Beziehungsweise: ich war da! Letzte Woche reiste ich nach Karlsruhe, wo ich von der Kunsthalle zu einer Podiumsdiskussion eingeladen war, die im Rahmenprogramm der Ausstellung „Ich bin hier! Von Rembrandt zum Selfie“ stattfand. Und das war das Thema: „Selfies, Emojis und die Verwendung von Bildern in den Sozialen Netzwerken“. Das Panel bestand aus Wolfgang Ullrich, Museumschefin Pia Müller-Tamm, Alexander Eiling, Kurator von „Ich bin hier“ und moi! Christian Gries hat moderiert. Es ist nicht das erste Mal, dass nach so einer Diskussion der Gesprächsbedarf noch gestiegen ist. Gut, wenn man ein Blog hat, auf dem man einige wichtige Dinge weiter besprechen kann.
Die Diskussion wurde mitgefilmt und die Kunsthalle Karlsruhe hat diesen Mitschnitt auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlicht.
Wer möchte, kann auch schon einmal durch das Storify lesen, mit dem ich rasch die Tweets des Abends eingefangen habe. Es gab ein großes Interesse an dieser Veranstaltung in der Netzgemeinde – was bei dem Thema verständlich ist. Und für die Zukunft wäre ein Livestream solcher Veranstaltungen sicher ein tolles Angebot. Ich kann aber auch ein bisschen verstehen, wenn man Angst vor wackeligem W-Lan und ähnlichem Unbill hat. In jedem Fall kamen via Twitter sehr viele gute und wichtige Anregungen und Fragen zum Thema. Maria Männig, die vor Ort war, hat ihren Beitrag schon grandios verbloggt.
Die Sache mit dem Selfie
Ich muss gestehen, beim Thema Emoji bin ich reichlich leidenschaftslos. Für mich ist das eher ein Gimmick, mit dem man spielen kann. Das Phänomen „Selfie“ scheint mir hingegen ein spannendes und komplexes Phänomen. Ich möchte da gerne weiter dranbleiben. Unlängst kam mir ein sehr guter Artikel der amerikanischen Journalistin Rachel Syme unter, den ich hier sehr gerne empfehle. Er ist aus einer soziologischen Perspektive geschrieben, die – ein bisschen lang und feministisch angehaucht vielleicht – mir gut gefällt. Neben vielen spannenden Gedanken ist beispielsweise dies hier sehr erhellend:
„At no point did Narcissus ever try to share this love with anyone else, to chat up any nymphs about it, to see which of the muses might also delight in his cherub cheeks. Instead, he dove deeper and deeper into his egoistic stupor, and choked to death because he couldn’t look away.“
An anderer Stelle schreibt die Autorin auch über Museumselfies. Beziehungsweise Artselfies. Sie führt aus, dass man solche Selfies wertschätzen solle (überhaupt geht es in dem Artikel sehr oft um diesen Begriff!). Wenn sich jemand im Kontext der Kunst zeige und auch noch gleichzeitig über die eigene Timeline seine Freunde in diesen Kontext hineinhole, dann zeuge das von einem gewissen Engagement.
Und jetzt? Ja, das ist die große Frage! Was fangen wir mit diesem Engagement an? Bewerten wir es? Sagen wir, dass es zu wenig ist, zu oberflächlich, zu banal? Oder haben wir ein Interesse daran, in den Selfies eine Sprache zu dekodieren? Dass es eine Sprache ist, wurde ja von Wolfgang Ullrich schlüssig ausgeführt. Ich habe mir von der Podiumsdiskussion erhofft, dass wir über die Decodierung sprechen können. Aber dafür gab es dann doch zu wenig Konsens in der Frage, ob wir uns überhaupt mit dem Selfie befassen sollten.
Noch ein Wort zum Konzept der Jungen Kunsthalle, die einen Parcour durch verschiedene Selfie-Stationen konzipiert hat. Ich finde die Idee charmant, das Selfie-Phänomen analog nachzubauen (es gibt ein echtes Netz, in welches man seine von sich gemachten Fotos hängen kann, diese werden mit kleinen Herzchen beklebt). Ich beobachtete auch eine Schulklasse, die mächtig Spaß mit den Fotohintergründen hatte, vor denen man Selfies machen kann (Boah, sieht voll echt aus!). Aber auch wenn die Wände mit vielen bunten Hashtags beklebt waren – ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man sich nicht wirklich in den digitalen Raum getraut hat. Die Schülerinnen schauten mich mit großen Augen an, als ich sie fragte, ob sie denn ihr Selfie auf Instagram teilen würden. Später in der Schule sollten sie eine Collage mit den Fotos machen. Für die Kunstvermittlung hätte ich mir ein paar mehr Ansätze wie die Wols-Station gewünscht. Dort wurde angeregt, die Mimik-Selbstbildnisse des Künstlers mit einem eigenen Ausdruck zu vollenden. Wenn man so ein Konzept jetzt noch in Digitalien weiterdenken würde …
Das Problem mit Buzzwords
Ich komme noch einmal zum Thema Sprache zurück. Irgendwie hat es etwas Belustigendes, dass alle in Hab-acht-Stellung geraten, sobald das Wort „Selfie“ fällt. Entweder wird sofort dagegen geschossen. Oder es werden Erwartungen geweckt, die über das eigentliche Ziel hinausgehen. (Nein, nicht immer geht es um Kim Kardeshian und Duckfaces!). Im Falle der Ausstellung „Ich bin hier“ kann man schon feststellen, dass die Presse manchmal etwas einseitig hingeschaut hat. Dabei ist das Selfie als Medium künstlerischer Selbst-Manifestation nur ein kleiner Aspekt der Ausstellung. (Mit Ai Weiweis berühmten Selfies nach seiner OP allerdings auch ein besonders bildkräftiger!)
Vielleicht sollten wir uns auch alle beim Thema Selfie ein bisschen locker machen. Es ist ein spannendes Phänomen, aber wenn der Kontext vor lauter Phänomenologie gar keine Rolle mehr spielt, ist das auch verkehrt.
Was ist eigentlich mit dem Selbstbildnis?
Keinesfalls ist das Selfie mit dem Selbstbildnis gleichzusetzen. Und umgekehrt. Oder so! Spannend wird es aber doch da, wo man bei aller Unterschiedlichkeit Verbindendes sehen kann. Stichwort: Identität, Repräsentation, Selbstbefragung. Dies ist der Weg, der eine gewinnbringende Auseinandersetzung bietet. Mit dem modernen Phänomen einerseits und der Tradition andererseits.
„Selbstbildnisse haben insoweit immer programmatische Bedeutung für die Selbstaussage des Künstlers, und sie sind ein wesentlicher Indikator für die Beziehung des Künstlers zu seinem sozialen Umfeld und zur Öffentlichkeit.“ Im Vorwort des Katalogs wird ja schon die richtige Fährte gelegt. Und wenn der aufmerksame Betrachter sich beim Gang durch die Ausstellung auf das feine Gewebe von unterschiedlichen Bezügen einlässt, dann eröffnen sich ihm viele „Gesichter“.
Mein Lieblingsbild in der Ausstellung zeigt einen Handschuh! Ein Objekt wird zum Stellvertreter für Träume und Obsessionen des Protagonisten. Eine fantastische Geschichte, die Max Klinger in 10 Radierungen 1881 erzählt. Hier zeigt sich, dass sich ein Bild vom Selbst nicht im Medium, der Farbwahl oder dem Bildausschnitt erschöpft. Die Ausstellung liefert mit vielen unterschiedlichen künstlerischen Positionen jede Menge Stoff zum Nachdenken. Über das „Ich“ ebenso wie das „Hier“. Und vor allem natürlich über das „Sein“!
Kommentar verfassen