Die Semantik des Sehens – oder Bilder lügen nicht


Die Künstlerin Petra Weifenbach liefert in ihrem Oeuvre einen ungewöhnlich großen Fundus an bildkünstlerischen Genres, mit denen sich der Betrachter auseinandersetzen darf. Dabei ist das Selbstreferentielle einer nur auf die Machart bezogenen Kunst ihre Sache nicht, wenn sie Fotoarbeiten entwirft, Objekte gestaltet oder sich mit Konzepten für Kunst am Bau beschäftigt, Installationen inszeniert, zeichnet und stickt. Vielmehr teilt die Künstlerin ihren Blick auf die Welt mit dem Betrachter, lässt ihn auf Entdeckungsreise gehen und vermittelt Aha-Erlebnisse – nach der sprachtheoretischen Definition „ein eigenartiges im Denkverlauf auftretendes lustbetontes Erlebnis, das sich bei plötzlicher Einsicht in einen zuerst undurchsichtigen Zusammenhang einstellt.“
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modelmodel. Nachinszenierungen von Modefotos. 29 x 2 Laserprints in A3 – A0, 1993-2001


Petra Weifenbach, Jahrgang 1961, absolvierte an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig ein Studium der Freien Kunst, das sie als Meisterschülerin abschloss. Seit 1993 lebt und arbeitet sie in Köln. Die mehrfach ausgezeichnete Künstlerin ist derzeit in Berlin im Rahmen des Gabriele-Münter-Preises in der Präsentation „Vorreiterin“ zu sehen und hat aktuell einen Wettbewerb im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 gewonnen. Hier erarbeitet sie als Künstlerduo mit ihrem Mann Axel Siefer für den sogenannten Kulturkanal ein künstlerisches Leitsystem entlang des Rhein-Herne-Kanals.
Einige Stationen ihrer künstlerischen Entwicklung markieren die Spannbreite ihrer bildnerischen Mittel, die sie entsprechend der Anlässe für die Kunst variiert:
2004 arrangiert sie für eine Ausstellung Fotoarbeiten aus der Arbeit „Petras Fest“ zu einem nahezu barocken Bildensemble. 2006 erschien ein zum Teil gesticktes Künstlerbuch, die „Flecken-Typologie“, die mit einer zarten Stofflichkeit fast anrührend wirkt. Im Jahre 2005 gewinnt Weifenbach den Wettbewerb „Kunst am Bau“ der FH Bonn-Rhein-Sieg in Rheinbach, bei dem sie eine mehrteilige Außeninstallation mit dem Titel „Platzkonzert“ eingereicht hatte: eine Art kommunikativer Wanderweg mit gemauerten Objekten, deren Konstellationen auf menschliche Beziehungsstrukturen verweisen.
Seit 1999 entstehen ihre „Tageszeichnungen“, ein seitdem stetig anwachsendes Konvolut aus Notationen zu Bildern und Bedeutungen. Diese Arbeiten offenbaren einen sehr deutlichen Blick auf die Arbeitsweise der Künstlerin. Sie testet Blickfelder, absurde Situationen, alte Meister wie räumliche Gegebenheiten und künstlerische Fragestellungen auf ihre Bildwürdigkeit und Wahrhaftigkeit.

Rückblick – Paris, 1990

Die Künstlerin hat ein Stipendium des DAAD erhalten und ist nach Paris gezogen, in das Mekka der Modewelt, dorthin, wohin sich jede Menge hoffnungsvoller junger Frauen aufmachen, um ihren Traum von einer erfolgreichen Modelkarriere zu verwirklichen. Petra Weifenbach wird auch Model.

Doch setzt sie ihre Attraktivität nicht im Zirkus weiblicher Eitelkeiten ein, sondern erarbeitet mit modelmodel einen ironischen Kommentar zu der Rolle der Frau in dieser medialen Verwertungsgesellschaft. Als Ausgangsmaterial für ihre künstlerische Arbeit sammelt sie in der folgenden Zeit Modelfotos aus den gängigen Zeitschriften und stellt diese in mit Selbstauslöser fotografierten Bildern nach. Gemeinsam mit dem Vorbild stellen diese bis 2001 entstandenen Arbeiten nun den Betrachter vor mehrere Fragen. Zunächst einmal spielt die Frage, was echt und was nachgemacht ist, hier eine entscheidende Rolle. Petra Weifenbach hat sich bei der Wahl ihrer künstlerischen Mittel einer entscheidenden Beschränkung unterworfen. Nur das, was in ihrer unmittelbaren Umgebung – also in der Wohnung – vorhanden war, durfte für die Nachbildung der Models verwendet werden.

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So entstand aus bemalter Pappe Schmuck, Teppichreste wurden mit Ölkreide zu Pelzkappen und vorhandene Kleidungsstücke mit Acrylfarbe dem Vorbild angeglichen. Pinsel verwandelten sich mittels Eierbecher in Kerzenleuchter und als Hintergrund diente oft farbig bemalte Pappe. Fast scheint es, als habe die Künstlerin hier die klassischen Malutensilien einer neuen Deutung unterworfen um somit auch die Frage nach dem künstlerischen Prozess zu stellen. Und so thematisiert die Arbeit modelmodel nicht nur die Rolle der Frau sondern auch die Rolle der Künstlerin. Mit dem bewusst eingesetzten Mittel des Fake zielt Petra Weifenbach auf einen Erkenntnisprozess beim Betrachter.

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Das vor Ort szenografisch Hergestellte offenbart eine gewisse Spiellust der Künstlerin, die hier als Regisseurin und Spielerin der gebauten Szenen auftritt. Dabei nutzt sie ihren Körper und dessen Umwelt als Potenzial, mit dem sie in diesem Falle die Lebenswelt des Lifestyles ironisiert. Im Sinne von staged photography wird das Bild zur Bühne. Selbstverständlich spielt auch die Kritik an der Ideologie der Vorbilder eine Rolle. Darüber hinaus wird die Wahrnehmung der Wirklichkeit ebenso thematisiert wie die intellektuelle Spannung zwischen Einfallsreichtum, Authentizität und Ausdruck.

ROSA
Mit welcher Konsequenz Petra Weifenbach der Frage nach der Bildwahrnehmung nachgeht, zeigt sich in dieser großformatigen Arbeit aus dem Jahre 2002, die sie als Inszenierung von vier unterschiedlichen Raumschichten zu einer einzigen Bildschicht versteht. Ausgangspunkt ist hier die klassische Aufteilung des Bildraumes in Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund. Perspektive wird gemeinhin als Möglichkeit verstanden, dreidimensionale Objekte auf einer zweidimensionalen Fläche so zu präsentieren, dass ein räumlicher Eindruck entsteht.

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ROSA. Fotoprint auf Treviranessel. 213 x 147 cm, 2002

Mit ROSA spielt Weifenbach diese Erscheinung in mehreren Varianten durch. Mal meinen unsere Augen etwas dreidimensional zu sehen, was nur flächig gemalt ist – wie das Kleid, das die Künstlerin auf der roten Stoffbahn entstehen lässt, indem sie diese um die Silhouette herum weiß gemalt hat. Dann wieder erscheinen uns aufgemalte Kreise als flächige Punkte, die ihren eigentlichen räumlichen Standpunkt durch die Korrektur der perspektivischen Verzerrung verloren haben. Ist die Welt, wie wir sie sehen, tatsächlich Realität oder nur ein Produkt unseres Gehirns? Hier berührt das künstlerische Prinzip der Umkehrung nehezu philosophische Erkenntnistheorie. Beim näheren Betrachten von ROSA offenbart sich auch eine besondere Feinarbeit am Detail. Für die Künstlerin ist dies bei aller spielerischen Leichtigkeit ein wesentlicher gestalterischer Aspekt. Denn auch wenn alles so leicht und spontan aussieht – die nette Pose im leuchtenden Kleid ist durchdacht und genau arrangiert. Welche Rolle der Beherrschung des eigenen Körpers in den Bildern der Künstlerin zukommt, kann man an der passgenauen Haltung hinter dem gemalten Kleid erahnen.

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Im Jahr 2000 entstand eine Serie von 80 Fotos, in welchen die Künstlerin ihren eigenen Mund durch ein aus Modemagazinen ausgeschnittenes Exemplar ersetzt hat. Dieses fixierte sie mittels Doppelklebeband auf ihren eigenen Lippen und in den mit Selbstauslöser fotografierten Gesichtsausdrücken sitzt nun ein möglichst glaubhafter Stellvertreter des eigenen Mundes.

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remplaçantes. Fotos auf Kunststoff, Höhen/Breiten: 8 – 28 cm, 2000

Das gekonnte Spiel mit der Mimik zeigt die Künstlerin als Erzählerin mittels Gesichtsmuskulatur – ganz so, wie es der barocke Künstler Franz Xaver Messerschmidt einst vorgemacht hat. Am Beispiel der remplaçantes wird noch einmal ganz deutlich, wie wenig bei Petra Weifenbach die Richtung der Kamera auf sich selbst mit dem klassischen Begriff des Selbstbildnisses verbindet. Viel näher ist die Künstlerin da an einer Vorstellung von Myriaden von Ichs – vergleichbar mit den Rollen, die die amerikanische Künstlerin Cindy Sherman in ihren Film Stills spielt oder den vielen Spiegeln, die der Spaßmacher Jürgen Klauke der Kunstszene vorgehalten hat. Der Zug ins Groteske, der den remplaçantes anhaftet, entsteht vor allem aus der Beobachtung einer paradoxen Anpassung der Mund-Stellvertreter. Sie sind oft deutlich als Fremdkörper nachvollziehbar, der aber in einer beunruhigenden Weise die Herrschaft über das gesamte Gesicht übernommen hat.

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elle
Petra Weifenbach hat für das Ausstellungsprojekt „elle“ die verschiedenen Fotoarbeiten zu einem komplexen Themen-Environment zusammengebracht. Die Werke loten die Wirklichkeiten der Bilder zwischen Ironie und Entlarvung aus. Dass es hier um die Erscheinungsformen weiblicher Präsenz in unserer Welt geht, ist nur ein Aspekt von vielen künstlerischen Ansätzen. Die Künstlerin gehört einer Generation an, die sich nicht unbedingt mit feministischen Grundsatzdiskussionen aufhält. Ein flüchtiger Blick reicht darum nicht aus – dabei würde man viel zu viel verpassen. Wer den Irritationen folgen mag, der wird mit einem Blick hinter die Kulissen belohnt. Und entdeckt dabei, dass vielschichtige Kunst nicht ernst und schwer sein muss. „Ernsthaftigkeit ist die Zuflucht derer, die nichts zu sagen haben!“ Wenn man Oscar Wilde hier folgen darf, so hat Petra Weifenbach eine ganze Menge zu sagen.

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