In deinen tiefen Tieren

Wenn ich an die Idee des Blauen Reiters denke, dann stehen mir sofort die Zeilen eines Gedichtes vor dem geistigen Auge, die Yvan Goll geschrieben hatte. „In deinen tiefen Tieren aber, Aus feuchten Augen gleichen Geistes dunkelnd, Warst du mir ebenbürtig, Wald“. Michael Stacheder hatte schon einmal darüber geschrieben. Und es mit einer Miniatur der vier Füchse von Franz Marc verglichen. Jetzt hat Michael dazu aufgerufen, dass man sich der Begegnungen mit dem Blauen Reiter erinnern möge. „Unter dem Hashtag #MeinBlauerReiter ermuntere ich Euch, die Blauen Reiter:innen neu zu entdecken, ihre Visionen und Utopien nachzuspüren, sie mitzunehmen für unsere Gegenwart, um sie mit dem Hier und Jetzt in Beziehung zu setzen. Galoppieren wir gemeinsam durch das Blaue Land! Egal, ob ihr auf Eurem Blog über Eure Begegnungen mit Macke, Marc & Co erzählen wollt oder ob ihr nur einfach Euer Lieblingsbild auf Instagram, Twitter oder Facebook präsentiert, erzählt von Eurem Blauen Reiter!“ Eigentlich bin ich ja eher Team „Brücke“ und mich hat immer schon der sogenannte Großstadt-Expressionismus fasziniert. Die aufgeladene Stimmung in den Kaffeehäusern, die Schnelligkeit und der Tanz auf dem Vulkan. Aber auch diese fast pantheistische Haltung Franz Marcs zur Natur berührt mich sehr. Und es gibt ein Bild, mit dem ich eine besondere Geschichte verbinde: Die Wildschweine aus dem Jahre 1913, die im Museum Ludwig zuhause sind.

Vor vielen Jahren arbeitete ich als Kunstvermittlerin für das Museum und organisierte mit einem befreundeten Rezitator sogenannte „Dialoge der Künste“, in denen wir als Duo zu den verschiedenen Bildern des Museums führten. Meine Recherche-Bibel war dabei der Band „Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus“, mit dem Kurt Pinthus 1920 eine Anthologie des Expressionismus veröffentlicht hatte. (Damals noch mit dem Untertitel: „Symphonie neuester Dichtung“). „Sturz und Schrei“, „Erweckung des Herzens“, „Aufruf und Empörung“, „Liebe den Menschen“ – das waren die einzelnen Abschnitte der Sammlung und sie zeigen das Wesentliche des Expressionismus. Einer Epoche, in der Kunst und Literatur auf das Engste miteinander verwoben waren. Deswegen war es auch sehr leicht, Bilder im Museum zu finden, die mit Gedichten aus der Menschheitsdämmerung präsentiert werden konnten. Unter „Erweckung des Herzens“ finden sich allein drei Gedichte zum Wald, drei weitere besingen den Baum. Es folgen Jahreszeiten, der Atem der Natur oder Sonnenuntergang, Mondaufgang.

Die Wildschweine von Marc mussten einfach mit Golls „Wald“ zusammen präsentiert werden. Was in dem Gedicht mitschwingt, dieses Geheimnis der allumfassenden Natur, das zeigt sich auch im Bild von Franz Marc. Habt ihr übrigens direkt die zwei Wildschweine entdeckt? Das Blaue im Vordergrund und dahinter ein rotes? Überhaupt gehen hier die Tiere und die Pflanzen so ineinander über, dass man sie als eine untrennbare Einheit wahrnimmt. Der gesamte Farbkreis ist zu einem malerischen Kosmos verschmolzen, alles atmet die Vorstellung der Vollkommenheit, die Marc allein in der Natur zu finden glaubte. Aber ist alles friedlich, ruhig und harmonisch? Was sagt mir das rote Auge im ruhigen Blau des Wildschweines? Obacht!

Ich habe einen Heiden-Respekt vor Wildschweinen, diese kraftvollen und auch unberechenbaren Tiere. Das rührt sicher von den Geschichten meines Vaters, der viele Sagen aus dem Solling wusste, in denen es mit den Menschen ein böses Ende nahm, die sich mit einem wilden Keiler angelegt hatten. Diese Erinnerung an meinen Waldläufer-Vater macht mir das Bild von Franz Marc noch wertvoller. Wenn ich im Wald spazieren gehe, dann sehe ich oft ihre Spuren. Wildschweine liebe es, die Grasnarbe aufzuwühlen, um dort nach Maden und Ähnlichem zu suchen. Manchmal spüre ich: irgendwo da in der Schonung liegen sie vielleicht dicht an dicht. Wie in dem Bild von Franz Marc.

Und wenn ich wieder ins Museum gehen kann, dann statte ich ihnen einen Besuch ab und grüße sie von euch!

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Kommentare

2 Antworten zu „In deinen tiefen Tieren“

  1. Avatar von Michael Stacheder

    Liebe Anke,
    vielen lieben Dank für diesen schönen Blogbeitrag zu #MeinBlauerReiter. Ich habe mich sehr gefreut, dass Du mitmachst beim Erzählen. Egal, ob hier oder auf den Kanälen wie Twitter, Insta oder Facebook. Gemeinsam die blauen Welten zu entdecken und vielleicht dabei auch Neues zu finden macht gleich doppelt so viel Spaß. Vielleicht können wir in den nächsten Wochen ja auch noch die Fragen nach Utopien für unsere Zeit und Zukunft konkretisieren und weiterdenken? Auf einen weiterhin spannenden und regen Austausch freue ich mich. Nochmals herzlichen Dank und viele Grüße zum Team Brücke! 😉 Michael

    1. Avatar von Anke von Heyl
      Anke von Heyl

      Lieber Michael, es war mir eine Freude! Und klar, lass uns gerne gemeinsam an dem Thema dranbleiben und die verschiedenen Fundstücke, Gedanken und Erkenntnisse austauschen. Dadurch weben wir einen schönen bunten Teppich!
      Liebe Grüße nach Bayern
      Anke

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