Beitragsbild: © Axel Kirch / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Wenn ich ein Bild für Europa nennen sollte, das sich mir seit vielen Jahren im Gedächtnis ist, so ist dies nicht die blaue Fahne mit den gelben Sternen. Und auch nicht die auf einem Stier reitende Frau. (Wobei ich als Kunsthistorikerin schon so konditioniert bin, dass die gleich als zweites in meinem Kopf auftaucht). Nein, ich denke bei Europa an das Berlaymont-Gebäude – oder wie es auch gerne genannt wird, an das Berlaymonstre. Dieser 14 Stock hohe kreuzförmige Bau, der 1967 am Robert-Schuman-Kreisel in Brüssel errichtet wurde, ist für mich die Vision von Europa schlechthin. Er symbolisiert: alle Nationen arbeiten gemeinsam in einem Parlament an der Zukunft. Was ich sonst noch mit Europa verbinde, und warum das vor allem mit Architektur zu tun hat, das verrate ich im Rahmen der Blogparade „#SalonEuropa – Europa ist für mich …“, die vom Museum Burg Posterstein gemeinsam mit Tanja ins Leben gerufen wurde.
Ein typischer Bau der zweiten Nachkriegsmoderne, das ist das Berlaymont. Es sieht aus, als sei ein extraterrestrisches Raumschiff gelandet – und ganz sicher war diese futuristische Anmutung auch Absicht damals in den späten Sechzigern. Als man mit Architektur ein Statement für die Zukunft abgeben wollte.
Der Entwurf stammt von Lucien de Vestel, der aber vor der Vollendung starb. Wesentlich beteiligt am Bau war auch der Architekt André Polak, der auch das berühmte Atomium erbaute. Mit dem Entwurf solcher emblematischen Gebäude setzten sich die Architekten der Nachkriegsmoderne bewusst von den Monumentalbauten der 30er und 40er Jahre ab und schufen Gebäude, die ungewöhnlich und nach außen offen gestaltet wurden.
Ich bin tatsächlich auch schon im Berlaymont gewesen und erinnere mich dunkel an die unendlich vielen Gänge in den 14 Stockwerken. Meine Tante hat als Archivarin seit den frühen 60er Jahren für die EU gearbeitet und hatte uns damals im Gebäude herumgeführt. Ich war ein bisschen erschlagen aber auch total fasziniert von der Größe und dem vielsprachigen Stimmengewirr. Das ist mir bis heute im Ohr geblieben und ich liebe die Mehrsprachigkeit!
Worauf man damals nicht so viel Wert gelegt zu haben schien, das waren die Umweltbelastungen. 1991 musste das Berlaymont für über ein Jahrzehnt geschlossen werden, weil in diesem Bau Massen an Asbest verbaut worden sind. 2004 gab es dann die Wiedereröffnung mit einer interessanten Anpassung an klimatische Bedingungen. Eine moderne Glasvorhangfassade mit beweglichen Lamellen regelt jetzt die Licht- und Luftzufuhr.
Engagement für die Architektur der Nachkriegsmoderne
Wie vielleicht einige von euch wissen, engagiere ich mich ehrenamtlich für die Architektur der Nachkriegsmoderne. Ich bin ein Kind der 60er und mit diesen Bauten aufgewachsen. Mittlerweile habe ich die notwendige Distanz zu dieser Epoche. Und beginne, darüber nachzudenken, was sie mir bedeutet. Hier kann ich auch eine Verbindung zu der Frage ziehen, was mir Europa bedeutet. Es ist zum einen etwas Selbstverständliches. Weil es immer dagewesen ist, solange ich denken kann. Aber in dem Moment, wo ich die Gefahr des Untergangs sehe, stelle ich fest, wie wichtig mir der Gedanke an ein vereintes Europa ist. Ich möchte nicht zum Status Quo abgegrenzter Nationalstaaten zurück. Ich will auf keinen Fall hinter die Standards von Freiheit und Gleichheit zurück, die ich mit Europa verbinde. Demokratie ist für mich die einzige Staatsform, die Sinn macht. Und die gilt es zu verteidigen.
Gerade die Bauten der Nachkriegsmoderne – viele Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen – verkörpern für mich den Ethos der Demokratie. Gepaart mit Visionen für eine bessere Zukunft, in welcher zum Beispiel der Zugang zur Bildung für alle möglich ist, wo Gemeinschaft gepflegt wird und nicht die Abgrenzung.
Wie man an einigen Beispielen aus dem Rheinland sieht, hatten Kreuzbauten seinerzeit anscheinend Konjunktur. Die moderne Anmutung auf der einen und eine sehr ökonomische Platzausnutzung andererseits sind ja auch nicht von der Hand zu weisen.
Für mich steht Europa auch für die Überwindung des Traumas des 2. Weltkriegs. Für eine Aufbaustimmung, für lauter Möglichkeiten und Chancen. Dass dann nicht alles immer so geklappt hat und dass mitunter auch ein elender Verwaltungs-Wasserkopf entstanden ist, lässt uns vielleicht manchmal vergessen, welche Ideale die ersten Europa-Politiker verfolgt haben. Und genau diese Haltung, die das Denken in die Zukunft richtet, die sehe ich eben auch bei der Architektur der Nachkriegsmoderne. Man stellte sich damals den Herausforderungen der Zeit. Auch hier mag es vorkommen, dass durch schlechte Pflege und ungünstige Umstände die damaligen Ideale nicht mehr nachvollziehbar sind. Dennoch lohnt es sich, ihnen noch einmal nachzuspüren und vor allem wieder in den Fokus zu nehmen, was damals schon visionär gedacht wurde. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir in diesem Rahmen unserer Gemeinschaft weiterdenken würden.
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