Es gab da ein Projekt. Seufz. Das Kochbuch mit Harald! Es gab viel Veränderung, und so ein tolles Projekt musste leider ad acta gelegt werden.
Dennoch ist es eine schöne Reise gewesen, Anfang 2013 in die Provence. Dorthin, wo Harald wohnt. Also zwischen dem Gard und der Ardèche. Eine wunderschöne Ecke Frankreichs. Kulinarisch ein Paradies. Harald ist vor ein paar Jahren mit Raphaela dorthin ausgewandert. Sie haben die Auberge von Raphaelas Vater übernommen. Und sich dabei vom ZDF begleiten lassen. Das ist eine schöne Geschichte. Die wollen wir auch erzählen in dem Kochbuch, in welchem es vor allem um die Tipps und Tricks eines ungewöhnlichen Kochs gehen wird. Und um rheinische Lebensart, die sich mit südfranzösischem Charme paart. Katzen kommen auch noch vor in der Geschichte.
Aber eigentlich wollte ich über etwas anderes berichten. Ich erinnere mich nämlich an eine Begegnung während meines Aufenthaltes dort. Wir wollten die Rezepte von Harald garnieren mit einigen Geschichten über Land und Leute. Über den Charakter der Landschaft dort aber auch über kulinarische Besonderheiten oder die Kultur Südfrankreichs. Damit man zwischen den Anleitungen auch ein bisschen Schmökern kann. Als ich mich vorbereitete, wurde ich plötzlich ganz aufgeregt. Ich hatte nämlich gelesen, dass ganz in der Nähe der Künstler Max Ernst gelebt habe. Und da gäbe es noch sein ehemaliges Wohnhaus zu besichtigen. An der Fassade solle auch Loplop abgebildet sein. Diese mysteriöse Vogelfigur, mit der sich der Künstler ein Alter ego erschaffen hatte. Harald und Raphaela wussten sogar, wo das Haus liegt. Nämlich in St. Martin d’Ardèche.
Eines Abends saßen wir gemütlich bei einem herrlich frischen Rosé vom Weingut La Catherinette im Patio der Auberge beisammen. Gesättigt natürlich nach einem fantastischen Mahl. Harald goss nach und wir plauderten über dies und das. Und ich erzählte von meinen Recherchen, bevor ich die Reise angetreten habe! „Max Ernst hat hier ganz in eurer Nähe gelebt!“ schwärmte ich begeistert. „In St. Martin d’Ardèche. Und er hat dort ein Haus gekauft. Das hat er von außen mit großen Figuren verziert!“ Raphaela und Harald hatten davon schon gehört und so beschlossen wir, am nächsten Tag einen Ausflug in das ungefähr 10 Kilometer entfernte Örtchen zu unternehmen.
„Eigentlich weiß niemand so genau, wo sich das Haus befindet“ berichtete Raphaela. Sie habe auch schon mitbekommen, dass die Leute vom Verkehrsamt sich auf Nachfrage von Touristen ganz schön bedeckt halten. Klar, die jetzigen Besitzer haben keine Lust auf ständig knipsende Kulturbeflissene, die da schnatternd vorbeilatschen. Wohlmöglich kommen dann auch noch irgendwann Busladungen von Studienreisenden. Aber! Raphaela und Harald waren mal bei Freunden in St. Martin d’Ardèche eingeladen und auf dem Weg dorthin sind sie zufällig an einem kleinen Haus mit interessanten Figuren an der Fassade vorbeigefahren. Hurra! Das musste es sein.
Mit dem „Firmenwagen“ der Auberge fuhren wir also los. St. Martin d’Ardèche ist den meisten Touristen vielleicht als Endpunkt einer der halsbrecherischen Kanutouren auf dem Fluss bekannt. Es ist ein netter aber unspektakulärer Ort. Wir bogen ein paarmal ab und fuhren einen Hügel hinauf. Ich verrate jetzt hier nicht, wo genau es lang ging. Denn ich finde, man kann den Wunsch nach ein bisschen Privatsphäre der jetzigen Besitzer respektieren. Und wer suchet, der wird irgendwann auch wirklich finden. Wir haben uns zwar ein paarmal verfahren. Aber dann sahen wir es am Ende einer sehr engen Straße. Ich muss sagen, ich hatte Herzklopfen, als ich das Haus erblickte.
Ich bin wirklich ein großer Fan des surrealistischen Malers Max Ernst. Nicht nur, weil mein erstes Referat als junge Studentin ihm galt. Obwohl – das bindet auch! Nein, ich finde einfach, dass er der kongeniale Bilderfinder für die surrealistischen Dichter ist. Keiner konnte die Phantasien des Unbewussten besser auf die Leinwand bannen. Ein unglaublicher Kosmos mit gewaltigen Geschichten, die immer wieder auch von seinem Privatleben erzählen.
Max Ernst und die Frauen. Mindestens eine genauso zwiegespaltene wie spannende Geschichte, wie die des berühmten Picasso. Nach St. Martin d’Ardèche war er 1937 mit Leonora Carrington gekommen. Sie war Tochter aus sehr reichem und gutem britischen Hause und gehörte zu der Künstler-Clique der Surrealisten. 1938 durfte sie auch mit in der großen Gemeinschaftsausstellung ausstellen. Sie war 20 – Max Ernst mehr als doppelt so alt und verheiratet. Ihr Vater tobte und zettelte einen Prozess gegen den Künstler an. Wegen Pornographie!
Wir schlichen zum Haus. Harald und Raphaela waren auch einigermaßen beeindruckt, denn so nah hatten sie es sich noch nicht angeschaut. Es ist ziemlich klein. Und von einer hohen Mauer umgeben. An dieser sind großformatige Figuren angebracht. Man sieht, dass daran rumgebastelt wurde und ich erinnere mich, dass ich gelesen habe, dass Nachbesitzer Teile der Kunst abgebrochen haben. Geldgier halt.
Was für dramatische Stunden müssen die beiden hier erlebt haben. Jetzt hier so in der prallen Sonne vor dem Haus stehend und die Hälse nach möglicher Kunst reckend, spüre ich den Atem der Geschichte. Was muss Leonora verzweifelt gewesen sein, als sie ihren Geliebten als feindlichen Ausländer verhaftet haben. Sie hatte bestimmt nicht viele Freunde in der damals nur ca. 300 Einwohner zählenden Gemeinde. Vor allem nicht, seit die beiden verliebten Künstler nackt durchs Dorf hinunter zur Ardèche wanderten, um dort zu schwimmen. Verrückt! Trunken vor Liebe seien sie gewesen. Paradiesisch muss es hier weit ab von allen Problemen am Vorabend des Zweiten Weltkrieges gewesen sein. Und doch holte sie das alles ein. Max kam zwar wieder, aber Leonora war inzwischen geflohen. Ihre Familie hatte sie in Spanien in die Psychiatrie einweisen lassen. Welch ein Drama. Sie hat das Haus an einen Wirt aus dem Dorf verkauft. Der wusste wohl nicht viel mit dem Haus anzufangen.
Ganz gefangen hat mich der Anblick des kleinen Loplop. Dieses Vogelwesen, welches Max Ernst zu seinem Alter ego auserkoren hat. Die Windsbraut, die riesengroß die Fassade beherrscht, ist wohl Leonora Carrington selbst. Die Malerin hat im Haus auch viele Wände mit ihren surrealistischen Bildern verziert. Eigentlich ist das Haus ein Gesamtkunstwerk. Ein magischer Ort. Am Klingelschild stehen mehrere Namen. Ich stelle mir vor, dass sich hier auch wieder Künstler eingemietet haben, die die Abgeschiedenheit hier genießen wollen. Lassen wir sie am besten in Ruhe.
Wieder zurück in der Auberge kommt mir plötzlich eine Idee! „Harald, wenn Max Ernst hier vorbeikommen würde? Einfach nur so auf vielleicht einem Streifzug durch die Landschaft. Und er ist sehr durstig und hungrig. Was würdest du für ihn kochen?“
Ich sehe Haralds Augen aufblitzen. Das wusste ich, dass ihm das gefallen würde. Sofort überlegt er verrückte „surrealistische“ Dinge. Wir spinnen rum! Aber es soll doch lecker schmecken. Gut, von Drogen wird Abstand genommen. Obwohl die Surrealisten sehr viel damit experimentiert haben. Und gerade hier in der Gegend eine tragische Geschichte spielt, die auch mit LSD zu tun hat. Aber dazu wollen wir an anderer Stelle noch etwas erzählen. Jetzt zum Kunstmahl für den lieben Loplop. Spinattagliatelle mit Rote Beete Sauce für Max Ernst!
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