Les Demoiselles d’Avignon


Was Sie schon immer einmal wissen wollten, aber nie zu fragen gewagt haben: welche Bilder sind eigentlich die wichtigsten Meilensteine der Kunstgeschichte und warum? Hier finden Sie in loser Folge die Kunstwerke, die einschneidende Veränderungen in der Kunst einläuteten oder für entscheidende Paradigmenwechsel stehen. Den Anfang machen „Les Demoiselles d’Avignon“ des legendären godfather of art: Pablo Ruiz Picasso. Mit einigen originalen Zitaten lässt sich das geistige Klima nachvollziehen, in welchem dieses Bild enstand, das den Beginn des Kubismus markiert. Einer Kunstrichtung, die die Aufgaben der Malerei völlig neu definiert. Nicht das Abbild der Natur ist hier entscheidend, sondern das „hinter die sichtbare Welt blicken“. Eine eigenständige „Wahrheit“ entsteht auf der zweidimensionalen Leinwand.

Wir lernten uns im Herbst jenes Jahres kennen, im Halbdunkel des Bohèmelokals auf der Butte Montmartre – im unvergesslichen „Lapin agile“, das damals noch nicht für Ausländer zurecht gemacht war. Für vier Sous konnte man hier bei einem starken Kaffee sitzen und bis zum Morgengrauen hitzige Gespräche über Kunst führen. Bei Tagesanbruch durch die kleinen Gassen nach Hause zu gehen, das war ein herrlicher Abschluss dieser Nächte (…) Im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts fand man noch Geschmack an dem Bohèmeleben, das das neunzehnte Jahrhundert gezüchtet hatte, und hier in Paris, auf dem Montmartre und in Montparnasse, wurden die letzten Blüten jener Welt von einigen verfeinerten und verwöhnten Söhnen des alten Bürgertums vertreten: unser Modigliani – oder ‚Modi‘, wie er allgemein genannt wurde – war ein charakteristischer und doch gleichzeitig hochbegabter Vertreter der Bohéme vom Montmartre; wahrscheinlich sogar der letzte echte Bohémien. Damals war er noch nicht der Trinker auch nicht der düstere, zynische und sarkastische Mensch.(…) Er zeigte mir Photographien florentinischer Meister, deren Namen ich noch nicht kannte. Noch schöner freilich war, was Modi über sie zu sagen wußte. Von neueren Künstlern fesselten ihn vor allem Toulouse-Lautrec und Gauguin. Von dem letztgenannten hatten wir gerade die herrliche Gedenk-Ausstellung im ‚Salon D‘Automne‘ (1906) gesehen, die uns alle berauschte.
(Ludwig Meidner, zitiert nach: G. Scheiwiller, Amadeo Modigliani – Selbstzeugnisse, 1943)

Man hat den Malern heftige Vorwürfe gemacht wegen ihrer Beschäftigung mit Geometrie…Diese Maler haben sich, genauso wenig wie die alten, vorgenommen, Geometer zu sein. Aber man kann sagen, dass die Geometrie für die bildenden Künste so etwas ist wie die Grammatik für den Schriftsteller. Heute halten sich jedoch die Gelehrten nicht mehr an die drei Dimensionen der euklidischen Geometrie. Die Maler sind ganz natürlich, durch Intuition, auch ihrerseits dazu gekommen, sich mit neuen möglichen Maßen der Ausdehnung zu beschäftigen, die man in der Sprache der modernen Ateliers kurz und allgemein mit dem Begriff der vierten Dimension bezeichnet. – Fügen wir hinzu, dass diese Imagination einer vierten Dimension für viele junge Maler nur der allgemeine Ausdruck ihres Strebens war, wenn sie ägyptische, ozeanische und Negerskulptur betrachten, über die Werke der Wissenschaft nachdachten und eine erhabene Kunst erwarteten; dass man also mit diesem utopischen Ausdruck auch eine Art historisches Interesse verband.
(G. Apollinaire: Les Peintres Cubistes. Méditations Esthétiques. Paris, 1913 zit. nach W. Hess: Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei. Hamburg 1956

Das Bild der „Demoiselles d’Avignon“ entstand in der Zeit der Aufbruchstimmung in Paris und ist wohl das Gemälde der Kunstgeschichte, dass die meisten Studien und Vorzeichnungen aufweist. In einem unglaublichen Schaffensprozess, der von ständigen Zweifeln begleitet war, schafft Picasso hier das Bild, das die Sehgewohnheiten der Kunstbetrachter völlig außer Kraft setzen wird. Immer stärker rückt er vom eigentlichen Bildsujet ab: eine Gruppe von Prostituierten im Hafenmilieu mit einem Matrosen in ihrer Mitte (für den übrigens sein Freund, der Dichter Max Jakob Modell stand). Während der Entstehung des Bildes ruft Picasso mehrmals Freunde ins Atelier, die ihm seine Meinung dazu sagen sollen. Die meisten sind verwirrt, begreifen es gar als Ironisierung der heftigen Diskussionen um Kunst und können sich nicht mit dem Bild anfreunden. Erst Jahre später wird klar, wie sich hier die Abkehr vom Naturalismus Bahn bricht und die Malerei als eine eigenständige Realität deutlich wird. Nach den Demoiselles ist die gesamte Entwicklung der neueren Kunstgeschichte erst möglich geworden.

Daniel Henry Kahnweiler (1884 in Mannheim geboren) wurde der wichtigste Förderer, Kunsthändler und Theoretiker des Kubismus. Er schrieb 1915 die ersten vier Kapitel seines Buches „Der Weg zum Kubismus“, das 1920 in Paris und München erschien. Kahnweiler eröffnete 1907 in Paris an der Rue Vignon eine Kunstgalerie. Sein Schweizer Freund Hermann Rupf wird der erste Sammler des Kubismus, Zusammen mit dem Franzosen Roger Dutilleul und den Moskauer Kaufleuten Sergej Schtschukin und Iwan Morosow zählte er zu dem kleinen Kreis treuer Kunden der Galerie Kahnweiler. Er veröffentlichte ab 1909 in seinem eigenen Verlag Aufsätze und Bücher, in denen er sich um die philosophische und theoretische Begründung der modernen französischen Malerei, bes. des Kubismus bemühte. Kahnweiler war also zusammen mit Ambrose Vollard einer der ersten Kunsthändler des 20. Jahrhunderts.

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Eine Antwort zu “Les Demoiselles d’Avignon”

  1. Danke für deinen Eintrag. Interessant zu lesen. Nur schade,dass du keinen Quellenangaben gemacht hast, die wären wichtig für mich. Janine

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