No one will be Famous

Ich bin sicher, die Eingeweihten aus dem inneren Ring der Kunstszene wissen Bescheid. Eine Ausstellung in der Frankfurter Schirn verheimlicht uns die Namen sowohl der ausgestellten Künstler wie den des Kurators oder der Kuratorin. ANONYM – Was will man uns damit sagen? Selbstverständlich ist es eine leidige Unart, dass Kunstbetrachter als allererstes den Kopf ruckartig nach rechts unten neben das Kunstwerk bewegen anstatt die eigene Beobachtungsgabe zu aktivieren. Ich habe immer schon auch die Konzepte ohne Beschriftung geschätzt wie sie das Diözesanmuseum Köln oder die Museumsinsel Hombroich schon länger vorstellen. Dennoch ist das nur die halbe Antwort auf die Frage, wie vermittele ich Kunst an Laien. Viele Besucher fühlen sich dann doch etwas allein gelassen. Ihnen fehlen unter Umständen wichtige Aspekte um die Bedeutung der Kunst voll zu erfassen.
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Mir scheint jedoch das Projekt in Frankfurt durchaus auch einen postmodernen Charakter zu haben, der die Überfrachtetheit der heutigen Kunstszene kommentiert. Ob man allerdings mit dieser Anonymisierung nicht doch ein wenig kokettiert? Was soll denn eigentlich auch die Auflage von 500 Seiten Blanko-Katalogen? Die sollen bestimmt einmal begehrte Sammelobjekte werden.
Zur Erläuterung des Konzeptes der Ausstellung „Anonym“ in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt möge man sich den Pressetext zu Gemüte führen.


MIT „ANONYM“ ZEIGT DIE SCHIRN EIN PROJEKT, DAS AUF DIE AUSSTELLUNGSPRAXIS
UND DEREN ÖKONOMIE VON DATEN UND NAMEN REAGIERT
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ANONYM
In the Future No One Will Be Famous
31. Oktober 2006 – 14. Januar 2007
Pressepreview: Montag, 30. Oktober 2006, 11.00 Uhr
Mit dem programmatischen Titel Anonym – In the Future No One Will Be Famous zeigt die Schirn Kunsthalle Frankfurt eine Ausstellung mit Werken von 11 internationalen Künstlerin-nen und Künstlern, die wie die zuständige Kuratorin oder der zuständige Kurator ungenannt bleiben werden. Die Anonymität der Künstler setzt sich in unterschiedlichen Aspekten inner-halb der gezeigten Werke fort. Die Ausstellung wirft die Frage auf, was geschieht, wenn Kunstwerke die Autorschaft verweigern oder sich davon befreien. Die Urheber der Ausstel-lung behaupten: „Anonyme Künstler wollen den Status quo in einen Status incognitus um-biegen. Ihr Ziel ist es, mit der zunehmenden Barbarisierung des Denkens durch Kurz¬schlüsse und Schnellschüsse aufzuräumen, die im Zuge der Verwertung von Künstlern als Markenzeichen geschaffen werden beziehungsweise auf Künstlern fußen, deren Werke Meisterstücke in philosophischer Unkenntnis bilden.“
In letzter Zeit nehmen die kritischen Beobachtungen des Kunstmarkts wie sein Einfluss auf den Diskurs der zeitgenössischen Kunst merklich zu. Das künstlerische Werk werde zur Marke, wobei der Name der Künstlerin oder des Künstlers als primäres Unterscheidungs-merkmal hervortrete. Ausstellungskuratoren würden zu Impresarios, die mit ihrem Namen und den damit verbundenen Themen bereits die Rezeptionsrichtung vorgeben. Das Kunst-werk trete dabei zwangsläufig in den Hintergrund und müsse sein verstörendes und subver-sives Potenzial verlieren. Eine Ausstellung, bei der keine Autoren genannt werden, stellt sich der gesellschaftlichen wie der ästhetischen Aufgabe, den Zugang zur Kunst und die indivi-duelle Erfahrung durch Weglassen der quasi primären Kunstorgane neu zu beleben und das Werk in erster Linie nach werkimmanenten Kriterien zu beurteilen, statt es innerhalb eines bekannten künstlerischen Œuvres oder mit der Information von Künstlernamen und -vita einzuordnen.
Die riesige Datenmenge, mit der das zeitgenössische Kunstsystem operiert, kann weder außer Acht gelassen noch einer wie auch immer zeitgemäßen Umwandlung in Marken¬namen, Tendenzen oder Trends überlassen werden. Was heute Kunst ist und wie darüber gedacht und gesprochen wird, hängt nicht zuletzt vom Umgang mit diesen Daten und davon ab, welche Gewichtung den unterschiedlichen Daten beigemessen wird. Ob eine bestimmte Kunstrichtung, ein bestimmter Künstler oder eine bestimmte Künstlerin, die Darstellung
eines bestimmten Themas – immer hat es die Kunst mit einer bereits gemachten Erfahrung zu tun, die als eine bestimmte Sicht auf die Daten im Kunstwerk oder in der Ausstellung vorliegt. Dass das Kunstsystem darauf rekurriert und Namen bereithält, welche die subjekti-ve Erfahrung strukturieren, verdeckt bisweilen die spontane Reaktion und ästhetische Erfah-rung bei der Betrachtung von Kunst.
Die Anonymität der Künstler wird in den gezeigten Werken in unterschiedlicher Weise aufge¬griffen. Wer ist der Urheber eines Brunnens in der Stadt? Oder warum sind fünf gleichfarbige Autos hintereinander geparkt? Worin liegen die konspirativen Gemeinsamkeiten von Reisen-den, die für kurze Zeit in ähnlich eingerichteten Hotels in ähnlich leuchtenden Städten dieser Welt übernachten? Welche unterschiedlichen Erinnerungen werden durch eine Seifenblase ausgelöst, die wie ein seltener Vogel langsam durch den Raum fliegt und schließlich spurlos verschwindet? Die Anonymität ist in der Normalität, die keiner expliziten Erwähnung bedarf, weil sie der allgemeinen Erfahrung angehört und jeder ihre Symbolträchtigkeit versteht. Die Fragen, die in den Arbeiten aufgeworfen werden, sind gleichermaßen Produkte eines Zufalls, sind ziellos und verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Hierdurch wird die Thematik der Anonymität innerhalb der Ausstellung auf eine weitere Ebene transponiert, die wiederum mit den Erfahrungen des Betrachters spielt.
Im Fall von „Anonym“ verlagert sich die Fähigkeit, Kunst anhand ihrer Metadaten zu lesen, auf eine darunter liegende Ebene. Der Betrachter wird zunehmend auf sich selber, auf die eigenen Beobachtungen zurückgeworfen und mit den Werken verbunden, an deren Realität ihre Wahrnehmung und eine sie erklärende Sprache maßgeblich mitarbeiten. Bekannte künstlerische Strategien wie Appropriation oder Concept Art rücken an den Rand der Wahr-nehmung, sie gehören nur mehr in das Vokabular der Metasprache und durchdringen und verwalten längst seine künstlerischen Werke. Sämtliche Begriffe, so sehr sie unabwendbar sind, erscheinen im hellen Licht der ästhetischen Wahrnehmung als störende Prothesen, eine Art zusätzlicher Glieder, die vor dem Fall in die Begriffslosigkeit schützen. In diese Lücke stellen sich die anonymen Werke.
Das Bekannte und das Unbekannte ist für die Kunst kein Paar einander ausschließender Gegensätze. Es gilt nicht selten, das Unbekannte einer bekannten Künstlerin oder eines bekannten Künstlers in den Vordergrund zu stellen, eine unbekannte Seite dieser Künstlerin oder dieses Künstlers mit der bekannten zu konfrontieren und damit die Bedeutung ihres oder seines Werks zu vergrößern. Das legitimiert nicht nur die immer wiederkehrenden Ausstellungen so genannter „Klassiker“, sondern resultiert gleichzeitig aus der Vielfalt der Perspektiven und Interpretationen eines Kunstwerks, wodurch seine Bedeutung nicht ein-, sondern ausgegrenzt (entgrenzt) wird. Schwieriger, wenngleich im Wettkampf der zeitge-nössischen Galerien und Ausstellungsräume mit großem Ehrgeiz betrieben, gestaltet sich das Bekanntmachen von bislang unbekannten Künstlerinnen und Künstlern, deren Erfolgs-chancen nicht zuletzt von der Bekanntheit der Institution abhängen, in der das unbekannte
Werk der unbekannten Künstlerin oder des unbekannten Künstlers gezeigt wird. Das Unbe-kannte ist in beiden Fällen weniger ein Mangel der Kunst als geradezu die Garantie ihrer Fortsetzung.
Für die Kunst selbst, für ihre ästhetischen Kriterien, galt das Bekannte lange dem Außer-künstlerischen zugewandt und markierte den Bereich des Trivialen. Mit der Pop-Art der 50er und 60er Jahre steht diese Wertung, die zwischen hoher und niederer Kunst unter-scheidet, vor ihrer Auflösung. Das Alltägliche – und damit auch die populäre Kultur insge-samt – wird zum Gegenstand der Kunst, die damit zunehmend auch die gleichen Produktionsprozesse aufweist wie die industrielle Herstellung von Waren. Kaum jemand hat diese Maxime konsequenter und erfolgreicher beherzigt als Andy Warhol, dessen künstlerische Reproduktionen alltäglicher Bilder und bekannter Gesichter über die Kunstkennerschaft hinaus weltbekannt wurden. Sein Slogan von 1968 lautete prophetisch: In the future everyone will be world-famous for 15 minutes, was heute der Entwertung des Status des Bekannten und der Fließbandproduktion so genannter Stars überaus nahe kommt. Mit der Popularisierung von Bekanntheit steigt allerdings gleichzeitig der Druck nach immer neuen Bekanntheiten, die dadurch immer weniger der Aura des Bekannten bedürfen und schnell und einfach ersetzbar sind. Wer heute weltbekannt ist, so die tautologische Formel, wird morgen bereits vergessen sein.
KATALOG: „ANONYM – In the Future No One Will Be Famous“, anonym und Max Hollein (Hg.), mit einem Vorwort von Max Hollein und Texten von Dominic Eichler, Stephan Heiden-reich, April Elizabeth Lamm, Eckhart Nickel und Hans Ulrich Obrist. Deutsch-englische Ausgabe, 160 Seiten, 32 Schwarzweißabbildungen, Snoeck Verlagsgesellschaft mbH, Köln, ISBN 3-936859-51-5, Hardcover, leinengebunden. 19,90 € (Buchhandel: 29,80 €).
Zusätzlich erscheinen 500 Blankokataloge mit 160 Leerseiten.
ORT: SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt.
DAUER: 31. Oktober 2006 – 14. Januar 2007. ÖFFNUNGSZEITEN: Di., Fr.–So. 10–19 Uhr, Mi. und Do. 10–22 Uhr. INFORMATION: www.schirn.de, E-Mail: welcome@schirn.de,
Telefon: (+49-69) 29 98 82-0, Fax: (+49-69) 29 98 82-240. EINTRITT: 3 €, Kombiticket mit „Picasso und das Theater“ oder „I Like America“: 8 €, ermäßigt 6 €, Eintritt für alle drei Ausstellungen: 13 €, ermäßigt 10 €. KURATOR: anonym. PROJEKTLEITUNG: Matthias Ulrich. AUSSTELLUNGSARCHITEKTUR: Oda Pälmke, PE-P, Berlin.
PRESSE: Dorothea Apovnik (Leitung), Simone Krämer.
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt, Telefon: (+49-69) 29 98 82-118, Fax: (+49-69) 29 98 82-240,
E-Mail: presse@schirn.de, www.schirn.de

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