Street-Art findet der aufmerksame Beobachter mittlerweile in jeder größeren Stadt. Und ich bin ein erklärter Anhänger dieser Kunst. Also, dieser Art von Straßenkunst, bei der nicht nur irgendwelche Tags zur Reviermarkierung gesprüht werden, sondern bildgewaltige Kunstwerke, die Geschichten erzählen können. Köln ist da ein Ort, der eine gewisse Stellung innerhalb der Szene hat. Und seit man hier das City Leaks Festival installiert hat, bekommt das Stadtbild auch immer mehr fette Street-Art-Schinken. Da lohnt es sich schon, sich einmal auf das Rad zu schwingen und entlang der vielleicht weniger idyllischen aber dafür umso spannenderen Pfade der City zu radeln. Und ihnen auf der Spur zu sein, den Streetart Künstlern, die mal mehr, mal weniger offizielle Spuren hinterlassen haben. Eine richtige Safari auf dem Fahrradsattel! Also lade ich euch ein, zu einer ganz besonderen Radtour zur Street-Art in Köln!
An diesem Treffpunkt hier geht es los: in der Nähe der Alten Feuerwache in der Maybachstraße Ecke Krefelder Straße. Auch hierhin lässt sich das Fahrrad mit der S-Bahn oder der U-Bahn problemlos transportieren. Ein kleiner Hinweis noch: bei dieser Tour muss man immer wieder stoppen und sollte sich bei der Betrachtung der Kunst mit den Rädern so hinstellen, dass man weder sich noch andere gefährdet.
Für die Tour habe ich insgesamt 3 Stunden veranschlagt – inklusive einer längeren Rast. Reine Fahrtstrecke sind es dann tatsächlich nur ca. 5 km. Aber wir machen dem einen oder anderen Schlenker, da die Street-Art ihre Verteilung nicht auf die Fahrradrouten in der Stadt ausgerichtet hat.
In der Maybachstraße hat der unvergleichliche ROA eine Arbeit hinterlassen. Ich bin allerdings untröstlich, dass diese mittlerweile überschrieben wurde. Aber das ist eben das Schicksal von Street-Art. Trotzdem lohnt sich die Betrachtung und man erkennt das ursprüngliche Motiv noch.
Eine Krähe liegt da überdimensional auf dem Rücken langgestreckt auf dem Mauerstück, welches eine Toreinfahrt zu einem Hinterhofbüro hin abgrenzt. „Nicht schön!“ sagen schon mal Passanten. „Warum muss da etwas Totes liegen?“ Ich aber liebe das Bild!! Es hat ein bisschen etwas von Hitchcock, von Kafka und vom dunklen schönen romantischen Schauer, den solche morbiden Bilder durchziehen. Das hat er wirklich drauf, dieser belgische Künstler, der schon während des Street-Art-Festivals mit dem gehäuteten Hasen begeistert hat. Da hatte er eine ganze Hauswand für sich. Aber ich mag seine Arbeiten ganz besonders, wenn sie so unvermittelt im urbanen Kontext auftauchen. Und da einfach so ganz still rumliegen. Eigentlich geht eine unglaubliche Ruhe von diesen überdimensionalen Zeichnungen aus. So etwas Überzeitliches, das die Bilder nicht hätten, würde ROA seine Tiere in Bewegung zeigen. Tolle eindrucksvolle Straßenkunst, hinter der mehr steckt als nur ein schneller Effekt!
Fast wirkt es als bewusstes Kontrastprogramm, dass die süßliche Arbeit von Marina Muun direkt auf derselben Straßenecke zu sehen ist. Auf den ersten Blick denke ich „Mädchenkram“. Doch hinter den Bildern der aus Australien stammenden Illustratorin steckt mehr. Ihre kleine Zigeunerin wirkt wie aus einer anderen Welt. Ein bisschen mystisch und es hat etwas von „Allways be yourself unless you can be a unicorn. Than be a unicorn!“ Aber mich erinnert es auch an meine Jugend, an Bilderbücher aus der Zeit, an die Mumins oder so etwas ähnlich Heimeliges und Schnuckeliges. Darüber hinaus ist es ästhetisch sehr anspruchsvoll, was hier an der Straßenecke geschaffen wurde. Ganz klare Konturen, eine tolle Farbkombination aus Rot, Türkis und Schwarz! Das gefällt mir und so, wie es da mitten im Dreck der Krefelder Straße auch noch der riesigen Krähe trotzen muss, kriegt man fast Mitleid mit dem schönen Wandbild. Wer aber Spaß an Geschichten hat, der kann sich ja mal eine überlegen, in der beide Wandbilder vorkommen? Vielleicht findet die kleine Gipsy ja das Elixier in ihrem riesigen Kristall, mit dem die Krähe wieder lebendig wird! Hach, ich könnte stundenlang an genau dieser Straßenkreuzung stehenbleiben. Aber weiter geht es.
Wir fahren die Maybachstraße in südlicher Richtung entlang – vorbei am Filmhaus und tauchen in Höhe des Cinedom in den Media-Park ein. Unter dem hoch aufragenden KölnTurm überqueren wir den Platz. Er ist ein Bauwerk des Architekten Jean Nouvel und hat eine interessante Fassanden-Gestaltung. Neben den applizierten Fotosequenzen zeigt er vor allem nachts ein weithin sichtbares Lichtkunstwerk, welches der Zero-Künstler Heinz Mack gestaltet hat.
Weiter geht es zwischen Turm und künstlich angelegtem See auf die kleine Wohnsiedlung zu und wir biegen rechts ab in den schmalen Weg, der einen Hügel hinauf führt. Dort ist schon die große Eisenbahnbrücke sichtbar, die auf den Mont Klamott, den Herkulesberg führt. Da die Trassen der Eisenbahnen traditionell ein Revier vieler Street-Artisten sind, finden sich auch auf der Brücke zahlreiche kleine Kunstwerke, die es zu entdecken gilt.
Der Herkulesberg ist einer von insgesamt 11 Anhöhen in Köln, die mit dem Schutt des kriegszerstörten Köln aufgebaut wurden. Er ist der höchste und man muss beim Hinabfahren auf die Subbelrather Straße höllisch aufpassen, um nicht zu viel Fahrt zu bekommen. Im Winter ein perfekter Rodelhang, ist der Mont Klamott im Sommer schon mal gerne Treffpunkt für angesagte Technoparties.
Wir fahren nun weiter auf der Subbelrather und kreuzen die Innere Kanalstraße. An einem einsam auf dem rechten Grünstreifen stehenden Haus findet sich das alternative Stadtwappen von Köln. Das Bild mit den drei berühmten Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen wollen. Bislang konnte ich noch nicht herausfinden, von wem es stammt. Die Bananen jedenfalls sind nicht die vom Bananensprayer und scheinen aus einer anderen Quelle zu stammen. Wer darüber etwas weiß, kann hier gerne ergänzen.
Wir fahren weiter auf der Subbelrather Straße und überqueren diese in der Höhe Liebigstraße, um dann in die Wißmannstraße einzubiegen. An der Ecke Glasstraße öffnet sich die Straße zu einem großen Spielplatz. Hier müssen wir halten und ein bisschen suchen. Denn es gilt hier eines der Street-Art Werke zu bewundern ist, das während des City Leaks Festivals 2011 dort entstanden ist.
Faith47 ist eine gnadenlose Romantikerin. Sie hat hier eine überdimensionale Madonna auf die Brandwand eines Ehrenfelder Hauses gemalt, die heute ein wenig versteckt durch die nachwachsenden Büsche auf den Betrachter herabschaut. Versteckt, aber irgendwie spürt man ihre Blicke immer. Und hat man sie erst entdeckt, dann lässt sie einen nicht mehr los. Sie hält einen Falken in ihrer Hand. „Hunter“ nennt Faith47 diese Arbeit. Die Künstlerin, die auch eine hervorragende Fotografin ist, nutzt verschiedene Techniken bei ihren riesigen Wandbildern. Sie malt mit überdimensionierten Pinseln, sprayt hier und da und hat hier mit dem goldenen Heiligenschein der ernst dreinblickenden Madonna einen zusätzlichen Hingucker geschaffen. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, das sind Illustrationen für Songtexte. Ihre spirituell motivierte Metaphern hinterlässt die Südafrikanerin in vielen Großstädten rund um die Welt und engagiert sich für soziale Projekte vor allem in ihrer Heimatstadt Kapstadt. Faith47 liebt den Kontrast zwischen urbaner Landschaft, zarten Madonnenfiguren oder wilden Tieren. Sie versteht es, einen surrealistischen Augenblick herzustellen, der einen Moment des Innehaltens inmitten der städtischen Hektik heraufbeschwört.
Wir fahren weiter durch das tiefe Ehrenfeld durch die kleinen verwinkelten Straßen. Die Klarastraße entlang bis zur Venloer Straße und dann am wunderschönen Neptunbad vorbei auf die Vogelsanger Straße. Dieser folgen wir dann stadtauswärts, bis wir den Gürtel überquert haben. Rechter Hand sehen wir in der Ferne Kölns einzigen Leuchtturm auf dem Heliosgelände. Er war das Firmenzeichen der Helios AG, die maßgeblich zur Elektrifizierung im 19. Jahrhundert beigetragen hat und diente einst zu Testzwecken. Es geht die Vogelsanger Straße weiter runter in Richtung des Underground – einer Location für feine Independent-Konzerte und ein wichtiger Ort für die alternative Szene.
Genau gegenüber finden wir an einer Mauer eine Arbeit von El Bocho. Der Berliner Künstler ist ein begnadeter Illustrator und mit seinen aufgeklebten Werken in allen großen Städten Deutschlands vertreten. Seine Figuren sind inspiriert von der Comic-Kunst, bestechen mit auffälligen Farben und Sprüchen. So liefern sie einen starken Impuls im alltäglichen Gewusel. Unvermittelt tauchen sie an Straßenecken und belebten Plätzen auf. Seine kleine Lucy ist ein mörderisch-bissiges Mädchen und hat große Schwestern, die mit ihren großen Augen den Passanten lasziv-auffordernd hinterher blicken. „Together we are more than you“ ist so ein typischer Anmachspruch, den seine Figuren provokant einsetzen.
Mit der paste-up-Technik ist ein ganz neuer Technikaspekt in die Street-Art Szene gekommen, den El Bocho virtuos beherrscht. Durch das Malen und Zeichnen auf Papieruntergründen erreichen die Künstler einen starken Ausdruck. Sie müssen sich nicht mehr den unebenen Untergründen der Hauswände geschlagen geben. Und können so feiner arbeiten. Das merkt man besonders den zarten Mädchengestalten an, welche El Bocho teilweise überlebensgroß auf die Wände aufbringt. Hier ist neben knalligen Farben vor allem der zeichnerische Ansatz ganz großartig!
Einen Vorteil haben übrigens die paste-ups den klassischen gesprayten oder gemalten Pieces gegenüber. Sie lassen sich relativ leicht entfernen, deswegen ist auch der Tatbestand der Sachbeschädigung nicht gegeben, dem sich ja oftmals die Street-Art-Künstler gegenüber sehen. Zumindest dann, wenn sie nicht eingeladen wurden, ihre Werke zu hinterlassen. Allerdings ist dieses leichte Entfernen auch schon wieder ein Nachteil und man sieht so manches Mal ein zerstörtes Kunstwerk, weil jemand vergeblich versucht hat, die Arbeit für das heimische Wohnzimmer zu sichern.
Hier in Ehrenfeld, im Umfeld der Lichtstraße häufen sich die Arbeiten unterschiedlicher Künstler und man merkt: wo einer sich verewigt hat, zieht es schnell auch andere an. Ein paar Meter weiter biegen wir links in die Lichtstraße ein und befinden uns vis-a-vis der legendären Life-Music-Hall. Ein Areal mit zum Teil malerisch zerfallenen Fabrikanlagen und interessant restauriertem Gelände, wie den Vulkanhallen. Wir sind hier in einer spannenden Ecke Kölns – etwas abseits der üblichen Pfade. Und wir treffen hier auf ein riesiges Wandbild. Längsseits des Fußgängerwegs auf eine Mauer gemalt, zieht es einen in seinen Bann und saugt einen in die magische Realität. Ich betrete die Welt von Captain Borderline.
Captain Borderline ist ein Künstlerkollektiv und besteht aus A.Signl & B.Shanti & Dabtar & M.Wallace. Seit gut 10 Jahren sind sie mit großen gemeinsamen Arbeiten aber auch Einzelwerken, paste-ups und Wandbildern vor allem in Köln aktiv.
Ich schaue mir die mystic wall einmal genauer an. Muss mehrmals hin und her laufen, um alles zu erfassen. Es ist eine andere Perspektive, als wenn man von unten auf eine hoch aufragende Häuserwand blickt. In der Mitte des Bildes steht der Baum, aus dem der kabbalistischen Lehre zufolge die Welt entsprungen ist. Nach rechts und links entwickeln sich Phantasiewelten. Sind die Träumen oder eher psychedelischen Trancezuständen entsprungen? Mischwesen durchfliegen den Raum und ziehen einen tiefer und tiefer in das Bild.
Diese Arbeit von Captain Borderline ist eine Kombination von zeichnerischen Elementen, die an Graphic Novels erinnern und Comic-Stripes. Man merkt den Künstlern die intensive Auseinandersetzung mit den Welt-Kulturen an. Eine Besonderheit, welche sie 2012 zu einer Kooperation mit Amnesty International brachte. Anlässlich des in Köln gefeierten Chinajahres entstanden einige Arbeiten, die den bedenklichen Verstoß der Volksrepublik gegen die Menschenrechte anprangern.
Ein kleiner Abstecher zur Vogelsanger Straße 283 bringt eines dieser Bilder näher. Es ist ein berührendes Wandbild, in welchem auf die Vorkommnisse auf dem Platz des himmlischen Friedens im Jahr 1989 Bezug genommen wird. Fahrt da mal hin, das lohnt den Aufwand und ist nur um zwei Ecken sozusagen.
Doch noch einmal zurück zur magic wall. Ich lasse mich treiben durch das Geschehen auf der Wand. In dieser jüdischen Glaubenstradition ist die Vorstellung von der Verflechtung des menschlichen Seins in die göttliche Existenz in unterschiedlichen Ebenen verankert. Ein philosphisch-theologisches Wandgemälde mitten im abgerockten Köln-Ehrenfeld. Das ist wirklich beeindruckend und wenn man diesem dann so unvermittelt begegnet, dann wirkt diese Straßenkunst viel direkter und emotionaler, als es Museumskunst je könnte.
Folgen wir dem Straßenverlauf weiter, so erleben wir an der Ecke Oskar-Jäger-Straße eine unglaubliche Zunahme von Stickern. Auf Wänden, auf Verkehrsschildern und um den Eingang der Kneipe Sonic Ballroom herum. Man kann davon ausgehen: das hat System. Die Sticker sind geheime Zeichen einer Großstadt, mal Werbebotschaft, mal künstlerische Bearbeitung. Auf jeden Fall korrespondieren und kommunizieren sie miteinander.
Wir fahren nun rechts in die Oskar-Jäger-Straße und nähern uns über die Leyendecker Straße der Venloer Straße. Diese fahren wir rechts hinunter stadteinwärts und kommen nach einigen Metern an der Mauer vor dem Bürgerzentrum Ehrenfeld vorbei. Hier zeigt sich, wie durch die Zusammenarbeit mit den mittlerweile bekannten Street-Artisten eine wenig spektakuläre Architektur durchaus wertvoll gestaltet werden kann. Auf der Hauswand prangt ein riesiges Wandbild des Künstlerduos Herakut. Auch dies ist eine Arbeit vom City Leaks Festival.
Wie aus einem Kinderbuch für Riesen entsprungen, zeigt sich ein Mädchen mit ihrem besten Freund, einer liebevoll verknautschten Bulldogge. Die in perfekter Kalligraphie dazugeschriebenen Sätze ergänzen die Erzählebene. Man liebt eben auch die Unperfekten und ohne den Freund traut man sich nicht aus dem Haus. Schön. Poetisch. Mit perfektem zeichnerischem Strich gemalt. Eine wunderbare Geschichte.
Auf der Mauer vor dem Leo-Amann-Park ist im Laufe der letzten Jahre eine richtig tolle Reihe von Straßenkunstwerken angewachsen. Das ist auch ein schöner Überblick über die aktuelle Street-Art-Szene. Interessant, wie unterschiedlich Street-Art sein kann. Wer erkennt Captain Borderline? In der Mitte! An der rechten Ecke ist eines dieser unglaublich berührenden traurig-niedlichen Kids von L.E.T. aus Düsseldorf zu sehen. „Ich werde nie das sagen, was du hören willst“ – ein herrlich direkter Schluss-Satz für diese Rad-Tour durch das bunte urbane Köln.
Je nach Wetterlage bietet sich jetzt vielleicht ein Biergarten-Stopp an. Oder ein Kino-Besuch in einem der besten Programm-Kinos Kölns. Das Cinenova liefert beides und im benachbarten Herbrands ist auch gut Sein.
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