Als ich hörte, dass Maren Gottschalk an einer Warhol-Biographie arbeitet, hab ich schon frühzeitig den Finger gehoben, um mich für ein Rezensionsexemplar anzustellen. (Vielen Dank, lieber Beltz-Verlag für die unkomplizierte Übersendung.) Die ersten hundert Seiten von „Factory Man“ habe ich so runtergelesen. Dann war ich blöderweise mit Jobs abgelenkt. Jetzt habe ich wieder zum Buch greifen können und den zweiten Teil genauso verschlungen. Obwohl ich berufsbedingt schon ziemlich viel von Andy Warhol wusste, hab ich mich in die Geschichte dieses Kunstgenies hineinziehen lassen. Und das liegt nicht nur an den spannenden Ereignissen seines Lebens. Maren schafft es, einem diesen Superstar der Kunstszene als Mensch sehr nahe zu bringen.
„Factory Man. Die Lebensgeschichte des Andy Warhol“ ist als Publikation im Bereich Kinder & Jugendbuch des Verlags erschienen, in der Maren Gottschalk auch schon Biographien zu Nelson Mandela oder Frida Kahlo veröffentlicht hat. Was für ein Segen, dass man diese Zielgruppe im Blick hat. Nicht nur, weil ich es wichtig finde, jungen Menschen Kunst und Kultur näher zu bringen. Sondern auch, weil ich diese Publikationen besonders gerne lese (und ich bin überzeugt davon, dass es nicht nur mir so geht.)
Die Autorin gibt den vielen historischen und kunsthistorischen Fakten eine klare Struktur. In 11 Kapiteln wird man durch die Geschichte geführt, jedes endet mit einem „Blitzlicht“ – einer genaueren Betrachtung von Warhols Arbeit. Diese Verschränkung finde ich viel gelungener, als wenn man eine Entstehungsgeschichte nach der anderen aufgeführt hätte!
Vermittlung
Schon mit dem Prolog wird klar: hier geht es auch darum, Andy Warhol zu verstehen. Seine Kunst einzuordnen und mit so manchem Vorurteil aufzuräumen.
„Andy Warhol hat Fragen aufgeworfen, die noch heute, fast 30 Jahre nach seinem Tod, für Diskussionen sorgen. War er ein Genie? Ein Mann, der als Künstler und Filmemacher Grenzen überschritten hat? Oder war er nur ein gewierfter Blender, besessen von der Sucht nach Erfolg und gesegnet mit einem guten Instinkt für Vermarktung? Anders gefragt: War der Superstart Andy Warhol auch ein bedeutender Künslter? Und wenn ja, was hat er der Welt gegeben? Was steckt hinter seinen Bildern von Suppendosen, elektrischen Stühlen und fröhlichen Blumen und was wollen seine über 100 Filme uns erzählen?“
In meinen vielen Gesprächen mit Besuchern über die Warhol-Arbeiten im Museum Ludwig habe ich immer wieder gespürt, wie sehr seine Kunst verunsichert hat. Aber die meisten haben sich nicht die Mühe gemacht, mal genauer hinzuschauen. Und sich mit dem Künstler auseinanderzusetzen. Da bietet „Factory Man“ auch für eingefleischte Warhol-Fans noch viel Material. Man merkt, dass Maren nicht nur die bestehende Literatur genauestens studiert hat, sondern dass sie an die Plätze seines Lebens gereist ist, mit Menschen gesprochen hat, die ihn kannten. Ich hab das Gefühl, als könnte man verfolgen, wie ihre Sympathie für diesen oft auch sehr verloren wirkenden Mann im Laufe ihrer Recherchen gewachsen ist. Zu den berührendsten Passagen des Buches gehören die Schilderungen der frühen Jahre. Hier entdeckt man einige Situationen, die später auch seine Arbeit beeinflussen werden.
Spannung
Biographien sind Sachbücher, aber irgendwie will man ja immer auch Geschichten folgen. Will authentische Nähe zu der Person spüren, um die es da gehen soll. Ich finde manche Stellen im dem Buch so spannend und großartig geschrieben.
„Der 3. Juni 1968 beginn wie jeder andere Tag. Warhol ist vormittags zu Hause und telefoniert, geht dann zu seiner Mutter Julia und spricht mit ihr ein Gebebt, bevor er das Haus verlässt und ein Taxi ruft. Kurz schaut er bei seinem Anwalt vorbei und fährt dann zum Kaufhaus Bloomingdale’s. Währenddessen kommt Valerie Solanas in die Factory und fragt nach Warhol, aber Morrissey erklärt ihr, der würde heute nicht mehr kommen. Solanas wartet trotzdem.“
Die Chronologie der Ereignisse, die zu dem Attentat auf ihn führt, ist nüchtern aufgezählt … aber man ahnt, was passiert. Weil man schon vorher die zum Teil unguten Konstellationen in der Factory mitgelesen hat (und natürlich gehört diese Geschichte zu den bekanntesten um Warhol). Das ist die besondere Qualität dieser Biographie! Maren Gottschalk hat ihren Fokus auf die Menschen eingestellt. Auf den Protagonisten ebenso wie auf die Nebenfiguren, die ihn umschwirren.
Die Kunst
Die Lebensgeschichte wird auf knapp 250 Seiten erzählt und man erfährt zu jeder seiner Werkgruppen wichtige Informationen. Man erlebt die Entstehungsgeschichte der Suppendosen-Bilder („Er muss etwas Neues machen, etwas ganz und gar Provorzierendes.“) ebenso wie man die Konzepte für die Filme nachvollziehen kann (die waren Warhol künstlerisch mit am Wichtigsten, erfährt man). Die Autorin spürt auch der Pop Art nach und fragt sich, warum gerade Warhol als ihr größter Vertreter gilt. Und da merkt man dann auch die Historikerin, die in Warhol ein Kind seiner Zeit sieht. Immer wieder schlägt sie den Bogen zu zeitgeschichtlichen Begebenheiten und weist auf die Bezüge zu den Kunstwerken hin.
So entsteht das Porträt einer Zeit, einer bestimmten Szene mit all ihren Facetten, in deren Mitte Andy als wahrer Vertreter der Generation Pop zu leuchten scheint.
Ich werde mir jetzt vornehmen, möglichst bald mal wieder im Museum Ludwig vorbeizuschauen. Und dort die Warhols noch einmal mit dem neu erworbenen Wissen betrachten. Euch kann ich das Buch von Maren Gottschalk wärmstens ans Herz legen. Es ist für alle Kunstfans ein lesenswertes und bereicherndes Stück Kunstgeschichte.
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