Paula Modersohn-Becker


Wir gedenken heute einer der wohl wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts, die als Vorhut der Avantgarde die Männer in ihrer Zeit überflügelte. Sie entwickelte – an Vorbildern wie Cézanne und Gauguin geschult – eine starke Ausdruckskunst, die sie mit erdverbundenen Tönen gestaltete. In einer Zeit, in der es für Frauen durchaus unüblich war, sich einer Künstlerlaufbahn zuzuwenden, ließ sie sich nicht beirren und verfolgte diesen Weg. Ihr Mann, Otto Modersohn war übrigens einer der wenigen, der an sie glaubte. Immer wieder ließ er sie nach Paris ziehen, wo sie sich weiter entwickeln wollte und die großen Vorbilder studierte. Allerdings immer hin und her gerissen zwischen der Kunst und dem Gefühl, wieder nach Hause zu müssen. Otto holte sie von ihrem letzten Parisaufenthalt wieder heim in die Künstlerkolonie. Ein halbes Jahr später war sie schwanger. In ihrer Ehefrauenrolle sah sie dies auch als Erfüllung ihrer Träume. Tragisch ist, dass sie nicht mehr beweisen durfte, dass sich Muttersein und künstlerische Entwicklung nicht widersprechen müssen. Vor hundert Jahren starb Paula Modersohn-Becker an einer Embolie, nachdem sie drei Wochen zuvor Mutter einer Tochter geworden war.


Mir kamen heute beim Malen die Gedanken her und hin, und ich will sie aufschreiben für meine Lieben. Ich weiß, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig? Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes intensives Fest.
Meine Sinneswahrnehmungen werden feiner, als ob ich in den wenigen Jahren, die mir geboten sein werden, alles, alles noch aufnehmen sollte. Mein Geruchssinn ist augenblicklich erstaunlich fein. Fast jeder Atemzug bringt mir eine neue Wahrnehmung von Linden, von reifem Korn, von Heu und Reseden. Und ich sauge alles in mich ein und auf. Und wenn nun die Liebe mir noch blüht, vordem ich scheide, und wenn ich drei gute Bilder gemalt habe, dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar. Ich habe jetzt wie in meiner ersten Kinderzeit große Freude am Kränzebinden. Ist es warm und bin ich matt, dann sitze ich nieder und winde mir einen gelben Kranz, einen blauen und einen von Thymian.
Ich dachte heute an ein Bild von musizierenden Mädchen bei bedecktem Himmel in grauen und grünen Tönen, die Mädchen weiß, grau und bedeckt rot.Ein Schnitter im blauen Blusenhemd. Der mäht all die Blümlein ab vor meiner Türe. Mit mir wird es auch wohl nicht mehr lange dauern. Ich weiß jetzt zwei andere Bilder mit dem Tod darauf, ob ich die wohl noch male?“
26. Juli 1900

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