Die schluchzende Stimme der berühmten Fado-Sängerin Amália Rodrigues klingt noch lange in meinem Kopf nach. Sie ist am Freitag die ganze Zeit über zu hören, als ich die Pressekonferenz im Museum besuche. Noch viel mehr als die Musik hat sich mir aber die Persönlichkeit von Joana Vasconcelos ins Gedächtnis eingegraben, die von einer unglaublichen Präsenz ist und mit immer neuen Aspekten die Sicht auf ihre Kunst bereichert. Und mit einem sehr emotionalen Statement erläutert, warum sie unglaublich stolz darauf ist, im Max Ernst Museum ausstellen zu dürfen. Was wie ein charmantes Kompliment klingt, das gefühlt jeder Künstler macht, der eine Einzelausstellung eröffnen darf, ist bei ihr eine Geschichte, die bis auf das Jahr 1989 zurückgeht. Da stand sie nämlich mit 18 Jahren oben im Centre Pompidou vor der Skulptur Capricorne von Max Ernst und träumte einmal davon, eine bekannte Künstlerin zu werden.
Überhaupt bekommen wir auf dieser Pressekonferenz mehr geboten, als nur Informationen zu den ausgestellten Arbeiten. Als jemand aus dem Publikum fragt, ob sie ihre Kunst als feministisch ansehe, antwortet Vasconcelos „Yes“. Punkt. Natürlich führt sie das dann weiter aus. Denn, das scheint ihr wichtig, hinter dem feministischen Ansatz steckt mehr als die reine Verwendung bestimmter feministisch codierter Materialien. Klar, wenn jemand einen riesigen Kronleuchter macht, der aus OB-Tampons besteht, dann könnte man schon auf die Idee kommen, dass es sich hier um eine oberflächliche Beschäftigung mit „Frauenkram“ handelt. Aber – und hierin liegt die besondere Spannung – es geht Joana Vasconcelos auch darum, das komplexe Geflecht von Material, Wahrnehmung und Bedeutung zu thematisieren.
Objekte erzählen Geschichten
Nirgendwo wird das deutlicher als beim riesenhaften Stiletto, der im Max Ernst Museum in den Tanzsaal platziert wurde. Genau gegenüber von Capricorne. Wenn man nun die Installation aus zahllosen Kochtöpfen sieht, dann gewinnt der Eierkarton in der Skulptur von Max Ernst eine ganz neue Gewichtung. Natürlich ist das eine Wiederaufnahme des surrealistischen Umgangs mit Alltagsgegenständen, denen neues Leben eingehaucht wurde. Der Schuh ist auch eine Art Porträt. In diesem Falle für Carmen Miranda, die Sängerin und Schauspielerin, deren Tutti-Frutti-Hut einst weltberühmt wurde. Weitere Versionen des gigantischen Pumps sind Marilyn Monroe, Dorothy oder Cinderella gewidmet. Mit diesem Wissen lädt sich der Schuh immer weiter auf. Das Objekt wird zur Geschichte und das Material verschwindet dahinter. Doch gleich wird es wieder von der Künstlerin hervorgeholt, indem sie uns erzählt, wie sie mit der Herstellerfirma der Kochtöpfe verhandelte. Nachdem diese nämlich zunächst nur einen üblichen Mengenrabatt gewährte, später aber mit der Skulptur gerne werben wollte, musste Vasconcelos klar machen, wie man ins Geschäft kommen könnte. Heute sind die Firma und ihr Studio beste Partner und die Kochtöpfe für die Schuhe werden auf ihre besonderen Wünsche hin extra angefertigt.
Ein bisschen Frieden
Ein Röhrenfernseher eingehäkelt in diese typischen feinen Spitzendeckchen, die Staubfänger und Seelentröster zugleich sind. Wir schreiben das Jahr 1982 und durch die Anwesenden fährt ein kollektiver Seufzer: Ach jaaaaa! als die Künstlerin uns an den Sieg von Nicole beim Grand Prix Eurovision de la Chanson (wie es damals noch hieß) erinnert. Alle erinnern sich. Aber keiner kennt die Gruppe Doce, die damals für Portugal antrat. Es war eine der ersten Girlbands und Vasconcelos schilderte eindrucksvoll, wie die Sängerinnen, die eigentlich in recht knappen sexy Kleidern auf die Bühne wollten, gezwungen wurden, in einem engen hochgeschlossenen Musketier-Outfit aufzutreten. Wen die Assoziationen zu dieser Geschichte davontragen wollen, den holt gleich wieder der Bezug zum Thema Kunsthandwerk ein und die Künstlerin erzählt, dass sie die vielen Filethäkel-Deckchen auf dem Flohmarkt erworben hat. Schon zum wiederholten Male tauchte bei unserem Rundgang die Frage auf, ob Vasconcelos alle Arbeiten eigenhändig hergestellt habe. Anscheinend ist die Vorstellung eines großen Studios, wo mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten, ein bisschen schwer zu fassen. Obwohl die Kuratoren bei der Einführung auf Vorbilder wie Rubens verwiesen, der in guter barocker Tradition mit seiner Werkstatt Meisterwerke herstellte. Barock ist übrigens ein sehr passendes Stichwort für die Arbeiten von Joana Vasconcelos.
Pissoir mit Häkeldeckchen
In einem Raum voller Anspielungen auf das Wasser sticht eine Arbeit besonders hervor. Zumindest für die, die beim Anblick eines Pissoirs in einem Museum sofort Bescheid wissen. Und so bemerkt Joana Vasconcelos auch laut lachend, dies sei die schwule oder feministische Antwort auf Duchamp. An dieser Stelle muss ich noch einmal über das Thema „Material“ nachdenken. Und frage mich, ob die Künstlerin wirklich recht hat, dass Bronze ja ein ebenso gutes oder schlechtes Material für die Herstellung von Skulpturen sei wie Wolle. Kann man beides wirklich so neutral nebeneinander sehen? Natürlich nicht und ich glaube, darin liegt auch die besondere Hintergründigkeit von Vasconcelos Arbeiten. Ihre Materialien bergen vielschichtige Bezüge. Sie möchte die Frauen würdigen, die abendelang mit dünnen Häkelnadeln die feinen Deckchen herstellen, sie nutzt die haptischen (und manchmal auch olfaktorischen ) Qualitäten und bietet unterschiedliche Einstiegsmöglichkeiten in ihre Kunst. Mir ging es übrigens ganz persönlich nahe, als ich in der Installation „Spin“ einen hellblauen Fön entdeckte, an den ich mich zwar nicht bewusst erinnern kann, der aber plötzlich eine starke Verbindung in meine Kindheit auslöste.
Mit Herz und Hand
Oder vielmehr mit Herz, Hand und Kopf arbeitet Joana Vasconcelos in schöner surrealistischer Tradition. Feine Ironie macht sich breit. Die Absurditäten des Alltags liefern ihr Stoff (Esposas ist das portugiesische Wort für Ehefrauen und Handschellen) und in allem ruht die Künstlerin tief verwurzelt in ihrer Heimat. Sie sei durch und durch Portugiesin, gibt sie den Pressevertretern mit auf den Weg. Was könnte das besser verdeutlichen als das unfassbare Coracao Independente Vermelho. Und da sind wir wieder beim eingangs erwähnten Fado. Zu diesen hypnotischen Klängen dreht sich nämlich ein riesiges flammendrotes Herz im Eingang der Ausstellung, das aus unzähligen Plastikgabeln und Löffeln gefertigt wurde. Hier feiert die Künstlerin die protugiesische Seele, die nicht nur in der traditionellen Musik steckt, sondern auch in den typischen filigranen Goldarbeiten, die Joana Vasconcelos sicher auch deswegen besonders am Herzen liegen, weil sie eine Ausbildung als Schmuckdesignerin hat.
Kulturelle Identität und individuelle Annäherung
Bei aller Verbundenheit mit Portugal ist es Joana Vasconcelos doch ein wichtiges Anliegen, dass ihre Kunst auch anderswo verstanden wird. Die Frage nach der individuellen aber auch kulturellen Identität stellt sie immer wieder neu. Und erzeugt gemeinsam mit der jeweiligen Raumsituation, in der sie ausstellt, neue Zusammenhänge. Das wurde besonders offensichtlich, als sie als erste Frau überhaupt eine Einzelausstellung in Versailles bekam. Zeigt sich aber auch im Max-Ernst-Museum. Dort läuft während der gesamten Ausstellungsdauer (bis 4. August) eine Installation, die von den Besuchern betätigt werden kann und mit der eine Reihe von Porzellanhunden so in Fahrt gebracht werden kann, dass sie sich gegenseitig zerstören. Ein schönes Bild, zu dem man sich seine eigenen Gedanken machen darf (wie gehen wir denn eigentlich mit den Haustieren um?). Mich hat an dieser Stelle wieder einmal die Geschichte begeistert, dass die Künstlerin wohl mit dieser Installation das Fortbestehen der auf diese kitschigen Vierbeiner spezialisierten Keramikfirma gesichert hat.
I invite people to look into my personal artistic house, to be part of my imagination.
Joana Vasconcelos
Ich bin ganz angefüllt mit vielen Gedanken und Geschichten aus der Ausstellung gekommen (und habe vor dem Museum noch die zauberhafte Teekanne bewundert). Mein Plan ist, noch einmal wiederzukommen und in Ruhe durch die Ausstellung zu wandern. Gelegenheiten dazu bietet auch das umfangreiche Rahmenprogramm mit vielen Führungen und sogar einem Fado Summer Time Special (1. Juni).
Kommentar verfassen