Hyper! Hyper! Hyperrealismus!


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Fast meint man, das Blut durch die feinen Äderchen der Haut pulsieren zu sehen. Kleinste Leberflecke und feine Härchen auf der zarten Haut, eine leichte Hochsteckfrisur, sehr feine Gesichtszüge – ich stehe in der Ausstellung einer hyperrealistischen Nachbildung der Künstlerin und Actrice Elyse Poppers gegenüber. Paul McCarthy hat sie gleich dreimal auf einem Zeichentisch präsentiert. Lebensgroß und mit leicht gespreizten Beinen. Der ungehinderte Blick auf ihre Vulva lässt mich als Betrachterin in einem Zustand zwischen Scham und Voyeurismus verharren. Der Künstler hat sein Ziel erreicht. Dass er keine Bilder von seiner Installation erlaubt, verstehe ich an dieser Stelle nur zu gut.

Mit dieser sehr persönlichen Erfahrung nehme ich euch mit zu einem kleinen Rundgang durch die fabelhafte Ausstellung „Hyperrealism Sculpture. Ceci n’est pas un corps“, die noch bis zum 3. Mai nächsten Jahres im Museum La Boverie in Lüttich zu sehen ist. Durch die freundliche Einladung von Belgien-Tourismus-Wallonie konnte ich die Ausstellung schon vor der Eröffnung besuchen und einige der beteiligten Künstler*innen treffen. Wir fuhren 1. Klasse mit dem Thalys, wo uns ein erstaunlich leckeres Frühstück serviert wurde. Und in einer kurzen Stunde waren wir von Köln aus in Lüttich angekommen! Das ist ja wirklich bei uns um die Ecke!

Vielen Dank an Barbara Buchholz und das Team von Belgien-Tourismus-Wallonie für diesen schönen Kurztrip.

Die Ausstellung „Hyperrealism Sculpture“ ist ein Projekt des Instituts für Kulturaustausch, das seit 1990 weltweite Wander- und Wechselausstellungen im Bereich Kunst und Kultur organisiert. Ein Team von Kunsthistorikern, Ausstellungsarchitekten, Grafikern und PR-Profis konzipiert Ausstellungen, die dann in Kooperation mit Museen und Ausstellungshäusern auf Tour gehen. Unsere kleine Pressegruppe wurde vom Managing Director des in Tübingen ansässigen Instituts durch die Ausstellung geführt. Maximilian Letze zeigte unterhaltsam und äußerst kenntnisreich die in verschiedene Themenbereiche aufgeteilte Ausstellung und brachte uns in Kontakt mit einigen der Künstler und Künstlerinnen. Diese Gelegenheit, tiefer in die Thematik einzutauchen, habe ich sehr geschätzt!

Hyperrealismus

Als Hyperrealismus bezeichnet man eine Kunstrichtung, die sich mit einer übersteigerten Wiedergabe der Wirklichkeit beschäftigt. In den siebziger Jahren zeitgleich mit der Pop Art entstanden, zeigte sie eine Tendenz in Malerei aber vor allem der Bildhauerei, mit der Wahrnehmung zu spielen und ein so genaues Abbild der Dinge zu liefern, dass diese nahezu mehr als real erscheinen. Das ist kein ganz neues künstlerisches Phänomen. Mir kommt da sofort die Trompe-l’oeil-Malerei in den Sinn, die es sogar schon in der Antike gab.

Ich muss gestehen, ich gehörte nicht unbedingt zu den allergrößten Fans des Hyperrealismus. Mir liegen das Expressive und auch das Abstrakte in der Kunst mehr. Vielleicht, weil ich dabei mehr mit meinen Assoziationen anfangen kann. Bei hyperrealen Kunstwerken fühle ich mich schnell auf die Faszination durch die perfekte Wiedergabe festgelegt.

Aber durch die gelungene Präsentation in der Ausstellung konnte ich eine neue Sicht auf diese Kunstrichtung werfen. Die Themenbereiche der Ausstellung waren

  • Menschliche Nachbildungen
  • Monochrome Skulpturen
  • Körperteile
  • Spiel mit den Dimensionen
  • Verformte Realitäten
  • Bewegliche Grenzen

Zwischen Perfektion und Magie

Mich hat besonders die Begegnung mit Carole A. Feuerman gefreut. Sie ist eine der nicht gerade vielen Künstlerinnen, die sich im Feld der hyperrealistischen Kunst einen Namen gemacht haben. Eine Weggefährtin von George Segal und John DeAndrea. Sie hat sich in ihrer Arbeit für die Wiedergabe von Körperfragmenten entschieden . Ihre Schwimmerinnen haben mich sofort in den Bann gezogen. Die dargestellten Frauen wirken so herrlich in sich ruhend. Hier kommt auch kein voyeuristischer Moment auf. Unwillkürlich möchte man einen tiefen Seufzer der Entspannung tun, wenn man die Torsi erblickt, die Feuerman in der Ausstellung zeigt.

Im Gespräch hat sie auch noch einmal deutlich gemacht, dass es ihr tatsächlich darum gegangen ist, die Dargestellten nicht einem gewissen Blick auszusetzen. Sondern, dass ihr die selbstbewusste Repräsentation des Weiblichen wichtig war. Ich mochte das sehr! Auch die Spannung, die ihren Motiven innewohnt, fand ich reizvoll. Sie changieren zwischen dem Alltäglichen einer gewöhnlichen Schwimmerin und der fast überzeitlichen Ästhetik des eingefrorenen stillen Moments. Und ja, mich hat natürlich auch die technisch perfekte Wiedergabe der Wassertröpfchen auf der Haut fasziniert.

Daniel Glaser mit Jonathan

Ein absolutes Highlight der Ausstellung ist aus meiner Sicht die kinematographische Skultptur „Jonathan“, die vom Künstlerduo Glaser/Kunz 2010 geschaffen wurde. Auch hier standen uns allen die Münder offen, weil die technische Umsetzung derart begeistert. Man muss wirklich mehrfach hinschauen und traut dennoch seinen Augen nicht. Ist das nun ein Mensch in einem Rollstuhl? Oder ist es eine Skulptur, die mit filmischen Mitteln zum Leben erweckt wird? Dass man nicht sofort hinter das Geheimnis kommt, macht aus der Betrachtung ein kleines Spiel.

Grandios ist auch der Kontext der Skulptur, mit der Glaser/Kunz auch ein Stück weit den Kunstmarkt persiflieren – Jonathan ist ein Kunstmakler, der immer wieder mit „Kunden“ telefoniert, seine Sammlung anpreist und auch ein paar entlarvende Gemeinheiten über die Kunstszene vom Stapel lässt. Mit „Jonathan“ plante das Künstlerpaar auch einige aufregende Interventionen. So tauchten sie unter anderem auf der Art Basel auf und stifteten Verwirrung. Ich mag diese Art von Humor – Schweizer Humor. Genial.

Es steckt aber natürlich noch viel mehr hinter der Arbeit, die somit einen passenden Bogen zu der Gesamtschau schlägt. Im Klappentext des Katalogs „Ich ist ein anderer“ fand ich dieses Zitat:

„Was wir wahrnehmen, ist das Resultat eines Denkprozesses, eine Art natürliche Magie, die in uns Empfindungen des gesehenen Objektes hervorzaubert und uns gleichzeitig den Glauben an dessen Realität suggeriert. In der Selbstverständlichkeit, mit der wir annehmen, die reale Welt „da draussen“ stimme überein mit dem, was wir optisch „wahr“-nehmen, liegt wohl die größte Täuschung. Das Bild, das wir uns von unserer Umwelt machen, ist ein subjektives, ein rein menschliches und damit ein einseitiges.“

Katalog zur Ausstellung „Glaser/Kunz. Ich ist ein anderer“. Verlag für moderne Kunst 2017

Drüben auf Instagram haben wir bei den Herbergsmüttern eine ausführliche Story zu der Ausstellung in den Highlights verlinkt. Schaut gerne mal rein.

Zur Ausstellung ist ein Katalog in Französisch und Niederländisch erschienen. Die Öffnungszeiten im Museum La Boverie sind dienstags bis freitags von 9.30 bis 18 Uhr und am Wochenende 10.00 bis 18.00 Uhr. Gruppenführungen müssen angemeldet werden. Der Eintritt kostet 15 Euro (reduziert 13 Euro, Familien -> zwei Erwachsene, zwei Kinder 38 Euro)

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