenvielfalt. Entstanden aus Fundstücken und einem eigenen Plan folgend zu einem Gebilde verdichtet oder erdichtet. Ich war schon immer ein großer Fan ihrer Arbeit im Kunstpalast in Düsseldorf. Hier in dieser ortsspezifischen Arbeit in der Kunsthalle Karlsruhe explodiert die Fabulierlust des Künstler-Duos und ich muss mehrfach meinen Fokus neu ausrichten, um alles mitzubekommen, was hier passiert.

Und diese Erfahrung von Erfindungs- und Schöpfungsreichtum mache ich an so vielen Stellen in der Ausstellung. Beispielsweise ist Joan Jonas eine absolute Entdeckung für mich. Die Künstlerin hat einen eigenen Raum erhalten, in welchem man eine ihrer Performances auf Video verfolgen kann. Dazu werden Zeichnungen von Vögeln präsentiert, die so zart sind, dass man denkt, sie verschwinden gleich. In einer runden Fläche sehen wir eine weitere Projektion. Während wir die Künstlerin in der wandfüllenden Video-Performance als eine Art Waldgeist oder Schamanin in Aktion sehen, wird uns im Video-Ausschnitt gegenüber das Entstehen von Zeichnungen präsentiert, die Jonas mit Moorwasser herzustellen scheint. Die gesamte Installation regt so viele rationale Denkprozesse an. Es werden ökologische Themen berührt und philosophische Haltungen thematisiert. Am Ende bleibt es aber trotzdem geheimnisvoll und mystisch. Das nimmt man dann ganz persönlich für sich mit!!!

Inventing Nature bringt mehrere hundert Jahre Kunstgeschichte als Beweis für die Relevanz des Themas auf den Plan. Wenn wir nun gedanklich an die Schwelle der Neuzeit reisen, dann verspüren wir die Magie der Pflanzenwelt natürlich noch einmal völlig anders! Ein purer Apfel, wie er hier aus dem Cranach-Bild herausleuchtet, birgt eine ganze Gedankenwelt in sich. Natürlich wussten die damaligen Betrachter*innen der Gemälde, dass in dieser banalen Frucht das Schicksal der gesamten Menschheit mitgedacht werden musste. Was für eine Magie in die Natur eingeschrieben werden kann, zeigen spätmittelalterliche Darstellungen mit einer Flora, in der jedes winzige Vergissmeinnicht, jede Erdbeere und natürlich Rosen und Lilien auf biblische Bedeutungen und die Heilsgeschichte verweisen. Und die Geschichte geht noch weiter. Über die Wortbedeutung vom lateinischen malum, das beides bedeuten kann: Apfel und Übel. Wobei ich mich schon auch frage, ob diese Zuschreibungen damals bei einem beherzten Biss in den Apfel immer mitschwangen? Wahrscheinlich brauchte es aber dann doch wieder die Kunst, die einem dieses vor Augen führte.

Detail aus: Lucas Cranach d. Ä: Maria mit dem Kinde und dem
Johannesknaben unter dem Apfelbaum, 1535

Ach, es gibt so viele, so dichte Themen, die sich in der Ausstellung Inventing Nature verfolgen lassen. Aber ich belasse es bei einer Auswahl der Dinge, die in meinen Gedanken bleiben, auch wenn der Besuch der Ausstellung schon wieder eine Weile her ist. Ein großer Schwerpunkt der Ausstellung sind Bäume und die Kunstwerke dazu haben es mir ganz besonders angetan. Nicht zuletzt wegen ihrer schlichten Form wegen sind Bäume per se schon unglaublich beeindruckend. Ich stand letztens vor einer Eiche, die als Naturdenkmal gekennzeichnet war. Bestimmt mehrere hundert Jahre alt! Ich liebe es zum Beispiel auch, meine Hand auf die Rinde solcher alten Bäume zu legen, bin oft kurz davor, welche zu umarmen!

Ganz wunderbar sind die künstlerischen Projekte, die sich mit dem Wesen des Baumes beschäftigen. Zum Beispiel die Arbeit von Lois Weinberger, in der ein Baumfest inszeniert wird mit allem Wohlstandsmüll, der sich in unserer Zivilisation so ansammelt. Der Baum erträgt diesen besonderen Schmuck stoisch und scheint unberührt von den Kapriolen der Menschlein! Andere Künstler versuchen sich daran, Bäume zu erfinden (Martin Schwenk, unglaublich, wie echt die künstlichen Gebilde wirken) und huldigen diesen damit auf eine besondere Art. Der Baum als Bildthema – das gibt es schon lange, wir denken natürlich sofort an C.D. Friedrich oder auch die Niederländer, wie Jacob van Ruisdael, die damit die Großartigkeit der Natur feiern.

Ganz besonders berührt war ich allerdings von einem kleinen Kupferstich aus der Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe. Er zeigt den Heiligen Sebastian, der sein Martyrium (von Pfeilen durchbohrt zu werden) an einen Baum gefesselt erleidet. Martin Schongauer hat den Körper des Heiligen in spätgotischer S-Kurven-Art dargestellt und in einer fast zärtlichen Nähe zum Baum dahinter präsentiert. Im Katalog heißt es, sie bildeten eine „Arabeske des Schmerzes“. Phänomenal. Und was für mich dieses Kunstwerk noch einmal zum schönsten Highlight der gesamten Ausstellung werden lässt, ist die kongeniale Gegenüberstellung mit einer Arbeit von William Kentridge. Sein „Walking Man“ ist rund 450 Jahre später entstanden und ein Mischwesen aus Baum und Mensch. Ein fabelhafter Linolschnitt (wäre ein Holzschnitt nicht noch passender gewesen) und eine über zwei Meter große Papierarbeit ebenfalls aus der Sammlung des Hauses. Fasziniert sinnt man auch hier der Ambivalenz zwischen massiver Kraft und fast märchenhafter Magie nach. Und darüber, wie sich die beiden doch trotz großer Unterschiede so unmittelbar annähern.

Martin Schongauer: Heiliger Sebastian
Zweite Hälfte 15. Jahrhundert

Wofür ich die Vermittlung der Kunsthalle Karlsruhe immer sehr beneidet habe: sie können eigene Ausstellungen machen! Das ist durchaus eine hervorragende Chance, auch noch einmal andere Perspektiven ausstellungsbegleitend darzustellen. Im Falle von Inventing Nature hat man auf eine Präsentation gesetzt, die zum einen ökologische Diskussionen und ein Bewusstsein für die Ernährung vor allem bei Kindern und jungen Leuten anregen will. Zum anderen haben sie aber in der Ausstellung Iss mich. Obst und Gemüse in der Kunst eine Sammlung herrlich saftiger Obst- und Gemüse-Porträts zusammengestellt. Eines davon ist die Melone, die der Künstler Peter Anton 2019 geschaffen hat. Ich liebe Melonen und bin da sehr geprägt von Frida Kahlos Viva la vida, wo sie die Wassermelone als Symbol mexikanischer Lebensfreude gemalt hat. Der Amerikaner Anton wird die sicher auch im Hinterkopf gehabt haben, als er seine unglaublich realistisch aussehende Melonenscheibe u.a. aus Harz herstellte. Er spielt mit den emotionalen Triggern, denen wir bei so einem Bild automatisch ausgesetzt sind. Wenn ich einen Begriff nennen sollte, der mich sofort in die Erinnerungsschleife bei so einem Anblick versetzen könnte, dann wäre das: Sommer!!!!

Peter Anton: slice of watermelon, 2019
© Peter Anton | Courtesy: DavisKlemmGallery

Ich sage nun leise: Goodbye Kunsthalle Karlsruhe. Nicht nur, weil ich leider wieder ins Rheinland zurückfahren musste. Sondern auch, weil der Besuch bei Inventing Nature der letzte Ausstellungsbesuch vor der umbaubedingten mehrjährigen Pause der Kunsthalle sein wird. Ich weiß aber, dass wir in dieser Interimsphase noch so viel mehr von der Kunsthalle hören und sehen werden (ein Teil der Sammlung wird im ZKM präsentiert werden) und dass das traditionsreiche Haus mit spannenden Projekten in der Zukunft wieder am angestammten Platz eröffnen wird. Und wenn sie sich jetzt mit dieser Ausstellung zu Pflanzen in der Kunst verabschieden, ist dies noch einmal ein letzter Verweis auf den tollen Ort, an dem die Kunsthalle eingebettet ist in die blühende Umgebung des Botanischen Gartens.

Ein Bericht über den Ausstellungsbesuch bei Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst, die in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen ist.
Blick aus dem Botanischen Garten auf die Orangerie, in dem der heute ein Teil der Sammlung der Kunsthalle Karlsruhe gezeigt wird.
Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst ist noch bis zum 31. Oktober 2021 in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein üppig bebilderter Katalog.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit der Kunsthalle Karlsruhe.

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4 Antworten zu “Inventing Nature. Pflanzen in der Kunst”

  1. Pflanzen sind schon seit jeher ein wichtiges Motiv in der Kunst. Vielen Dank für die übersichtliche Aufarbeitung dieses Themas! Hat mir wirklich gut gefallen. Jean

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